In seiner Wohnung musste Matt nur noch ein paar Sachen in den Koffer packen. Er wechselte aber noch schnell seine Kleidung. Denn es wäre keine gute Idee in einem Smoking im Krankenhaus aufzutauchen.
Wie er schon seinen Freunden gesagt hatte, kam es nicht in Frage, den Jet seiner Familie zu nehmen. Da er nicht wollte, dass irgendjemand – vor allem sein Vater – wusste, wohin er gehen würde bis er bereit dazu war, dass zu erklären. Er wusste, sein Vater konnte und würde ihn sofort aufspüren, besonders wenn er den Familienjet nehmen würde.
Matt griff zu seinem Handy.
„International Fly.“
„Hi. Können Sie mir sagen, welche Flüge von Heathrow nach Hartford gehen?“
„Hartford in Connecticut? USA, Sir?“
„Ja“, gab Matt ungeduldig zur Antwort.
„Bradley International Airport in Hartford, Connecticut. Wann möchten Sie fliegen?“
„Sobald wir das Telefonat beendet haben.“
„Oh. Sind sie schon in Heathrow?“
„Nein!“
„Wie lange benötigen Sie dorthin?“
Matt verzog das Gesicht als er auf seine Uhr schaute. Eigentlich würde die Fahrt fünfunddreißig Minuten dauern.
„Gute zwanzig Minuten.“
„Es gibt um 7:55 Uhr einen Flug.“
„Morgen?! Das ist direkt?“
„Nein. Aber nach Hartford gehen nicht viele direkte Flüge. Aber wenn sie bereit wären in New York zu…“
„Das bringt mich nicht nach Hartford, oder?“
„Sie können ein Taxi vom JFK nach Hartford nehmen.“
Verdammt. Matt seufzte frustriert. „Um wie viel Uhr geht der Flug nach New York und wann komme ich da an?“
„Der Flug geht um 22:50 Uhr und Sie kommen um 1 Uhr New Yorker Zeit dort an.“
Es war 21:42 Uhr. Das gab ihm eine gute Stunde bis der Flug ging. „Alles klar. Erste Klasse.“
„Ja, Sir. Besitzen Sie ein Vielfliegerkonto?“
„Ich sag Ihnen was, buchen Sie einfach den Flug. Ich habe es eilig.“
„Okay, Sir. Ich brauche nur ihre Kreditkartennummer.“
Drei Stunden später saß Matt in der ersten Klasse. Die Taxifahrt war die Hölle. Um ein Haar hätte er seinen Flug, wegen den ganzen Staus, verpasst. Mit einem erste Klasse Ticket konnte er direkt durch die Sicherheitsschleusen und ins Flugzeug gehen. Als er endlich auf seinem Platz saß, wurde ihm bewusst, dass ihn das Gefühl der Sorge angetrieben hatte. Allein mit seinen Gedanken nahm sein Geist eine ungewohnte rastlose Ruhe ein.
Matt lehnte sich zurück und schloss die Augen und versuchte zu verarbeiten, was Lorelai ihm erzählt hatte. Das Adrenalin in seinem Körper baute sich ab und nach einem anfänglichen Wutausbruch hatte der Schock die Kontrolle übernommen.
Zum ersten Mal in seinem Leben konnte Matt Leighton nicht verstehen. Er konnte nicht verstehen, warum sie ihm nichts von dem Baby erzählt hatte. Ja, sie wollten die Beziehung beenden. Matt hatte widerstrebend zugestimmt. Aber dieses Baby war ebenso ein Teil von ihm wie ein Teil von ihr. Sie hatte nicht das Recht gehabt ihm das zu verheimlichen. Dennoch konnte er gerade nicht sauer auf sie sein. Sie hatte einen schweren Unfall und er machte sich auch Sorgen um sie. Matt wusste nicht was passiert war und wie schlimm es um Leighton wirklich stand.
Seine Gefühle fuhren Achterbahn. Dieses auf und ab machten ihn verrückt. Lorelai schien ihn nur angerufen zu haben, weil sie Angst hatte um Leighton und das Baby. Oder stand es weitaus schlimmer um Beide als er dachte? Wie lange hätte es wohl gedauert, wenn Leighton keinen Unfall gehabt hätte und alles normal verlaufen wäre, bis er von seinem Kind erfuhr? Hätte Leighton versucht es ihm zu verheimlichen? Hätte er es vielleicht von einem Bekannten erfahren? Oder vielleicht bei einem Yale Alumni Event? Verdammt, er wusste es nicht.
