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Sodadada!
Man könnte nun meinen, da Leo in den letzten Monaten für mindestens zehn Polizeieinsätze verantwortlich war, auf Feindseligkeit seitens der Beamten stoßen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wenn die Tür zur Polizeistation offensteht und Leo vorbeikommt, ist er stets willkommen, einzutreten, und oft wird ihm sogar etwas zu trinken angeboten. Er berichtet dann über die neuesten Ereignisse im Park. Man erkundigt sich, ob der gesuchte Ritza gesehen wurde, ob alles nach Plan verläuft, oder ob vermehrt Zigaretten aufgetaucht und verkauft worden sind.
Wie kann man das verstehen?
Max war Leos Wahl-Onkel und Bezirksinspektor in Leos Straße, wo er dadurch mehr Rechte hatte als andere Bürger. Alle Polizisten im KOAT wussten, wenn Leo in eine Angelegenheit verwickelt war, musste jeder ganz genau nachfragen, denn Leo suchte nicht aus Langeweile Konflikte.
Da alle drei Beteiligten eine Rettung brauchten, wurde wieder ein neuer Polizeiakt angelegt und am Deckel Leos Name in Blockschrift.
Am nächsten Tag wartete Norberts Mutter vor der Schule und dankte mit einer Schachtel Nougat-Schokolade. Die Haushaltsversicherung würde für den Schaden am Auto aufkommen, und sie hatte eine Bitte: Könnte Leo weiterhin auf Norbert aufpassen? Norbert fiel etwas auf, mit einem überdimensionalen Kopf, vollen Lippen und weißem Haar...
Genau 24 Jahre später, als Norbert bereits Sachbearbeiter der Stadt Wien war, besuchte er Leo in dessen Gemeindewohnung. Der Grund des Besuchs war die Prüfung von Leos Antrag auf eine größere Wohnung aufgrund von Familienzuwachs und die Feststellung eines Überbelags. Der Antrag wurde positiv bewertet, und bei Kaffee und Kuchen unterhielt man sich über alte Zeiten.
Die Frage, die sich nun stellt, ist: Könnte Leo tatsächlich ein Krimineller sein, nach allem, was bisher vorgebracht wurde? Es lässt sich nicht leugnen, aber man sollte nicht voreilig urteilen, besonders in Anbetracht dessen, was er bisher über sich selbst offenbart hat.
Gewalt, Konflikte, Verletzungen, Rettungsaktionen, Polizei und Gerichtsverfahren – bereits in der Schule begannen sich Ordner in verschiedenen Farben zu sammeln. In seinem Kommissariat, in dem er wohnte, türmten sich die Akten, die mittlerweile auf eine Höhe von etwa 60 cm angewachsen und mit Schnüren gebunden waren.
Ihn als kriminell zu bezeichnen, wäre dennoch falsch. Er hat keine Handlungen begangen, die absichtlich Schaden zufügen oder Eigentumsdelikte darstellen.
Seine einzige Schwäche ist sein Einmischen, seine Zivilcourage und seine allgemeine Zuneigung zum weiblichen Geschlecht. Es jedoch als sexistisch abzutun und auf dieses Niveau herabzusetzen, wäre ebenso verkehrt.
Ein "normaler" Junge – wenn wir "normal" als die Norm betrachten – besucht die Schule, erlernt einen Beruf, trifft eine Frau, heiratet, gründet eine Familie, macht jährlich Urlaub, baut ein Haus und bleibt, abgesehen von möglichen Verkehrsdelikten, polizeilich unauffällig. Ein solides Leben mit tadellosem Ruf, ein vorbildlicher Bürger seines Landes!
Mit 15 Jahren hat Leo die Schule beendet und unmittelbar darauf eine Ausbildung zum Elektriker angetreten. An seinem neuen Wohnort ist er noch ein Unbekannter. Er zog mit seinen Eltern mitten im Schuljahr der vierten Klasse von der Stadt aufs Land um. In seiner neuen Schule werden alle vier Jahrgangsstufen in einer Klasse unterrichtet, und der Direktor ist gleichzeitig auch Lehrer.
Leo hebt sich ab, weil er den Lernstoff schon in der dritten Klasse meisterte. Er könnte jetzt sein früheres Leben zurücklassen, aber es fällt ihm schwer.
Vorschau auf 40:
Leo, ein attraktiver Junge, fiel nicht nur durch seine damals noch seltenen Lederhosen und Jacken in verschiedensten Farben auf, sondern auch durch seine selbstgeschneiderten weißen Baumwollhemden. Diese waren ohne Manschetten, Kragen und Knöpfe, die beim Raufen abreißen könnten, und. . . . .