Das Abendessen verlief in entspannter Atmosphäre. Selbst Ewan beteiligte sich an den Gesprächen. Und wie immer war vor allem Robert eitel Sonnenschein, aber das lag wohl in seiner Natur. Er bildete das vollkommene Gegenstück seines eher mürrischen Bruders, der gerade dabei war, seinen Stuhl näher an den Kamin heranzurücken. Liana konnte den Blick nicht abwenden. Er wirkte irgendwie gequält. Obendrein bedurfte er dringend einer Rasur. Dunkle Bartstoppeln bedeckten sein Kinn. Sein Gesicht sah wie aus Stein gemeißelt aus. Und dann seine Augen… Dieses einzigartige Silbergrau, das durch den Schein des Kaminfeuers noch intensiver herüberkam, als es ohnehin schon der Fall war.
Als ihre Blicke aufeinandertrafen, war sie wie hypnotisiert. Sie nahm nichts Anderes mehr wahr, als deren durchdringenden Schimmer, der ihr die Luft aus den Lungen zu saugen drohte. Ihr Herz pochte wild, ein Schauer durchlief ihren Körper.
Was passierte nur mit ihr? Sie konnte sich auf diese Reaktion ebenso wenig einen Reim machen wie auf einige andere Begebenheiten der letzten Tage.
„Warum ist eine schöne Frau wie du alleine?“, fragte Robert in diesem Moment und holte Liana damit in die Wirklichkeit zurück. „An Angeboten sollte es dir doch eigentlich nicht mangeln.“
„Wahrscheinlich, weil ich nie einem Mann wie dir begegnet bin“, konterte Liana amüsiert.
„Darf ich das jetzt als Einladung verstehen?“
Verschmitzt zwinkerte er ihr zu.
„Ach, Robert. Du bist ein wirklich netter Kerl, aber leider überhaupt nicht mein Typ.“
Liana lachte.
„Jetzt bin ich zutiefst in meiner Ehre gekränkt“, meinte er, strafte seine Aussage jedoch Lügen, indem er in ihr Lachen einfiel. „Nein. Ist schon in Ordnung. Ich nehme es nicht persönlich. Du hast mich durchschaut. Vermutlich stehst du eher auf die schweigsamen Typen. Sollte dies der Fall sein, dann ist mein Bruder die beste Wahl. Er mag nicht der Gesprächigste sein, aber er ist ein herzensguter Mensch.“
„Sei nicht albern“, erwiderte sie, während sie das Geschirr abzuräumen begann und sich in Richtung Küche davonmachte.
„Was bezweckst du eigentlich damit, Robert?“, fragte Ewan, der sich einstweilen in das angrenzende Zimmer zurückgezogen hatte. „Du weißt genau, warum ich mit dem weiblichen Geschlecht schon vor sehr langer Zeit abgeschlossen habe.“
„Ach. Tatsächlich?“ Robert hob sein Whiskyglas an und schmunzelte, als er zu seinem Bruder hinüberschlenderte. „Selbst einem Blinden dürften die bedeutungsschwangeren Blicke, die ihr beiden einander zugeworfen habt, nicht entgangen sein.“
„Halt endlich deinen Mund! Wir werden später über deinen Versuch reden, Amor zu spielen.“
„Wieso? Nur, weil ich die Wahrheit sage? Vergiss es! Du solltest Liana endlich reinen Wein einschenken. Sie ist keinesfalls auf den Kopf gefallen und wird früher als du glaubst, hinter unser Geheimnis kommen. Also kannst du ihr auch alles offenbaren. Unsere Einwilligung dazu hast du. Vielleicht ist sie ja der Schlüssel. Komm, Allan. Soll der Schlossherr zusehen, wie er aus diesem Schlamassel herausfindet.“
„Erzähle ihr die Geschichte“, pflichtete Allan Robert bei.
„Wie ihr wollt. Aber falls ihr meint, euch einfach so aus der Affäre ziehen zu können, seid ihr schief gewickelt. Ihr bleibt.“
„Nein. Bruderherz“, sagte Robert. „Das ist eine Angelegenheit, die du mit dem Mädchen alleine regeln musst. Fass dir ein Herz und erzähle ihr alles. Im schlimmsten Fall schenkt sie dir keinen Glauben. Du hast also nichts zu verlieren.“
Mit diesen Worten verließen die beiden den Raum.
Ewan blieb unterdessen vor dem Kamin stehen und stocherte im Feuer herum, bis rote und orange glühende Funken aufstoben…
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