In der Nacht waren die Temperaturen deutlich gesunken. Die Autoscheiben am Straßenrand waren zugefroren und Oskar war froh, dass er seinen Wagen am Vorabend nicht aus Faulheit vor der Einfahrt stehen gelassen hatte. Als er seinen Kombi aus der Garage fuhr, warnte die fröhlich plappernde Moderatorin im Radio gerade vor Glatteis, von dem Oskar allerdings schon von seiner Mutter wusste. Diese hatte ihm bereits in Herrgottsfrühe eine Textnachricht geschickt. Und wie immer um ihn besorgt, hatte sie ihn gebeten, heute besonders vorsichtig fahren und sich zu melden, sobald er an seiner Arbeitsstelle angekommen war.
Während der Fahrt stellte er fest, dass er heute früher als sonst im Büro ankommen würde, da die Straßen nicht so überfüllt waren wie sonst. Die Winterferien hatten bereits begonnen und auch er würde ab morgen bis zum Ende des Jahres freihaben, da es im Weiterbildungsinstitut zwischen Weihnachten und Neujahr Betriebsferien gab. Am nächsten Tag hieß es allerdings noch einmal früh aufstehen, da er zeitig losfahren wollte, um am Morgen des Heiligen Abend pünktlich zum Frühstück bei Richard und dessen Familie zu sein. Er hatte sie gefühlt seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen, weswegen er sich auch schon sehr auf den gemeinsamen Vormittag freute.
Im Anschluss würde er zu seiner Mutter fahren, die ihn wie immer überschwänglich mit Küssen und Umarmungen begrüßen würde, als ob sie sich monatelang nicht gesehen hätten. Dabei waren es erst zwei Wochen her, dass er sie besucht hatte. Sie würde ihn mit gutem Essen und kurzweiligen Geschichten verwöhnen, während er sich im wahrsten Sinne des Wortes von vorne bis hinten bemuttern lassen würde. Was allerdings auch bedeutete, dass er nach den Feiertagen ein paar Extrarunden beim Laufen einlegen musste. Doch das war es wert, da für ihn Entspannung und Geselligkeit während der Feiertage im Vordergrund standen.
Vor allem Letzteres fehlte ihm an seinem jetzigen Wohnort noch immer, wobei sich Oskar aber hütete, sich darüber bei seiner Mutter zu beschweren. So wie er sie kannte, würde sie ihn dann nur darauf hinweisen, dass er nicht allein wäre, wenn er eine Freundin hätte - und dass es so schade sei, dass er keine hatte. Und damit wären sie wieder bei dem Thema, über welches er am wenigsten mit ihr reden wollte.
Falls sie ihn jedoch trotzdem darauf ansprechen würde, hatte er sich diesmal die Ausrede zurechtgelegt, dass er sich vorerst auf seine neue Stelle konzentrieren musste und wollte. Doch würde er vermutlich trotzdem wieder den Satz zu hören bekommen, den er von allen am wenigsten leiden konnte: »Du wirst aber auch nicht jünger!«
Allein bei der Vorstellung musste Oskar schnaufen. Er war gerade einmal siebenunddreißig! Zudem blieb er bei seiner Meinung, dass er keine feste Partnerin brauchte. Weshalb es bisher auch selten vorgekommen war, dass er sich mehr als zwei- oder dreimal hintereinander mit derselben Frau verabredet hatte. Es entsprach einfach nicht seinen Vorstellungen, dass sich in seinem Alltag plötzlich alles nur noch um eine Person drehen sollte. Woraus er auch nie einen Hehl gemacht hatte. Er wollte nur etwas Spaß haben. Und zum Glück gab es genug Frauen, die genauso dachten.
Oskar lächelte bei dem Gedanken. Wenige Augenblicke später fuhr er auf den großen Parkplatz seines Arbeitgebers und stellte seinen Wagen ab. Kurz darauf ging er auf das große Gebäude zu und wurde mit einem Mal langsamer. Er hatte Frau Sambeck entdeckt, die vor ihm aus einer der Parkreihen getreten war und dick eingepackt, mit hochgezogenen Schultern und schnellen Schrittes ebenfalls auf den Eingang zusteuerte.