„Hey.“, er winkte eine Stewardess herbei.“ Könnte ich einen starken Scotch bekommen? Oder, warten Sie. Ich nehme einen Doppelten.“
„Ja, Sir.“, gab die blonde, attraktive Stewardess zur Antwort. „Bitte lassen Sie mich wissen, wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann.“
Matt runzelte die Stirn. Diese übermütige Aufmerksamkeit konnte er gerade nicht gebrauchen. „Danke, nur das Getränk.“
Zu der Angst, dass Leighton nicht wollte, dass er von ihrem gemeinsamen Baby wissen sollte gesellte sich das Gefühl der Angst um Leighton. Er fühlte sich hilflos. Hätte er vor Monaten von dem Baby erfahren, hätte er alles anders geplant. Sein Baby und Leighton hätten die besten Ärzte des Landes bekommen und vielleicht wäre dann dieser Unfall nicht passiert. Doch was für einen Unfall hatte sie? War sie gestürzt und auf dem Bauch gefallen? Wurde sie angefahren? Gab es Komplikationen? Er wusste es nicht und das frustrierte ihn. Aber er wusste zu genau, hätte er eher von der Schwangerschaft erfahren, hätte er nie ein Datum für die Hochzeit festgelegt. Es wäre nie soweit gekommen.
Praemonitus Praemunitus – bist du gewarnt, bist du gewappnet. Vielleicht nicht so einprägend wie in omnia paratus, aber in mancher Hinsicht zutreffender.
Jetzt wo er von dem Baby und dem Unfall wusste, konnte er nur noch reagieren. In den nächsten sechs oder sieben Stunden konnte er nichts tun. Er wusste nicht was in Leighton vor sich gegangen war, aber jetzt gab es kein Zurück mehr für ihn. Matt wollte für Beide da sein. Wahrscheinlich explodierte gerade sein Leben in London, nicht nur weil er das Probeessen seiner eigenen Hochzeit verlassen hatte sondern auch, dass es bald offensichtlich sein würde das diese Hochzeit niemals stattfinden wird.
Hätte Matt nicht die Reißleine gezogen, hätte es sicherlich sein zukünftiger Schwiegervater Gerald LeRoy getan. Diese Ironie brachte ihn zum schmunzeln.
Ein Verwandter der LeRoy Familie hatte den Vertrag bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und der Familie Hemingway vorgestellt. Stunden der juristischen Nachforschung bezüglich Kindergeld, Unterhaltszahlung und Vertragsbruch hatte es gekostet bis alles in trockenen Tüchern war. Zudem wurde festgelegt, dass außereheliche Kinder vor der Hochzeit vollständig zu benennen waren und finanziell versorgt werden sollten.
Natürlich war es jetzt eine Ironie, denn Matt hatte nicht damit gerechnet Kinder zu haben. Denn hätte er es gewusst, hätte er sich niemals auf die Hochzeit eingelassen. Das Timing der Beichte war wunderbar, wenn auch ein bisschen früh für das Baby. Doch das spielte keine Rolle mehr. Die Stewardess brachte Matt lächelnd seinen Scotch.
Er nahmen einen Schluck und überlegte ob er Lorelai anrufen sollte, um ihr zu sagen, dass er unterwegs war. Er dachte etwas über die Idee nach. Was, wenn sie ihm dann sagte, dass etwas Schlimmes passiert war? Was wenn das Baby nicht überlebt hat? Was, wenn Leighton nicht überlebt hat? Wenn das so sein würde, was sollte er dann zu Leightons Mutter sagen? Was, wenn sich Lorelai jetzt doch überlegt hatte, dass es schlechte Idee war ihn anzurufen? Was, wenn Beide nicht überleben würden? Anstatt über mögliche Situationen nachzudenken, verwarf Matt diese Idee wieder. Er wollte den Teufel nicht an die Wand malen.
Matt fühlte sich beklommen. Denn er dachte auch darüber nach wie Lorelai reagieren wird, wenn sie ihn sieht. Er wusste schließlich das Lorelai wusste, dass er Leighton geschwängert hatte und kurz darauf nach London zurück ging um eine andere Frau zu heiraten. Oder wusste Lorelai das nicht? Ob sie diese Kleinigkeit wusste oder nicht, spielte keine Rolle, denn er bereitete sich darauf vor, dass Leightons Mutter ihm eine Predigt halten würde.
Er dachte weiter nach. Vielleicht war es ja gar nicht so schlimm, wie Lorelai es machte. Doch er kannte Lorelai. Er konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, dass Lorelai die Situation anders darstellte als sie es war. Warum sollte sie auch? Es gab dafür eigentlich keinen Grund. Es ging um die Gesundheit von Leighton und ihrem Kind, damit würde Lorelai keine Späße machen.
Matt nahm noch einen Schluck von seinem Scotch als die Lichter von London in der Dunkelheit verschwanden und seine Bedenken auch weniger wurden. Seine Gedanken schweiften ab. Er machte sich jetzt Gedanken darum, was sein Verschwinden für ein Wirbel ausgelöst hatte. Doch in stiller Einsamkeit etliche Meilen über der Erde verdrängte er diesen sinnlosen Gedanken wieder. Es interessierte ihn einfach nicht, für ihn gab es im Moment wichtigere Sachen.
Seufzend blickte Matt aus dem Fenster in die Dunkelheit. In wenigen Augenblicken wurde sein vorbestimmtes Leben komplett auf den Kopf gestellt. Seit langer Zeit hatte er keine Ahnung gehabt, was der nächste Morgen bringen würde. Er konnte nur noch an Leighton denken und das seit er Zweiundzwanzig und sie Neunzehn war.
