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Das Internat, ein ebenerdiges Gebäude neben der Kirche, wird von Klosterschwestern in grauen Kutten geführt. Es beherbergt etwa 40 Vorschulkinder und einige ältere, die schon zur Schule gehen. Die Hälfte wird täglich abgeholt, der Rest bleibt von Montag bis Freitag, und einige werden nie abgeholt. Sind es Waisenkinder? Leo wusste es nicht. Er erinnerte sich jedoch an den großen Schlafsaal mit rund 20 eisernen Betten, weißem Fliesenboden und dem Geruch von Desinfektionsmittel. Mehrere große Glaskugeln hingen von der Decke und spendeten weißes Licht.
Im vorderen Teil des Raumes befanden sich die kleineren, im hinteren die größeren Betten, daneben Metall Nachttische. Jungen und Mädchen lagen nebeneinander, alle gekleidet in weiße Nachthemden, und standen zum Beten neben ihren Betten. Der Waschraum wurde in Gruppen genutzt, wobei Zähneputzen ohne das Trinken von Wasser! Darauf wurde geachtet. Die Nachtruhe begann um 20 Uhr und wurde von einer Nonne aus einem angrenzenden Raum mit einem großen Glasfenster überwacht.
Tagsüber spielen, essen, Mittagsschlaf halten, Jause genießen, wieder spielen, zu Abend essen und schlafen gehen – so schnell vergeht der Tag.
Die Besenkammer war letztendlich der Auslöser dafür, dass der Bischof persönlich das Internat besuchte, nachdem die Rettungsärztin Anzeige gegen die Verantwortlichen erstattet hatte.
Leo lag regungslos am Boden und gab vor, ohnmächtig geworden zu sein, was dazu führte, dass ein Rettungsteam gerufen wurde. Er war diesmal für eine sehr lange Zeit eingesperrt, und der Verschluss eines Kanisters mit Desinfektionsmittel war undicht, was die Luftqualität stark beeinträchtigte; selbst außerhalb im Gang war das Atmen erschwert. Jedoch bekam Leo durch den Spalt unter der Tür genügend frische Luft und war zu keinem Zeitpunkt wirklich in Gefahr. Eine junge Rettungsärztin brachte Leo in den Rettungswagen, wo ihm Sauerstoff gegeben wurde.
"Ich werde Strafanzeige gegen die Leitung des Internats erstatten. Hast du nur so getan, als wärst du ohnmächtig geworden?"
"Ja, ich musste mich auf den Boden legen, um Luft zu holen, und so ist es dann passiert, habe die Gelegenheit gleich genutzt."
Leo berichtete ihr von dem Vorfall, dem Anlass für dieses eine Mal und für die unzähligen anderen Male, als Mädchen und Buben eingesperrt wurden und ihre Hölle durchlebten.
Die Ermittlungen liefen bereits, die Kriminalpolizei nahm Untersuchungen und Befragungen vor. Der Bischof wartete daraufhin persönlich vor der Tür der Besenkammer, bis der Hausmeister den Riegel entfernte.
Leo erfuhr nie, ob es Konsequenzen für die Schwester Oberin gab, obwohl er wahrscheinlich doch davon ausging, denn er musste jetzt öfters mit dem Gesicht zur Wand stehen oder in der Ecke knien.
Leo war zwar nicht der Junge, der sich beschwerte, aber er nutzte die Gelegenheit, als sein Vater im Gewichtheber-Club bei einer fröhlichen Runde war. Es wurde über ihn gesprochen, und er erzählte, wie oft er kniet und mit dem Gesicht zur Wand stehen muss.
>>Wahrscheinlich gebührt es dir,>>
Das war sein Vater, und daraufhin war Leo sehr niedergeschlagen. Doch Weinen war nicht seine Art.Er verstummte und begann, auf dem Bierdeckel ein Strichmännchen zu zeichnen. Mit vielen feinen, kurzen Strichen, die sich kreuzten und überlagerten, entstand eine kniende Figur, die ein düsteres Bild darstellte.
Wie üblich saß er neben Max, dem Polizisten. Dieser war Schiedsrichter, Leos einziger besonderer Freund und später sein Mentor. Max bemerkte, dass etwas mit Leo nicht stimmte. In der Pause gingen sie zu seinem Auto, und Leo erzählte ihm alles. Und Max umarmte ihn lange und fest, lobte ihn und versicherte ihm, dass er ein ganz besonderer Junge sei. Es war ihm unverständlich, warum seine Eltern nicht stolz auf ihn waren.
Er versprach, bald einmal das Internat als sein "Onkel" Maximilian zu besuchen.