Schlagartig holte ihn die Realität ein und Oskar wurde mulmig zumute. Ihm schoss die Frage in den Kopf, wie sie heute wohl gelaunt sein würde und hielt mit Absicht den Abstand zu ihr. Drinnen angekommen, trödelte er weiter, grüßte Kollegen, die ihm auf dem Weg nach oben begegneten und ließ sich auf halber Strecke sogar auf ein Schwätzchen ein. Und das, obwohl er an diesem Morgen noch nicht einen Schluck Kaffee getrunken hatte.
Um noch mehr Zeit zu schinden, schlenderte er auf dem Flur der Verwaltungsetage gemütlich auf das gemeinsame Büro zu und stockte plötzlich. Frau Sambeck kam am anderen Ende des Ganges aus der Teeküche getreten und ihm mit zwei Tassen in den Händen entgegen. Als sie ihn entdeckte, verlangsamte sie ebenfalls ihren Gang und wirkte überrascht, ihm so früh schon zu begegnen.
Sie sah sich um, als suche sie eine Uhr, um zu überprüfen, ob nicht sie spät dran war und erreichte fast zur gleichen Zeit wie er ihr Büro, dessen Tür weit offen stand. Oskar stieg sogleich der Geruch vom frisch gebrühten Kaffee in die Nase und ihm fiel sofort auf, dass Frau Sambeck an diesem Morgen ihre graue Strickjacke nicht übergeworfen hatte. Dafür trug sie einen beigefarbenen Wollpullover mit dickem Strickmuster, der offensichtlich warm genug war, um nicht noch eine Lage Stoff darüber zu ziehen und ihr seiner Ansicht nach viel besser stand.
»Guten Morgen!«, grüßte Oskar und lächelte, während er versuchte, im Gesichtsausdruck seiner Kollegin zu erkennen, ob zwischen ihnen etwas anders war als sonst. Doch Frau Sambeck wirkte wie immer: höflich, aber auch etwas angespannt.
»Guten Morgen!«, erwiderte sie und lächelte ebenfalls, wenn auch zurückhaltender. »Sie sind heute früh dran.«
»Auf den Straßen war nicht viel los.«
»Ja, das habe ich auch gemerkt.« Sie nickte leicht und deutete mit dem Kopf Richtung Büro. »Wollen Sie nicht hineingehen?«
»Sie zuerst.«
Frau Sambeck zog ihre Mundwinkel wieder leicht nach oben und Oskar hatte kurz den Eindruck, als hätte er sie in Verlegenheit gebracht. Sie zog ihre Schultern leicht nach oben und trat ein, woraufhin er ihr folgte und sich durch sein Haar fuhr. Während er auf die kleine Garderobe zusteuerte, um seinen Mantel auszuziehen, ging sie zu ihrem Schreibtisch, stellte dort beide Kaffeetassen ab und holte aus einer ihrer Schublade eine Keksdose hervor. Was ihn an seinen Besuch bei ihr erinnerte, aber vor allem eine Vorfreude bei ihm hervorrief. Denn in den unteren Bereich seiner Tasse konnte man einen Keks hineinlegen.
Der Becher war ein Willkommensgeschenk einiger seiner Kollegen am ersten Arbeitstag gewesen und Oskar fand ihn bis heute großartig. Frischer Kaffee mit einem Schuss Milch, dazu ein leckerer Keks: Das war die beste Kombination, die er sich vorstellen konnte. Und wie der Zufall es wollte, stand seit seinem ersten Arbeitstag jeden Morgen bereits beides auf seinem Schreibtisch. Als hätte jemand gewusst, dass er Plätzchen liebte.
Er hatte schnell herausgefunden, dass diese selbst gemacht und von Frau Sambeck waren. Worüber er sich erst gewundert und ihr danach zu verstehen gegeben hatte, dass das nicht nötig sei. Sie sollte nicht meinen, ihn in irgendeiner Form bedienen zu müssen, nur weil er ein Mann war. Denn von dieser Art Rollenverteilung hielt er nichts. Doch sie hatte darauf bestanden, ihm zumindest am Morgen mit Kaffee und Gebäck zu versorgen und erklärt: »Das ist schon in Ordnung.« Also hatte Oskar ihre Aufmerksamkeit angenommen, sodass diese bald zu einem kleinen Ritual zwischen ihnen geworden war.