Und wieder fragte er sich, warum Leighton ihm nichts gesagt hatte. Welche Entschuldigung könnte sie vorbringen? Gab es überhaupt eine Entschuldigung, die es verständlich erklären konnte?
Aber egal welche Entschuldigung er zu hören bekommen würde, es würde nicht wichtig sein, wenn es Leighton und seinem Kind gut gehen würde. Doch sollte es irgendwo ein kleines Aber geben, könnte er sofort nach London zurückkehren – theoretisch zumindest. Er müsste dann nur eine plausible Erklärung für Geraldine finden, damit die Hochzeit stattfinden würde. Vielleicht nicht diesen Samstag, aber vielleicht nächsten Samstag oder Samstag in einem Monat.
Wenn es das überhaupt war, was er wollte oder was Leighton wollte. Matt verschwendete nicht einen Gedanken daran, was seine Verlobte wollte. Seine Gedanken machten ihn verrückt.
Schließlich gelandet es Matt doch, mit einem ausdruckslosen Blick auf das schwarze Meer ruhiger zu werden. Er deutete es als zweite Chance für sich, die Frau, die er immer geliebt hatte und für ihr gemeinsames Kind. Allerdings fiel ihm jetzt auf, dass er nicht wusste ob es ein Mädchen oder Junge war.
Matt schaltete seinen Laptop ein. Er musste sich um einige Dinge kümmern. Das Flugzeug wird um ein Uhr nachts in New York landen und die Fahrt nach Hartford wird mindestens zwei Stunden dauern. Somit wäre er um drei Uhr in Hartford. Da er offensichtlich nicht in dem Familien Anwesen wohnen konnte, musste er sich ein Hotelzimmer buchen. Er buchte sich in das Marriott ein und reservierte sich eine Suite. Als Nächstes schaute er nach einem Blumenladen, wo man online Blumen bestellen konnte. Doch was für Blumen sollte er bestellen? Sollte er überhaupt welche bestellen? Matt entschied sich gegen die Blumen und sonstigen Präsenten, denn er wusste ja nicht wie es seinem Kind und Leighton ging.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es weit kurz vor drei Uhr in London war und es damit kurz zehn in Connecticut war. Sollte er vielleicht doch versuchen Lorelai anzurufen? Diesem Gedanken verwarf er jedoch sofort wieder. Doch es war schon spät um seinen Plan zu ändern. Seine Meinung nach Hartford zu fahren konnte niemand mehr ändern.
Du springst, ich springe…
In Anbetracht dessen, wie er seine Zeit bis zur Landung am JFK am besten nutzen könnte, notierte er sich ein paar Dinge, die er noch nachlesen wollte. Komplikationen bei Frühgeburten, bestes Krankenhaus, beste Intensivstation für Frühgeborene. Die er dann auch im Internet recherchierte. Doch er musste noch, dass die Fahrt von New York nach Hartford ohne Probleme verlief.
Er zog sein Handy aus seiner Tasche und aktivierte die Funktion für das Boardtelefon.
„Hallo, Matt Hemingway hier. Ich habe mein Konto seit Jahren nicht mehr genutzt, da ich seit Jahren in London lebe. Ich werde heute Nacht um 1:00 Uhr auf dem Flughafen JFK landen. Besteht die Möglichkeit, ein Auto zu bekommen, dass mich nach Hartford bringt?... Super… arbeitet Frank immer noch bei Ihnen?... Ja wenn er verfügbar ist, würde ich ihn gerne haben. Zudem würde ich ihn gerne in den nächsten Tagen auf Abruf in Hartford haben…“
Nachdem Matt auch die Fahrt von New York nach Hartford organisiert hatte konnte er sich etwas entspannen. Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück und schloss die Augen.
Stunden später verließ Matt die Ankunftshalle des British Airways Terminals. Er zog seine Handy aus der Tasche und deaktivierte den Flugmodus. Kaum hatte er dies getan explodierte sein Handy. Er hatte Voicemails von Finn, Colin, Lorelai, Geraldine, seiner Schwester und seinem Vater. Mal ganz abgesehen von den ganzen Nachrichten. Sein Vater hatte ihm eine nicht so förmliche Nachricht geschickt, die er ignorierte. Eine Nachricht jedoch ließ ihn durchatmen. Sie war von Lorelai.
Dem Kind geht es gut.
Die fünf einfachen Worte beruhigen ihn etwas.
Er drückte auf Antworten.
Das erleichtert mich. Ich bin um 9 Uhr im Krankenhaus.
Als Matt in die milde Nacht trat, atmete er tief durch bevor er sich auf dem Weg zu dem Parkplatz machte um nach Frank Ausschau zu halten.
Als er seinen ehemaligen Fahrer, neben seiner Limousine stehen sah winkte er ihm zu.
„Hey Frank.“, lächelte er. „Schön dich zu sehen.“