Kapitel 7
Der Vollmond stand hoch am Himmel, ab und zu schob sich eine Wolke davor und dämpfte das milchige Licht. Sein weißes Haar, das mit einem roten Band verziert worden war, schimmerte im Mondlicht beinahe silbern. Er trug immer Schwarz, Istaya hatte Aegir noch nie in einer anderen Farbe gesehen, was sie schade fand. Dunkelrot oder auch blau wären ihm bestimmt gut gestanden. In der rechten Hand hielt er die silberne Dose.
Sie standen beide im Wald, umgeben von Tannenbäumen und Sträuchern mit roten Beeren. Istaya mochte den Geruch nach Wald und Erde. Wenn sie einmal eine Auszeit brauchte, kam sie hierher, um den Kopf durchzulüften. Die dichten Bäume boten ihnen einen guten Schutz davor entdeckt zu werden und das Moos dämpfte ihre Schritte.
Aegir nickte ihr leicht zu. Der Herrscher lehnte sich an den Stamm einer Tanne und musterte sie, so als hätten sie sich nicht bereits etliche Male getroffen, als sei sie eine Fremde, die er einschätzen musste. Das tat weh. Istaya verkrampfte sich. Sie hatte gedacht, dass es mit der Zeit bessern würde, Fehlanzeige. Aegir war und blieb unnahbar. Er vertraute ihr nicht. Selbst nach all den Jahren und der gemeinsamen Tochter. Er war undurchschaubar. Istaya hatte keine Ahnung, was wirklich in ihm vorging. Vor zehn Jahren hatte Aegir die Macht an sich gerissen. Die nachfolgenden beiden Jahre hatte es immer wieder Kämpfe gegeben, bis Aegir die Territorien unter seiner Herrschaft hatte, die er wollte. Das waren zusätzlich zum Land der Dämonen fünf weitere Städte der Menschen. Anschließend -und erst dann- war Aegir zum Sprechen bereit gewesen. Das waren monatelange Verhandlungen. Am Ende hatte Aegir zwei der Städte aus seiner Herrschafft entlassen müssen, dafür hatten die Akademien der Helden neue Vorschriften erhalten. Seitdem war ein fragiler Waffenstillstand eingekehrt.
Wortlos überreichte er ihr das Pulver, welches in einer silbernen Dose war. Die Substanz war eigentlich verboten. Aegir hatte die Vernichtung selbst angeordnet. Ganz grundlos war das nicht. Die Yaka-Wurzel vermochte es jegliche dämonische Fähigkeiten zu unterdrücken. Wenn man weiterdachte… das Pulver war in der Vergangenheit oft dazu missbraucht worden Dämonen hilf- und wehrlos zu machen und sie dann zu foltern und töten. »Wie geht es ihr?«
»Deiner Tochter geht es gut. Allerdings fehlst du ihr.«
Einen Moment herrschte Schweigen.
»In drei Tagen um Mitternacht, hier. Nimm Angela mit«, sprach Aegir. Dann ging er einfach.
*
Levi trat zur Türe herein. Aegir hatte ihn schon erwartet. Das Treffen fand in Aegirs privaten Räumlichkeiten statt, da niemand etwas mitbekommen durfte. Nicht einmal die Wachen. Es war einfach zu heikel. Zuvor hatte Aaron hier gewohnt. Aegir hatte allen Prunk entfernen lassen. Das war nicht sein Stil, er brauchte es nicht. Der neue Herrscher mochte es schlicht und zweckmäßig . Ein Pult aus dunklem Holz, ein Schrank aus dunklem Holz, das grosse Bett mit Holzgestell und der Nachttisch. Mehr stand nicht im Zimmer. Im Bad sah es ähnlich aus. Keine goldenen Hähnen mehr. Kein Marmor. Einfacher Granit reichte. Levi lächelte leicht, das weiße Haar zu einem hüftlangen Zopf geflochten. In den letzten zehn Jahren war Levi in die Höhe geschossen und hatte viel trainiert. Die Uniform saß wie angegossen. »Du wirst mich in drei Tagen am Abend vertreten«, kam Aegir gleich zum Punkt. »Okay, gut.« Levi blickte ihn fragend an, bohrte aber nicht nach. Dass war etwas, das Aegir schätzte, Levi bedrängte ihn nicht. Manchmal erzählte der Herrscher tätsächlich etwas (zu viel) für seinen Geschmack. Das lag an Levis lockerer Art und dass er nicht einfach verurteilte.
Levi legte sich direkt auf das große Bett mit dem dunklen Holzgestell und seufzte. »Schön weich.«
»Freut mich, dass dir mein Bett so gut gefällt«, meinte Aegir sarkastisch.
Unter anderen Umständen hätte das eine ganz andere Wendung nehmen können. Aegir mochte Levi. Vielleicht wäre das etwas geworden, wenn er nicht gewusst hätte, dass Levis Herz schon einem anderen gehörte.