Er erinnerte sich noch gut daran, dass er ihr als Dankeschön etwas schenken wollte, weshalb er nach der ersten Woche eine große Packung Pralinen mitgebracht hatte. Ihm war leider nichts Besseres eingefallen, doch Frau Sambeck hatte sich höflich dafür bedankt. Allerdings hatte sie, entgegen seiner Vorstellung, die Schachtel noch am selben Tag auf einem der Tische in der Teeküche hingestellt. Woraufhin sich die anderen Kollegen darauf gestürzt hatten und der Inhalt in null Komma nichts verputzt worden war.
Ob sich Frau Sambeck überhaupt daran bedient hatte? Oskar wusste es bis heute nicht. Allerdings hatte er den leisen Verdacht, dass dem nicht so gewesen war. Was ihm, wenn er darüber nachdachte, unvermutet einen leichten Stich versetzte.
Wieder in der Gegenwart angekommen, setzte er sich an seinen Schreibtisch und schaltete seinen Rechner an. Da seine Tasse inklusive Keks mittlerweile auf seinem Tisch stand, nahm er das Gebäck aus dem kleinen Fach, trank einen großen Schluck Kaffee und biss genüsslich von der süßen Köstlichkeit ab. Dann seufzte er zufrieden. Normalerweise hob er sich den Keks bis nachmittags auf, da seine Lust auf Süßes da immer besonders groß war. Doch heute würde er nur bis etwa 13 Uhr arbeiten, wonach er sich das nach Butter und Vanille duftende Plätzchen jetzt schon auf seiner Zunge zergehen lassen konnte. »Danke!«, meinte er nach einer Weile an Frau Sambeck gewandt und lächelte sie wie immer an.
Wie ebenfalls üblich sah diese kurz auf und lächelte leicht zurück. »Gern«, antwortete sie und richtete ihren Blick wieder auf die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch, bis sie merkte, dass er noch immer herüberschaute. Er wartete, dass sie zu gestern Abend ein paar Worte sagte, ihn vielleicht sogar zurechtwies; aber es passierte nichts. Stattdessen saßen sie sich schweigend gegenüber, bis sie erneut ein Lächeln aufsetzte und mit dem Stuhl zur Seite rollte. Ihr Kopf verschwand hinter einem der Monitore und nach kurzer Zeit war das Klappern ihrer Tastatur zu hören.
Hatte sie die das gestrige Geschehen etwa schon abgehakt? Genauso, wie sie es mit der Sache im Taxi getan hatte? Oder traute sie sich nur nicht, ihn auf sein gestriges Fehlverhalten anzusprechen? Oskars Finger glitten durch sein Haar. Auch wenn es Frau Sambeck nicht wichtig zu sein schien, wollte er sich bei ihr erneut entschuldigen. Denn es war einfach nicht sein Stil, unangenehme Themen nicht anzusprechen oder so zu tun, als wäre alles in Ordnung, wenn dem eindeutig nicht so war. Ihm blieb nur scheinbar vorerst nichts anderes übrig, als die Angelegenheit ruhen zu lassen, da schon wieder vollkommen in ihre Arbeit vertieft zu sein schien.
Innerlich seufzend blickte er auf seinen Monitor, meldete sich an und erschrak leicht. Er hatte vergessen, seine Mutter anzurufen. Schnell holte er dies nach, versprach ihr, auf dem Rückweg genauso vorsichtig zu sein und widmete sich danach ebenfalls seiner Arbeit. Nur wenige Stunden später räumte er seinen Schreibtisch jedoch schon wieder auf und ging eine Runde durch die anderen Büros. Er wünschte den Kollegen schöne Weihnachten sowie einen guten Rutsch und verabschiedete sich zum Schluss auch bei Frau Sambeck.
Diese stand bereits dick eingepackt und mit ihrer Umhängetasche über der Schulter an der Tür, als hätte sie nur auf ihn gewartet. Sie lächelte ihm in ihrer üblichen reservierten Art zu und stimmte als Letzte in den allgemeinen Tenor ein, als sie sagte: »Schöne Feiertage!«
*
Am nächsten Morgen stand Oskar bepackt mit Geschenktüten vor dem Backsteinhaus seines besten Freundes. Die Außentemperaturen waren noch weiter gesunken, weshalb er sich beeilte, die Klingel zu betätigen.
