Freude strahlte aus den orangebraunen Augen in dem sonnengebräunten Gesicht. "Ich habe eine Vision, eine Vision, dass sich die Menschen in Frieden zusammen finden und gemeinsam eine neue Zivilisation aufbauen. Eine Welt, in der wir unsere Konflikte beilegen und auf die gemeinsame Aufgabe einer menschengerechten Welt konzentrieren."
Tara lümmelte auf dem weichen Bett ihrer Freundin Jinny, während sie dem Interview lauschte. Die hatte die Sendung bei irgendeinem Internet-TV-Anbieter entdeckt. Statt mitzuhören, war sie duschen gegangen. 'Das musst du dir unbedingt anhören', hatte sie gesagt. 'Ich hab mich schon beworben, du musst unbedingt mitkommen.'
Davon war Tara alles andere als begeistert. Sie wollte eine Weile als Au-Pair in Übersee arbeiten oder auf einer Farm in Australien anheuern, egal was. Hauptsache raus aus dem normalen Leben. Eigentlich hatte sie gehofft, dass ihre beste Freundin sie begleiten würde. Und nun hatte sie sich für ein wer weiß wie langes Studium angemeldet und wollte auch sie noch überreden, nahtlos aus der Schule in die Uni. Wer soll das denn aushalten? Nach Taras Empfinden hatte sie in den letzten Monaten vor der Abiprüfung mehr gebüffelt als einem Menschen im ganzen Leben gut tun konnte.
'Die sind anders', hatte Jinny ihre Proteste weggefegt, mit den Augen gerollt, um das 'anders' in die Länge gezogen noch zu unterstreichen.
Tara schüttelte den Kopf.
Der Mann in dem Interview sprudelte über vor Begeisterung. Offenbar war es ein paar Menschen irgendwie gelungen, eine Finanzierung hin zu bekommen, so dass alle - wirklich alle - Studenten in der Uni eine Art Minimal-Gehalt bekommen sollten. Bedingung war, dass sie an den Veranstaltungen teilnahmen und eigene Projekte machten. So, wie es klang, würde es ein Vollzeitjob werden, dieses 'spirituelle studium generale'.
Wie wollen Sie Meditation prüfen? Ist ein Abschlussexamen nicht schwer vorstellbar?
Die Interviewerin, eine Frau in den Vierzigern mit blonden langen Haaren, ging in die Detaills.
"Das ist eine gute Frage", stimmte Bernsteinauge zu. "Wir sind da ganz mit Ihnen. Deswegen wird es auch keine Prüfungen geben." Er lächelte freundlich in den Raum.
Tara horchte auf. Keine Prüfungen? Das klang wie die einzige Universität, die sie jemals locken könnte!
Wie wollen Sie dann Leistung feststellen? Und wird man Sie ernst nehmen, eine Universität ohne Abschluss, keine Doktoranden, nichts?
"Ich möchte nicht seltsam klingen oder gar herablassend. Unsere Studenten werden durch ihre Kreativität, durch ihre Ausstrahlung, durch ihre Projekte ausreichend Aufmerksamkeit bekommen. Es geht ja nicht um eine absolut messbare Leistung. Es geht um die Erforschung und Verkörperung des individuellen Potentials. Das können Sie mit Tests nicht prüfen."
Fordert ein bezahltes Studium nicht dazu heraus, es zu missbrauchen? Ein Anziehungspunkt für Menschen, die nicht arbeiten wollen?
"Es wird ein Gespräch vor Aufnahme des Studiums geben. Und da es kein vorgeschriebenes Pensum gibt, keine verbindliche Studiendauer, kann sich niemand darauf ausruhen. Einen gewissen Prozentsatz Uninteressierter, die die Zeit nur nutzen um zu parken, mag es vielleicht geben. Das können wir verkraften. Vielleicht lässt sich der eine oder andere doch noch anstecken. Wer weiß, wozu die Menschen das brauchen? Aber schauen Sie lieber auf das Potential, das wir bieten: Jede Studentin, jeder Student wird gemäß seinen Interessen und Anlagen gefördert. Das wird richtig viel Spaß machen. Ich gehe eher davon aus, dass wir ein Problem damit kriegen, die Leute zum Pause machen zu bewegen."
Ein vollmundiges Versprechen.
"Sehen Sie, die Welt krankt daran, dass wir uns zu viel von Angst leiten lassen: Dass dieser nicht genug tut für sein Geld. Dass jener mehr bezahlt bekommt als ich, obwohl er nicht länger arbeitet oder nicht mehr. Dass irgendeine kleine Ungerechtigkeit herrscht. Dass jemand irgend etwas zu Unrecht bekommt. Wieviel Energie und Druck wenden wir auf, um uns gegenseitig zu kontrollieren und klein zu halten? Wenn wir darauf vertrauen, dass jede und jeder gemäß seinen Anlagen, Interessen und Möglichkeiten sich einbringen will und das auch tut: Das setzt Energie frei."
Viele Menschen sind doch leider so, dass sie auf ihren eigenen Vorteil sehen. Um es freundlich auszudrücken.
"Ich verstehe diese Angst vor Trittbrettfahrern nicht. Noch einmal: Wir können natürlich unsere Energie darauf verschwenden, uns über sie aufzuregen, sie zu verdammen, sie zu kontrollieren. Oder wir können tun, was wir für richtig halten und durch unser Beispiel einen neuen Wert verkörpern. Es ist ja so, dass viel Werbung Menschen erst zu Schnäppchenjägern macht. Auf gesellschaftlicher Ebene ist es aber so, dass sie hinten herunter fallen. Weil Geiz eben nicht toll ist. Sondern unglücklich macht. Ein verantwortungsbewusstes Leben, wenn wir Lust haben, gute Entscheidungen zu treffen, auch beim Einkauf, dann geht es uns selbst besser. Das ist das, das die Menschen nicht sehen, die auf Trittbrettfahrer schimpfen. Die können mir eher Leid tun. Sie werden niemals das Erlebnis haben, wie es ist, wenn andere dich dankbar anschauen, weil du ihnen etwas gegeben hast. Weil du mitfühlend bist. Weil du eben einfach du selbst bist. Trittbrettfahrer sind von Angst getrieben - Angst nicht gut genug zu sein, um zu bestehen. Angst nicht genug zu bekommen. Was auch immer. Was wir vorschlagen und auch verkörpern möchten, ist genau das Gegenteil: Die Freude, die darin liegt, unsere Fähigkeiten zu entwickeln und zu nutzen. An einer lebenswerten, umweltfreundlichen Gesellschaft mitzuwirken. Manche in größerem Stil, manche im kleineren. Das ist doch egal. Der eine fühlt sich gut, wenn er 13 Stunden durch arbeitet. Der andere schafft gerade mal zwei Stunden am Tag. Das ist doch nicht wichtig. Aber wenn wir uns begegnen, dann haben wir Respekt voreinander. Dann feiern wir zusammen, dass das Leben so ist, wie es für uns alle am besten ist. Das ist wichtig. Für unsere ethischen Werte auch mal auf einen Togo-Kaffe verzichten. Ein Wegwerfbecher weniger, der nicht die Ozeane vergiftet. Super. Diese Menschen, die darauf aus sind, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu bekommen, die brauchen dringend mehr Zuwendung. Wie gut wird unsere Gesellschaft, wenn wir es schaffen, sie in unsere Mitte zu nehmen. Sie verstehen lernen, mit ihnen zu fühlen, sie anzunehmen? Wenn wir es schaffen, uns dort hin zu entwickeln, jeder einzelne und als Kollektiv, dann haben wir schon einen riesigen Schritt gemacht."