Die beiden Mädchen ziehen dich weiter in die Tiefe. Ihr schwimmt eine Weile durch einen Tunnel im Stein, der tief unter die Insel führt, dann ins offene Meer. Schnell wird das Wasser um dich herum immer dunkler, bis du kaum noch etwas sehen kannst.
„Vielleicht erinnerst du dich ja jetzt“, knurrt Unakit düster.
Du richtest den Blick nach unten, genau wie die beiden Mädchen.
Dein Herz bleibt fast stehen. Im dunklen Wasser unter dir erkennst du umhertreibende Trümmer und die grauen, abgestorbenen Reste von Korallen. Wie in einem eingefrorenen Bild treiben die Trümmer langsam durch das Meer.
Dazwischen siehst du mit einem Mal leblose Körper. Menschen, bis darauf, dass ihre Beine zu Fischschwänzen zusammengewachsen sind. Vielen fehlen Körperteile, die offenbar bei einem Kampf abgetrennt oder nach dem Tod von Fischen abgeknabbert worden sind. Ein toter Wal, den Bauch nach oben gekehrt, treibt stumm vorbei.
Das Wasser schmeckt mit einem Mal faulig. Du starrst die beiden Mädchen entsetzt an.
„Was auch immer du getan hast, Zweibeiner“, knurrt Unakit feindselig, „du hast Atlantis zerstört! Unsere Heimat, unser Volk, einfach alles. Wir beide sind die einzigen Überlebenden.“
„Warum hast du das getan?“, fragt Opal dich. „Wir hätten dir niemals vertrauen sollen!“
Unakit nickt grimmig. „Wir hätten dich schon damals töten sollen. Das holen wir jetzt nach.“
Entsetzt weichst du zurück. Du gestikulierst wild mit den Händen. Wie sollst du den Mädchen begreifbar machen, dass du dieses Ergebnis nicht gewollt hast? Du wolltest Atlantis retten und es nicht zerstören!
Doch die Meerjungfrauen sind in ihrem Element und dir an Geschwindigkeit und Beweglichkeit deutlich überlegen. Sie verbleiben ruhig an deiner Seite und beobachten deine fruchtlosen Fluchtversuche.
„Hast du dich nicht gefragt, wieso du diesmal ein Kraut zum Atmen bekommen hast?“, fragt Unakit gehässig. „Beim letzten Mal hast du das normale Atemröhrchen bekommen, erinnerst du dich?“
Du starrst die Rothaarige an. Du ahnst, dass dir nicht gefallen wird, was nun folgt.
„Es ist Gift“, antwortet Unakit. „Zuerst wirkt das Kraut so, als könnte man damit unter Wasser atmen. Doch nicht mehr lange, und es wird dich lähmen. Du wirst ertrinken.“
Der Druck der unendlichen Wassermassen über dir scheint sich auf deine Schultern zu senken. Du starrst die Meerjungfrauen an und versuchst dann panisch, nach oben zu schwimmen. Unakit folgt dir mit ruhigen Bewegungen.
Nur Opal zögert. „Lass uns gehen, ja?“
Unakit schüttelt den Kopf. „Ich will sehen, wie es stirbt. Wie es für unser Leid bezahlt.“
Du kannst deine Beine nicht mehr bewegen. Du kriegst immer noch Luft, aber die Wasseroberfläche zu erreichen, wirst du nun nicht mehr schaffen. Du kannst nicht einmal das Licht der Sonne sehen, so tief unten seid ihr.
Opal wendet traurig den Blick ab und schwimmt davon. Unakit dagegen beobachtet dich mit verschränkten Armen. Immer noch kannst du atmen, doch keinen einzigen Muskeln mehr rühren. Nur mit den Augen kannst du Unakit anflehen, was diese allerdings nicht erweicht.
Dann kommen die Fische. Der Geruch deines wehrlosen, warmen Fleisches hat sie angelockt. Und du kannst dich zwar nicht rühren, aber deine Nerven funktionieren noch einwandfrei. Das letzte, was du siehst, ist Unakits Blick. Hart und unnachgiebig, voller Hass – und voller Verzweiflung. Nicht einmal dein Tod scheint ihr irgendeine Befriedigung zu geben. Wie sollte es auch, immerhin sind sie und Opal dazu verdammt, bis zu ihrem Tod den Verlust ihres ganzen Volkes zu beweinen und zuzusehen, wie Atlantis vom Ozean zersetzt wird.
Genauso wie dein Fleisch, nebenbei bemerkt.
Du bist tot.
Tot? Das passt mir aber gerade nicht!