Es dauerte keine fünf Sekunden, bis er nahe der Tür eine hohe Kinderstimme rufen hörte: »Ich mach‘ schon auf!« Es folgte ein Poltern, die Tür wurde aufgerissen und ein Junge mit wildem, hellem Haar und dunkelblauen Augen strahlte ihn an. »Oskar!« Kreischend stürmte das Kind auf ihn zu, schlang die Arme um seine Hüfte und krallte sich am Mantel fest. So wie Herr Sambeck von seiner Tochter auf ganz ähnliche Art umarmt worden war.
Erschrocken über diesen Gedanken, schob Oskar das Bild schnell aus seinem Kopf und wandte sich stattdessen dem blonden Klammeraffen zu, der ihn spitzbübisch angrinste. »Was? Wer bist du denn? Richard, was ist mit dir passiert?«, fragte er gespielt entsetzt und riss Augen und Mund weit auf. Richards siebenjähriger Sohn war ein absolutes Ebenbild seines Vaters.
»Ich bin doch Timooo!«, rief der Junge und lachte. Er drückte sich nochmal an Oskar, riss sich dann aber wieder los und rannte zurück ins Haus. »Papa! Oskar ist da!«, kündigte er den Besuch an, wobei sich seine Stimme zu überschlagen drohte.
Dem Wirbelwind mit einem breiten Grinsen folgend, ging Oskar ebenfalls hinein, stellte im Flur die Geschenke ab und schloss die Tür. Der Geruch von Kerzen und der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee lag in der Luft, wobei vor allem Letzteres dafür sorgte, dass er sich beeilte, Schuhe und Mantel auszuziehen. Schon nach kurzer Zeit drehte er sich wieder von der Garderobe ab und bemerkte im selben Moment, dass er nicht allein im Flur stand.
Richard, um einiges muskulöser und ein paar Zentimeter größer als Oskar, grinste ähnlich wie Timo, öffnete einladend seine Arme und dröhnte: »Na, wen haben wir denn da? Der verlorene Sohn ist zurück!« Die tiefe, laute Stimme erfüllte den gesamten Raum und beide Männer lachten. Sie umarmten sich brüderlich und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. »Hey, Mann! Du siehst müde aus«, meinte Richard nach einem kurzen Blick in das Gesicht seines Freundes und Oskar seufzte nur als Antwort.
»Da bist du ja!«, rief Toni, Richards Frau, die gerade einen großen Korb mit Brötchen auf den Esstisch stellte, als die beiden Männer ins Wohnzimmer traten. Freudestrahlend ging sie auf den gemeinsamen Gast zu und umarmte ihn ebenfalls, wobei sich Oskar dazu diesmal stark nach unten beugen musste, da die rundliche Frau nur knapp über ein Meter sechzig kam. Nachdem sich die beiden wieder voneinander gelöst hatten, nahm Toni Oskars Gesicht in die Hände und schaute ihn mit blauen Augen, die um einiges heller waren als seine, prüfend an. Lächelnd meinte sie dann im ähnlichen Ton wie ihr Mann: »Du siehst müde aus, Junge.«
Oskar erwiderte das Lächeln etwas gequält und entgegnete diesmal: »Danke, Toni.« Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Ich musste bis gestern arbeiten und heute Morgen früh aufstehen.« Er zwinkerte. »Aber was man nicht alles für ein ordentliches Frühstück auf sich nimmt.«
Sein Gegenüber lachte und löste sich endgültig von ihm. »Na, dann wollen wir dich mal nicht warten lassen. Timo, hol bitte deinen Bruder aus seinem Zimmer! Es gibt Frühstück.«
Timo schaute bei der Bitte seiner Mutter auf. Er lag bäuchlings auf dem großen, flauschigen Teppich vor dem Kamin und ließ den dicken Buntstift in seiner Hand fallen. »Okay!«, antwortete er vergnügt, während es in seinen Augen blitzte. Und schon rannte er in den Flur.
Oskar sah ihm kurz nach, setzte sich dann an den Esstisch und bekam Kaffee eingeschenkt. Nur wenige Minuten später tauchte Timo mit seinem 14-jährigen Bruder Florian im Schlepptau wieder auf und Oskar stellte fest, dass dieser ganz schön in die Höhe geschossen war. Was Oskar erneut daran erinnerte, wie selten er Richards Familie in diesem Jahr besucht hatte. Florian sah in die Runde, wobei seine dunkelblonden Haare kreuz und quer standen, als wäre er gerade frisch aus dem Bett gestiegen. »Morgen!«, murmelte er sichtlich müde und ließ sich auf einen der Stühle fallen.
