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Der Tag X Stunde NULL!
Es ist Abend, und alle Kinder stehen neben ihren Betten und beten. "Lieber Gott, ich gehe zur Ruhe und schließe meine Augen", oder etwas Ähnliches. Jedes Kind liegt in seinem Bett, das Licht wird ausgeschaltet, und allmählich wird es stiller. Leo weiß nicht, wie lange er geschlafen hat, aber er wacht auf, als ihm jemand etwas Kaltes und Hartes in die Hand legt. Er richtet sich auf, sieht niemanden und vernimmt ein Rauschen aus dem Waschraum.
Sein Bett befindet sich gleich am Eingang zum Badezimmer und den Toiletten. Als er dem Geräusch folgt und das Licht einschaltet, sieht er, wie Wasser in ein bereits überlaufendes Waschbecken fließt und den Raum überschwemmt. In seiner Hand hält er einen Knopf des Wasserhahns. Leo versucht sofort, ihn wieder anzubringen, doch trotz des heftigen Spritzens und obwohl er dabei nass wird, misslingt der Versuch.
Deshalb eilt er zur zuständigen Schwester, aber auch sie kann das Wasser nicht stoppen, das zum Glück durch einen Bodenablauf fließt. Kurze Zeit später stoppt der Wasserfluss – wahrscheinlich hat jemand die Hauptleitung abgedreht.
Drei Klosterschwestern treten nun vor Leo, schreien ihn an, zupfen an seinem nassen Nachthemd und tadeln ihn. "Es ist verboten, nachts allein den Waschraum zu betreten und Wasser zu trinken." Als Strafe muss er sich in die Ecke stellen, barfuß und in seinem durchnässten Nachthemd. Nach einiger Zeit kann er nicht länger stehen und sinkt zu Boden. Leo verliert jegliches Zeitgefühl, bis er sich endlich wieder hinlegen kann.
Wie bereits erwähnt, gibt es eiserne Betten mit hoch schiebbaren Seitenteilen auf Stangen, ähnlich denen eines Kinderbettes. Diese Teile sind locker und verursachen durch Leos Zittern, das auf das Bett übertragen wird, ein klapperndes und schepperndes Geräusch, das im ganzen Schlafsaal zu hören ist und sich nicht verbessert.
So nimmt das Drama seinen Anfang;
Anita kommt mit ihrer Decke, diese von Leo ja jetzt komplett nass und hängt sie über die Lehnen bei ihrem Bett. Das nasse Nachthemd muss Leo ausziehen, und sie wickelt ihn in ein Handtuch und legt sich zu ihm.
Für Leo definitiv das erste Mal, dass er mit jemandem anderen gemeinsam in einem Bett lag. Jede Berührung, jede Handbewegung von ihr sich für immer in Leos Gedächtnis eingebrannt. So legt er seinen Kopf auf ihren Oberarm, spürt ihre Körperwärme. Er wird gestreichelt und dabei schlafen beide so ein.
Munter wird er, als auf Anita neben ihm eingeschlagen wird und sie unsanft aus seinem Bett gezerrt. Das Handtuch, das um Leos Körper gewickelt war, hat sich in der Nacht gelöst, und er nun einfach nur nackt.
Die Oberin wurde herbeigerufen und sprach von einem Skandal. Anita musste unverzüglich ihre Sachen packen, und mit zahlreichen helfenden Pinguinhänden waren ihre Sachen schnell in einen braunen Koffer gepackt. In der Garderobe musste Anita auf ihre Mutter warten. Leo durfte nicht zu ihr kommen.; er sie nur durch die Glastür sehen. Anita lächelte ihm zu, nur wie auch ihre Mutter begann auf sie einzuschlagen, schrie und weinte sie. Ihre Mutter zog sie an ihren wunderschönen, langen, roten Haaren und Leo hilflos, konnte ihr da nicht helfen. Aber jetzt liefen bei ihm Tränen über seine Wangen. Es war für ihn furchtbar, so sinnlos, so ungerecht. Anita konnte doch nichts dafür.
Und Leo begann jetzt durchzudrehen, der Sizilianer? Oder der Russe in ihm? Er schrie, stieß die Kleiderständer um, wollte Anita folgen, aber die schwere Glastür des Umkleideraums, die sich selbst schloss, war für ihn zu schwer. Er sah sie, wie sie in ein Taxi gestoßen wurde, und flüsterte, nur für sich:
"Ich werde dich zurückholen, Anita! Irgendwie, irgend wehr wird mir helfen und es wird sich alles aufklären!"
Leo saß noch eine ganze Weile vor der Glastür, nahm sich fest vor, alles wiedergutzumachen, und kehrte erst in den Aufenthaltsraum zurück, als die ersten Kinder, von ihren Angehörigen abgeholt wurden.