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Die russischen Truppen, die Zar Alexander I. zur Unterstützung des Kaisers gegen Napoleon entsandte, bekleckerten sich in der Schlacht von Austerlitz im Dezember 1805 nicht gerade mit Ruhm. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, schlechter Ausrüstung und nach mehr als zwei Monaten Marsch über 1800 Kilometer standen sie den strategisch besser positionierten Franzosen gegenüber. Viele mussten ihr Leben lassen oder wurden verletzt, darunter auch ein verwundeter Soldat, der neunzehnjährige Leopold Wi... Sein Name, aus dem Kyrillischen übersetzt, Witsch. Es war Leos Ur-Ur-Urgroßvater.
Aufgrund einer Verletzung oder aus Liebe kehrte er nicht in seine Heimatstadt Sankt Petersburg zurück. In Österreich heiratete er und wurde Vater von drei Kindern. Es ist bekannt, dass er vor seiner Einberufung in einem Kohlebergwerk arbeitete. Durch seine Kontakte gelang es ihm, Kohle nach Österreich zu importieren, Wohlstand zu erlangen und ein Vermächtnis für kommende Generationen zu hinterlassen.
Leopold Franz Witsch der Dritte, auch bekannt als der Kohlebaron, gehörte zum Geldadel. Er verkehrte am kaiserlichen Hof, begleitete den Kaiser auf Jagden und war sein k.u.k. Hoflieferant.
Als Leos Großvater 1988 erkrankte und pflegebedürftig wurde, enthüllte er, dass sein Vater im Jahr 1911 als Investition ein vierstöckiges Mietshaus in der Kurzgasse bauen ließ. Bis 1925 hatte der Wert so stark nachgelassen, dass die ursprünglichen Baukosten eines Zinshauses nur noch einige Laibe Brot wert waren.
Der Umrechnungskurs betrug 10.000 Kronen (ehemals 30 Tonnen Braunkohle) für einen Schilling – und dennoch bleibt ein dunkler Fleck in der Familiengeschichte der Witschs. Ein plötzlicher Reichtum, dessen Herkunft im Nachhinein rätselhaft erscheint.
Der Baron konnte nicht verhindern, dass seine zwei ältesten Söhne 1939 zum Militärdienst eingezogen wurden. Dank langjähriger Geschäftsbeziehungen zum Militär konnten sie jedoch in Wiener Neustadt Jagdflugzeuge bauen und entwerfen, wodurch sie dem Fronteinsatz entgingen, häufiger Heimaturlaub als andere Soldaten bekamen und der Großvater für stetigen Nachwuchs im Hause Witsch sorgte. Nach dem Krieg begann er mit dem Straßenbau, nicht als Arbeiter mit Pickel und Schaufel, sondern als Planer mit Kappe und Knickerbocker, der Baupläne trug. Es ist anzunehmen, dass er damals ein Studium absolvierte, aber es gibt keine Belege dafür, was er an der Universität studiert haben könnte.
Großmutter erzählte, dass Großvater nach dem Krieg wusste, was seine Pflichten waren: Er musste für die Familie und das Geschäft sorgen. Doch suchte er einen Ausgleich und fing an, heimlich zu spielen; niemand schöpfte Verdacht. Als Zeichnungsberechtigter, mit einem nahezu blinden Vater, dem Baron, stapelten sich seine Schulden. Er setzte immer höhere Beträge, in der Hoffnung, das Verlorene zurückzugewinnen, doch meist ohne Erfolg. Es wurden viele Wechsel ausgestellt und Zinshäuser belastet, die Aktien des Gaswerks waren schon verkauft. Noch vor der Hochzeit von Leos Eltern verschwand der Großvater – mit all seinen persönlichen Sachen, ohne Hinweis darauf, wo er sein könnte. Leos Vater übernahm die Verantwortung, für seine fünf Geschwister, seine Mutter, die Großeltern und seine eigene Familie zu sorgen.