Irgendwann erhob sich Ewan von ihrem gemeinsamen Lager.
„Ich werde kurz in die Küche verschwinden und etwas zur Stärkung holen. Nur von der Liebe alleine können wir nicht leben.“
Wie zur Bestätigung meldete sich Lianas Magen in diesem Augenblick zu Wort.
Als Ewan das hörte, schmunzelte er.
„Ich bin gleich zurück, Liebes“, sagte er, küsste sie auf die Wange, streifte sich seine Boxershorts über und verließ den Raum.
Liana fühlte sich unsagbar glücklich. Endlich hatte sie Ewan da, wo sie ihn haben wollte: In ihrem Herzen und ihrem Bett. Das Schicksal meinte es wirklich gut mit ihr, sonst hätte es nie dafür gesorgt, dass sie diesem Mann begegnete. Ewan sah mit seinem dunklen Haar, den silbergrauen Augen und seinem athletischen Körper nicht nur gut, sondern phantastisch aus. Doch das alles wäre für sie nicht von Bedeutung gewesen, wenn sie nicht von Anfang vermutet hätte, dass sich unter der harten, äußeren Hülle jener herzensgute Mann verbarg, der endlich zum Vorschein gekommen war. Ewan war ein Opfer der Umstände geworden – mehr nicht. Nun war sein wahres Ich an die Oberfläche gedrungen. Die Verbitterung, die so lange sein Dasein bestimmt hatte, verschwunden, und er durch einen Mann ersetzt worden, der seine Gefühle offen zeigte.
Liana setzte sich auf und umwickelte ihren Körper mit einer Decke. Darin eingehüllt, ging sie zum Fenster hinüber und blickte in die wolkenlose Nacht hinaus, die vom Licht des Mondes erhellt wurde. Sie drehte sich nicht um, als sie das Klicken der Türklinke auffing, welches Ewans Rückkehr ankündigte.
„Hast du den weißen Hengst auch gesehen?“, fragte sie.
„Ja“, entgegnete er, während er das Tablett auf den Nachtschrank stellte.
„Er war überwältigend, nicht wahr?“
Ewan trat zu ihr und nahm ihre Hand.
„Ja. Das war er.“
Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, ehe er weitersprach.
„Er hat mich an dich erinnert: Bildschön, grazil und voller Anmut.“
„Und ich meinte, er wäre wie du: Stolz, heißblütig und verwegen.“
Sie lachte.
„Vielleicht haben wir uns seine Existenz nur eingebildet.“
„Wäre das so schlimm?“
„Nein“, antwortete Liana. „Ich habe eh nur Augen für dich.“
„Diese Tatsache ist mir nicht verborgen geblieben. Dasselbe gilt für mich. Du hast mich gelehrt, wieder zu fühlen, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Dafür bin ich dir zutiefst dankbar.“
„Deine Dankbarkeit ist nicht das, was ich will…“
„Bitte, lass mich ausreden“, unterbrach er sie.
„Du hast mir beigebracht, dass nicht das, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, unser Schicksal ausmacht. Dein Verständnis für meine Situation und deine Liebe haben dazu geführt, dass ich mir wieder selbst ins Gesicht blicken kann – trotz der recht eigentümlichen Umstände. Ich habe nunmehr verstanden, dass man immer und bei jeder Gelegenheit, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort ist. Und das alles, was geschieht, seinen Sinn hat. Als ich das verstand, konnte ich wieder zu dem Mann werden, der ich einst war. Jetzt weiß ich, dass sich das Selbstachtung nennt. Außerdem habe ich begriffen, dass manche Momente für immer andauern, sogar, wenn sie vorüber sind. - Selbst, wenn man tot und begraben ist. Sie haben bis in alle Ewigkeit Bestand, bedeuten alles und sind überall zur gleichen Zeit. Sie sind es, worauf es ankommt. Und ebensolche Augenblicke darf ich mit dir erleben. Mir ist egal, was die Zukunft bringt. Wenn du bereit bist, das Wagnis einzugehen, bin ich es auch. Was meinst du?“
„Du bist jedes Risiko wert, Ewan Cameron. Gemeinsam werden wir allen Widerständen trotzen. Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig gebrauchen. Verlorene Zeit kommt nicht wieder, darum sollten wir sie nutzen.“
„Wie Recht du damit hast. Ich will keine weitere Sekunde mehr vergeuden.“
Ewan nahm Liana in seine Arme und trug sie die wenigen Meter zurück zum Bett. Dort schälte er sie sanft aus der Decke, um sie ein weiteres Mal zu lieben.
Als beide gefühlte Stunden später ermattet, aber glücklich, in den Armen des anderen einschliefen, war ein neuer Tag gerade dabei, sein Licht zu entfalten…
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