"Was macht er denn jetzt?"
Die Frage meines Mannes reißt mich aus meiner Beschäftigung. Ich lege die Handarbeit beiseite und trete zu ihm ans Fenster.
Im Hof flackert noch der Bewegungsmelder, hinter der Scheune erkenne ich einen hellroten Schimmer.
Vor knapp einer Viertelstunde hat unser Sohn das Haus verlassen, nachdem er sich beinahe den ganzen Tag in seinem Zimmer erst ausgetobt und dann verkrochen hatte.
Ich höre Schritte hinter mir und drehe mich um. In der Tür steht stirnrunzelnd unser ältester Sohn mit einer Bierflasche in der Hand.
Er verzieht seine Nase und neben mir zuckt mein Mann zusammen.
Dann eilt er mit großen Schritten fluchend an mir vorbei und greift sich seine Weste vom Haken. Alarmiert folge ich ihm und auch Martin setzt sich in Bewegung.
Vor der Tür halte ich inne.
Was ist das für ein Geruch?
Ich begreife erst, als ich um die Ecke biege.
Auf halben Weg zwischen Scheune und Zaun lodert ein sorgsam aufgeschüttes Lagerfeuer. Paul ist ebenfalls stehen geblieben. Ich berühre seinen Rücken, lege eine Hand zwischen seine Schulterblätter.
Im Schein der Flammen kann ich unseren jüngeren Sohn erkennen.
Er steht auf der anderen Seite und füttert das Feuer immer wieder mit Gegenständen.
Keiner sagt ein Wort.
Nur dieses Knistern, wenn ein weiteres Papier gefressen wird.
"Scheiße", flüstert Martin, der zwei Schritte neben uns steht.
Noch immer werden Fotos, Briefe, Bücher und offenbar auch Kleidungsstücke Opfer. Es dauert, bis der in einer Kiste hergeschleppte Vorrat aufgebraucht ist.
Es stinkt jetzt furchtbar, aber zumindest ist das Feuer an sich unter Kontrolle.
Weiterhin schweigend starren wir hinein.
Der Wind trägt die Hitze und den Gestank jetzt genau in unsere Richtung. Paul zieht mich sanft etwas zur Seite. Ich hebe meinen Kopf und erstarre.
Jan sitzt im Schneidersitz am Boden und hält einen kleinen Schlüsselbund in der Hand. Neben ihm liegt ein letztes Stück Papier. Sein Gesicht ist fast schwarz vom Ruß. Tränen haben dafür gesorgt, dass es wie eine Maske aus der Hölle wirkt.
Trauer ist ein grausames Spiel.
Offenbar soll nichts zurückbleiben und mich ergreift das Gefühl, dass er dies hier irgendwann bereuen könnte.
Vorsichtig mache ich einen Schritt auf meinen Sohn zu. Wohlwissend, dass er mich genauso wenig an sich heran lassen wird, wie in den letzten Tagen und Wochen. Doch ich muss es doch zumindest versuchen.
Noch ehe ich ihn erreiche, landet auch der letzte Brief im Feuer und Jan schiebt sich den Schlüssel in die Tasche seines völlig verrußten Pullis.
Dann sieht er mich an und ich bleibe stehen.
In seinen Augen steht der Kummer geschrieben, aber gleichzeitig eine grausige Kälte.
"Lass mich", flüstert er heiser.
Hilflos halte ich ihm meine Hand hin.
Die er natürlich nicht nimmt.
Es ist Paul, der mich dann in seine Arme zieht und irgendwann gehen wir alle wieder ins Haus. Von der Stube aus kann man den Schein der Flammen immer noch sehen, sie werden dann langsam weniger.
Ich habe Jan eine Decke und einen heißen Tee heraus gebracht, mehr kann ich gerade nicht für ihn tun.
Seinen Plan, alles was ihn an seine erste große Liebe erinnern, aus seinem Leben zu verbannen, kann ich tatsächlich irgendwie verstehen. Doch ich ahne, dass auch hier Schweigen der falsche Weg ist.
Am nächsten Morgen begutachten wir die Asche. Noch immer steigt Rauch aus den Resten. Martin und Paul machen sich am späten Vormittag an die Entsorgung. Nur zwei Tage später erinnert nur ein dunkler Fleck an das Geschehene. Jan hat sich wieder in seinem Zimmer verschanzt.