‚Was soll ich machen?‘, fragte sich Ewan kurz darauf.
Er hatte nur zwei Optionen zur Auswahl. Er konnte Liana die Wahrheit sagen und darauf hoffen, dass sie ihm die Geschichte abkaufte – oder er beließ alles beim Alten. Dabei lief er jedoch Gefahr, dass sie früher oder später herausbekommen würde, was nicht stimmte. Es war wirklich schwierig, eine Entscheidung zu fällen. Liana war nicht dumm. Und wenn es stimmte, was sie sagte, würde sie allein aufgrund ihrer Kenntnisse recht schnell hinter das Geheimnis von Elmore Castle kommen. Erschwerend kam hinzu, dass sie irgendetwas in ihm zum Klingen brachte. Er hatte es weder Allan noch Robert erzählt, aber als er sie neulich berührt hatte, war etwas mit ihm geschehen. Zunächst hatte er das noch für puren Zufall gehalten, doch ein Irrtum war ausgeschlossen. Als er sie an ihrem ersten Tag hier in das Gästezimmer hinaufgetragen hatte, war dieses Gefühl wie aus dem Nichts aufgetaucht. Bis zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens war alles wie immer gewesen. Eintönigkeit und Gefühllosigkeit bestimmten sein Dasein. Es gab nichts auf dieser Welt, an dem sein Herz hing. Für ihn war alles farblos, trist und monoton – bis zum Augenblick ihrer Begegnung.
Vollkommen unerwartet, veränderte ihre Anwesenheit den Lauf der Dinge. Es hatte sich angefühlt, als würde er von einem Blitz durchfahren werden. Adrenalin durchdrang seinen gesamten Körper und rief Empfindungen hervor. Die Taubheit, die er seit Ewigkeiten empfand, war von jetzt auf gleich verschwunden gewesen und einer unbekannten seelischen Regung gewichen, die ihm mehr als willkommen war. Er fühlte wieder. Unbegreiflich!
Warum diese Veränderungen auftraten, vermochte er nicht zu sagen. Er wusste nur, dass es etwas mit der Gegenwart von Liana Maxwell zu tun haben musste. Erst seit sie auf Elmore Castle weilte, war er überhaupt wieder fähig zu fühlen. Der bloße Gedanke daran sorgte dafür, dass sein Herz kräftiger schlug; das Blut kraftvoll durch seine Adern schoss. Schwer atmend stand er auf, ging auf den Balkon hinaus und versuchte das Gefühlschaos in seinem Innern unter Kontrolle zu bringen. Wie hatte er nur solange, ohne irgendwelche Empfindungen leben können?
Leere war alles gewesen, was er gespürt hatte. Und nun?
Er sehnte sich wieder nach Dingen, von denen er schon vor unendlich langer Zeit Abschied genommen hatte.
Verdammt noch mal! Ein leiser Seufzer entrang sich seiner Kehle.
Ewan blickte sich um. Die Einsamkeit der Highlands erstreckte sich vor seinen Augen. Die Berge konnte man durch Dunst und Nebel nur erahnen, lediglich ihre Konturen zeichneten sich am Horizont ab.
Verzweifelt sehnte er jenes Gefühl herbei, das seinen Körper durchdrungen hatte, als ihre Hand die seine berührte, ihr Körper den seinen buchstäblich entflammte. Es hatte sich unbeschreiblich gut angefühlt.
Anders als dieses Nichts, das er gezwungen gewesen war zu ertragen.
‚Bitte, lieber Gott. Erlöse mich!‘, flehte er, während er in den Himmel hinaufsah.
Die Minuten verstrichen. Doch ebenso wie unzählige Male zuvor blieb seine Bitte auch heute ungehört.
Das Schicksal konnte man nicht ändern. Es war unmöglich, ihm zu entrinnen…
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