»Hast du etwa die ganze Nacht wieder gezockt?«, fragte Richard mit brummender Bassstimme und sah seinen Sohn streng an. »Wenn du nicht zum Frühstück erschienen wärst, dürftest du das Ding heute nicht wieder einschalten.«
»Aber Papa ...!«, beschwerte sich Florian mit ebenfalls tiefer Stimme, die bei seinem lauten Ausruf leicht kiekste. Er warf seinem Vater einen finsteren Blick zu und es schien kurz, als wollte er noch mehr sagen. Nach einem warnenden Blick seiner Mutter wandte er sich aber stattdessen trotzig ab und schnappte sich ein Brötchen.
Schwieriges Alter, dachte Oskar und zog heimlich die Mundwinkel etwas nach oben. Auch wenn die Stimmung gerade angespannt war, wusste er, dass Richard ein gutes Verhältnis zu seinem Sohn hatte. Sein bester Freund war sogar der beste Vater, den er sich vorstellen konnte. Dabei war Richard bei der Geburt des ersten Sohnes erst fünfundzwanzig und Toni einundzwanzig gewesen. So früh eine Familie zu gründen, hatte auf der Wunschliste seiner beiden Freunde also bestimmt nicht ganz oben gestanden. Seit sie jedoch gewusst hatten, dass ein Baby unterwegs war und dieses die ersten kritischen Monate der Schwangerschaft überstanden hatte, hatte Oskar aufgrund der engen Verbundenheit zu Richard und Toni hautnah miterlebt, wie sich die beiden und deren Leben vollkommen verändert hatte. Nicht nur, dass sich das Paar im siebten Monat der Schwangerschaft spontan dazu entschieden hatte, noch vor der Geburt ihres Sohnes zu heiraten. Auch hatten sich die beiden oder eher deren Prioritäten, zumindest für Oskars Empfinden, von jetzt auf gleich verändert. Zum Beispiel hatte man die beiden, die zuvor nie vor vier Uhr aus der Disco herausgekommen waren, dort mit einem Mal kaum noch zu Gesicht bekommen hatte. Und als Florian das Licht der Welt erblickt hatte, war dieser seitdem so gut wie immer und überall mit dabei gewesen.
»Reichst du mir bitte mal das Rührei herüber, Flo?«, fragte Oskar, um die entstandene Anspannung am Tisch etwas aufzulockern und lächelte dem Teenager zu. Dessen Miene entspannte sich daraufhin tatsächlich und es stahl sich sogar ein kleines Lächeln auf sein Gesicht.
»Klar«, sagte der schlaksige Junge, griff nach einer der Schüsseln und reichte sie weiter. Womit das Eis gebrochen zu sein schien, da danach auch die anderen anfingen, sich am reich gedeckten Frühstücktisch zu bedienen. Dabei entstanden, wie von selbst, lebhafte Gespräche und am Ende war es schon kurz vor elf Uhr, als sich Oskar wieder verabschiedete.
Zu diesem Zeitpunkt saß Timo vor dem Fernseher, um sich einen Weihnachtsfilm für Kinder anzusehen, den er von Oskar geschenkt bekommen hatte und Florian befand sich wieder in seinem Zimmer. Für ihn hatte es einen Gutschein für ein größeres Kaufhaus gegeben, da Oskar davon gehört hatte, dass Richards Ältester sich immer öfter darüber beschwerte, Klamotten zu haben, die überhaupt nicht cool seien. Wobei Oskar nicht mal wusste, ob das Wort cool von der Jugend überhaupt noch verwendet wurde.
»Ich muss jetzt wirklich los, sonst steht meine Mutter hier gleich vor der Tür«, scherzte er und zwinkerte seinen beiden Gastgebern zu, woraufhin alle lachten. Wissend, dass der Scherz gar nicht so weit hergeholt war. Er wurde nochmal gedrückt, beeilte sich, zu seinem Wagen zu gelangen und schaute danach auf sein Smartphone, welches er die letzten Stunden vorsorglich auf lautlos gestellt hatte. Es wurden wie befürchtet bereits einige Anrufe in Abwesenheit angezeigt, woraufhin er seiner Mutter zur Beruhigung eine kurze Nachricht schickte. Er schrieb, dass er bald zu Hause sei und fuhr gleich darauf los.