»Das tut es. Weck mich, wenn ich einschlafe.«
»Du wirst nicht einschlafen! Das wagst du nicht!«
»Ich lasse es darauf ankommen«, entgegnete Levi. Er grinste.
Aegir schüttelte den Kopf, konnte jedoch ein Zucken seines Mundwinkels nicht verhindern. Levi war einfach…Levi. Frech und ungehobelt.
»Angela«, sprach Aegir kurz. Augenblicklich schlug die Stimmung um. Levi nickte ernst, er verstand sofort. Ja, der Dämon wusste von seiner Affäre. Dummerweise hatte Levi ihn bei einem Treffen mit Istaya erwischt
Aegir hatte ihn gesehen. Nur für einen Moment, doch das reichte. Weißes langes Haar und blaue Augen. Levi. Er knurrte. Istaya, die unweit von ihm stand, liess er einfach zurück. Ohne eine Erklärung und auf ihre Rufe reagierte er nicht. Stattdessen preschte Aegir Levi hinterher. Dieser Mistkerl war schnell. Aegir hatte keine Ahnung, wie lange Levi hinter der Brombeerhecke gewartet und sie beaobachtet hatte und wie zum Teufel er sich überhaupt so nahe hatte ranschleichen können. Das kannte Aegir sonst nur von York. Egal. Levi würde ihm nicht entkommen. Äste schlugen ihm entgegen, zerkratzten ihm Arme und Gesicht. Unwichtig, die Kratzer heilten schnell. Aegir holte auf. Kurz vor dem Fluss hatte er den Dämon eingeholt. Dass es mitten in der Nacht war spielte keine Rolle, Dämonen konnten wesentlich besser sehen als Menschen. Levi wich zurück bis zum Flussufer, das von hohem Schilf gesäumt wurde.
»Ins Wasser zu flüchten wird dich nicht retten«, stellte Aegir klar, das Schwert auf Levi gerichtet.
»Ich weiss.« Levi schluckte.
»Irgendwelche letzten Worte?«
»Ja.« Levi blickte ihn direkt an. »Ich werde dich nicht verraten. Du hast keinen Grund mich umzubringen.«
Aegir lachte. »Dir ist schon bewusst, dass das wohl jeder in deiner Situation sagen würde?«
»Sagen schon, doch ich meine es ernst. Was würde es mir bringen Gerüchte zu verbreiten? -Ich habe schlicht kein Interesse daran dir zu schaden. Es liegt mir fern mich in dein Privatleben einzumischen.«
Aegir musterte ihn. Normalerweise zögerte er nicht. Doch Levi fehlte womöglich das Motiv. Zumindest auf Anhieb fiel ihm nicht ein weshalb Levi Interesse haben könnte ihn zu ruinieren. Oder zu erpressen. Auch nach Macht gierte er nicht.
»Das Einzige was ich will, ist, meinen Bruder wieder zu finden, wenn er zurückgekehrt ist. Sonst bin ich zufrieden.«
»Auch wenn mir auf Anhieb kein Motiv einfällt, dich umbringen kann ich trotzdem«, drohte Aegir.
»Stimmt.«
Einen Moment schwiegen beide. Wind kam auf und blies Aegir weisse Haare ins Gesicht.
Es waren noch mehrere Jahre, ehe Alexiel wieder auftauchte. Aber dann würde Aegir Probleme bekommen. Alexiel würde Levi rächen wollen. Das könnte brenzlig und unschön werden, wenn Aegir Alexiel nicht gleich nach der Reinkarnation fand und tötete. Vielleicht ein unnötiges Risiko. »Von mir aus. Doch ich werde dich im Auge behalten«, knurrte Aegir deshalb widerwillig. Er wollte Alexiel auf jeden Fall beseitigen, aber nicht, weil er dazu gezwungen war, sondern aus strategischen Gründen.
Ursprünglich hatte er ganz andere Pläne mit Alexiels Bruder gehabt. Aegir hatte Levis Vertrauen gewinnen wollen, um damit Alexiel beseitigen zu können, wenn dieser zurückgekehrt war. Denn er wusste, dass Levi nach seinem Bruder suchen würde. Egal wie oft sich die beiden auch stritten, sie waren sich sehr wichtig. Was man gut ausnutzen konnte. Niemand fand Alexiel schneller als Levi, davon war Aegir überzeugt. Doch Levi zu manipulieren war viel schwerer, als Aegir es sich vorgestellt hatte. Es brauchte viele JAHRE, bis Levi ihm halbwegs vertraute. So als würde er instinktiv merken, dass Aegir ihm Böses wollte. Aegir hatte sich richtig ins Zeug legen müssen. Seine Scharade mit Aaron war nichts dagegen gewesen. Und irgendwann war die gespielte Freundschaft eine echte geworden.