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Die Familie Witsch bewohnte in der Marienstraße ein beeindruckendes Zinshaus mit zahlreichen Stiegen, Innenhöfen und Pferdestallungen, die noch aus der Zeit vor dem Krieg stammten. Zusätzlich waren Räumlichkeiten für die Bediensteten vorhanden, jetzt stand alles leer.
Bereits im Treppenhaus wurde man vom Duft des Krauts empfangen, und Inge lief das Wasser im Mund zusammen. Im ersten Stock die Wohnung des Hausherrn, ein großes Speisezimmer mit einem festlich gedeckter Tisch. Kostbarem Porzellangeschirr mit Goldrand.
Leopold stellt Inge jedem vor und sie war nicht die erste Frau, die er mit nach Hause brachte. Und Großvater, zufällig an diesem Sonntagnachmittag zu Hause war, wahrscheinlich wegen des Schweinsbratens, mochte die zierliche junge Frau auf Anhieb.
Es ist allgemein bekannt, dass bestimmte Gene vererbt werden. Künstler, Musiker und sogar Alkoholiker neigen dazu, diese Eigenschaften an ihre Nachkommen weiterzugeben.
Die männlichen Mitglieder der Familie Witsch scheinen ein Gen zu tragen, das sie besonders anfällig für Frauen mit einer spezifischen Körperform macht – „vorne Brettl, hinten Latte“ macht. Heißt übersetzt, ein burschikoser Frauentyp.
Leos Onkeln, besonders Leo selbst, waren von solchen Mädchen und später Frauen sehr angezogen. Oft löste dies seinen Beschützerinstinkt aus, was ihn regelmäßig in Schwierigkeiten stürzte. Mehr darüber wird später berichtet, das ist ein Versprechen!
An jenem Abend waren fünfzehn Personen zugegen, alle voller Vorfreude auf den Schweinsbraten – ein solches Essen galt zu der Zeit als Rarität, beinahe als Laster. Die Witschischen sparten nicht; sie boten stets großzügig auf. Leos Vater schickte Inges Teller zurück, weil er meinte, es läge zu wenig Fleisch darauf. Er bestimmte auch die Sitzordnung und dirigierte die Anwesenden. Inge war davon so angetan, dass sie ihm aus Dankbarkeit zuerst in sein Zimmer folgte. Neugier war sicherlich ein Faktor, aber eine angemessene Aufklärung fehlte.
"Leopold Wilhelm Witsch der Sechste" entstand in einer fünfzehnminütigen "Prozedur", wie seine Mutter es in ihren Aufzeichnungen bezeichnet und Leo somit er kein klassisches Wunschkind. Frage? Sind Sie ein Wunschkind, ein Kind der Liebe, oder hat man sich auch arrangiert?
Für nächsten Freitag war ein Kinobesuch des Films "Asphalt-Dschungel" mit Marilyn Monroe geplant. Doch weil Renate großes Interesse an Poldi zeigte, zog sich Inge zurück. Es wird gemunkelt, dass Renate sich danach noch öfter mit ihm traf, um ihre Haare zu machen und möglicherweise mehr. "Linda", Renates Tochter, ist nur zwei Wochen älter als Leo – darüber wird viel spekuliert. Seine Mutter wollte den Kontakt zu Poldi nicht länger aufrechterhalten.