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Leo, etwas über fünf Jahre alt, zeigt aufgrund dieser letzten beiden prägenden Erlebnisse, ein besonderes Interesse an rothaarigen Mädchen und das bleibt ihm, sollte zu seinem ganz persönlichen Trauma positiv gesehen werden. Er trauert um Anita, er mit ihr die letzten Monaten zusammen. Ersatz sieht er in Sabine, eine Klosterschwester aber in einer blauen Uniform. Und sie genauso rote Haaren und dazu viele Sommersprossen. Leo stets von ihr ein Lächeln, sie schaut ganz speziell auf ihn und wird dadurch zu seiner neuen Bezugsperson.
Ich kann eure Skepsis verstehen, ihr denkt, Leo ist doch erst fünf und verhält sich nicht seinem Alter entsprechend? Das stimmt, und es liegt daran, dass er in der Kindergruppe der Kleinsten nie so spielen konnte, wie es Kleinkinder normalerweise tun, da er dort nie angekommen ist. Als er mit siebzehn Monaten zusammen mit seinem etwas älteren Onkel, abgegeben oder vielmehr abgeschoben wurde, ist Leo weinend von zwei großen Mädchen von seiner Mutter sprichwörtlich weggetragen worden. Und durch diese beiden, er in die Gruppe der Großen gekommen und Woche für Woche jeden Mittag das selbe Theater. So ist Leo auch dort aufgewachsen, groß geworden. Er hat von ihnen gelernt, sich alles abgeschaut, ihre Sprache und ihr Denken übernommen. Sein Intellekt entspricht daher dem eines deutlich älteren Jungen, eines Zehn- oder Elfjährigen. So lässt sich auch sein auffälliges Verhalten erklären.
Ein Neuzugang, vermutlich aufgrund einer Warteliste. Anitas Bett, ihr Platz, musste neu besetzt werden, und die Neue? Sie ist ebenfalls eine Schülerin mit rotem Haar – ein Zufall? Leo begrüßt sie herzlich, da er es zuletzt immer macht, die Neuen einzuführen. Die Namen der Jungen merkt er sich selten, also beginnt er bei den Mädchen. Er stellt sie allen mit ihrem Vornamen vor, was sie sichtlich beeindruckt. Ilse heißt sie, und ihre Zurückhaltung zeigt sich deutlich, wenn sie Leo etwas fragen muss – ein intensives Rot breitet sich dann auf ihren Wangen aus, was sie für Leo besonders besonders sympathisch macht.
Aber etwas anderes ereignet sich an diesem Tag etwas was in Leo bereits damals steckte und ihm herausfordere, mutig zu sein. Nach dem Essen, wie jeden Tag, legen sich die Kleinsten zum Mittagsschlaf auf Matratzen, die auf den Boden gelegt werden. Dagegen gibt es nichts einzuwenden; es ist sogar gut so.
Elisabeth, ein sehr zartes kleines Mädchen, die angeblich ein "Frühchen?", fragt, ob sie auf die Toilette gehen darf. Nein!
Wieder etwas später, nach neuerlichen bitte, bitte! Ein 'Nein', das bereits unangenehm laut, ohne Rücksicht auf die Schlafenden – und wo ist Leo? Er, der auf der Lauer liegt, lauscht genau auf solche Dinge, wie auf jedes 'NEIN'!
Die Pinguine schikanieren und demonstrieren damit ihre Macht.
Beim dritten Mal, als es bereits sehr weinerlich klingt, "Ich muss dringend!", steht Leo schon beim Regal, das als Raumteiler fungiert, und sucht Augenkontakt mit Elisabeth. Wieder ertönt zornig ein "NEIN"! Die aufsichtführende Schwester, die strickt oder stickt, schaut nicht einmal auf, um zu sehen, wer da bittet. Leo legt seinen Zeigefinger an die Lippen und blickt zur Schwester, die wiederholt 'Nein' sagt. Mit dem Rücken zu ihm gewandt, signalisiert er Elisabeth mit einer Geste, dass sie leise zu ihm kommen soll. Leo flüstert ihr zu:
"Geh jetzt, ich lege mich auf deinen Platz, bleib genau da stehen, wenn du zurückkommst." Er huscht gebückt zu der Matratze, zieht die Decke über seinen Kopf und macht sich klein.
Elisabeth kämpft mit Bauchschmerzen und Durchfall, und bald darauf äußern auch andere ähnliche Symptome. Ihre schlanke Figur könnte der Grund sein, warum sie zuerst Symptome zeigte.
„Also, wer muss auf die Toilette?“, unterbricht die Schwester ihre Tätigkeit und steht vor Leo, zieht ihm die Decke weg. Zuerst erkennt sie keinen Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen, und Leo. Dass er dort nicht liegen sollte, war offensichtlich, aber nachdem sie noch einmal nachfragt, sich wieder niemand meldet?
NEIN, NEIN, DAS GIBTS DOCH ECHT NICHT?
Noch vor zwei Wochen hätte Leo klein beigegeben und jede Strafe hingenommen, egal welche. Aber heute? Jetzt?
Leo erinnert sich an diese urkomische, aber dennoch amüsante Situation.
Er erhob sich langsam und wiederholte:
„Nein! Was bedeutet hier nein? Soll sie etwa in die Hose machen?“
„Ja, wirst du jetzt auch noch frech?“ Ließ Leo stehen, um kurz darauf mit Dorthe und einer weiteren Klosterschwester zurückzukehren.
Wie üblich versuchten sie, Leo zu ergreifen, doch er hatte es vorausgesehen und sich aus ihrem Griff gelöst. Er ging nicht einfach, er sprintete in den Waschraum, und sie folgten ihm, rannten hinter ihm her, direkt in seine Falle!
Leo, im Waschraum positioniert, lehnt an der Rückwand, während Dorthe, voller Vorfreude und mit einem grinsenden Gesicht, das fast eine Grimasse ist, weiß, dass Schwester Sabine heute freihat und Leo diesmal keine Hilfe bekommen wird. Sie lässt den Saalbesen beiseite, denn sie sind jetzt zu dritt, und Leo steht schon an der Wand?
Aber Leo möchte sich heute definitiv nicht als Opfer sehen. Er wartet noch. Dorothee richtet wie bei der Feuerwehr den Schlauch auf Leo und ruft „Wasser!“ Leo springt in diesem Moment auf Dorothea zu, wird noch vom Wasserstrahl getroffen, doch schon spürt er das Schlauchende in seiner Hand, zieht mit ganzer Kraft.
Es war wirklich lustig, und sicher konnte man ihre Schreie bis auf die Straße und in die Kanzlei hören. Der Schlauch war relativ lang, und so konnte Leo ihnen eine ganze Weile folgen und sie alle drei aber so richtig nass abspritzen.
Resümee von der Geschichte? Nicht Leo wurde entlassen, ja, wurde ihm damit gedroht, doch es kam anders!