Mit klopfendem Herzen lehnt er an der Holztür.
Es ist Mitten in der Nacht und er ist vollkommen durchgefroren.
Mittlerweile wird es empfindlich kühl. Mit klammen Fingern tastet er nach der Taschenlampe und schaltet sie wieder ein.
Still und verlassen liegt der Raum des Bootshauses vor ihm.
Beherrscht wird er von einem wuchtigen Holztisch, der von zwei Seiten mit einer massivem Eckbank begrenzt wird. Auf dem Tisch stehen zwei Laternen. Ein paar Stühle bieten weitere Sitzgelegenheiten. Die Wände sind geschmückt mit Rudern, Wimpel und Bilderrahmen. Gegenüber des Tisches befindet sich eine Holztheke mit vier Barhockern. Die dahinterliegende Regale sind gefüllt mit Gläsern.
Jan stellt die kleine Kiste, die er unter dem Arm geklemmt hatte, auf dem Tisch an und nähert sich dann der Theke. In einer der Schubladen findet er ein Feuerzeug. Er schiebt sich den Griff der Taschenlampe in den Mund und entzündet mit klammen Fingern zwei große runde Kerzen auf der Theke. Dann kümmert er sich um die Laternen auf dem Tisch. Nun endlich kann er Taschenlampe ausschalten.
Das Kerzenlicht spendet auch etwas Wärme und Jan wärmt seine Finger an den Flammen auf.
Nachdenklich sitzt er dabei am Tisch und lässt seinen Blick durch das kleine Haus gleiten.
Wenn man an der Theke durch den kleinen Durchgang geht, steht man im Lager. Dort sind jetzt mit Sicherheit die drei Ruderboote aufbewahrt, die zum Bootshaus gehören. Von dort gelangt man über eine Luke zum Seezugang.
Er mustert die Kiste.
Er hat keine Ahnung was sich darin befindet.
Die Aufgabe lautet, sie sicher vor neugierigen Blicken zu verstecken.
Seufzend spielt er mit dem Zahlenschloss.
Er kennt die Kombination.
Für den Notfall.
Und nur für diesen.
Was, wenn er doch nachsieht?
Nein, er hat es versprochen.
Mehr oder weniger ein letzter Wille.
Und an den muss man sich doch halten, oder?
Auch wenn man ihn nicht versteht.
Er hat die Stimme noch immer im Ohr.
Ihre Instruktionen.
Er weiß, dass er sie irgendwann nicht mehr wird hören können.
Ob er will oder nicht.
So wie ihr Bild vor seinem inneren Auge schon blasser wird, wird auch ihre Stimme undeutlich werden.
Jan schüttelt sich.
Der Gedanke gefällt ihm nicht.
Besser, er konzentriert sich jetzt wieder auf diese Mission.
Irgendwo hier oder in der Umgebung muss er die Kiste verstecken.
Und zwar so, dass sie möglicherweise einen langen Zeitraum unbeschadet übersteht und gleichzeitig weder von einem tierischen oder menschlichen Wesen gefunden wird.
Was sich darin befindet, geht schlussendlich nur sie und ihn etwas an.
Der Hochsitz einige Meter weiter scheidet aus.
Ebenso ein Versteck im Freien.
Seinen erster Impuls, die Kiste einfach am Ufer zu vergraben, hat er verworfen.
Bleibt das Bootshaus an sich, oder eben die anschließende Werft.
Er fährt mit den Fingern über die Tischplatte.
Wie gut er einige der eingeritzten Sprüche kennt.
Er findet ohne hinzusehen den Wahlspruch der damaligen Clique.
Seine Finger gleiten durch die Vertiefungen der Buchstaben.
Nein, schimpft er sich.
Nicht ablenken lassen.
Es macht keinen Sinn jetzt darüber nachzudenken.
Amici in perpetuum - wie naiv.
Die Werft ist keine gute Idee. Dort ist einfach zu viel Betrieb. Ab den ersten Sonnenstrahlen bis weit in den Herbst wird an den Booten gearbeitet, gerudert oder geangelt.
Jan lässt das Feuerzeug durch seine Finger gleiten und sucht den Raum systematisch mit den Augen ab. Während er darüber nachdenkt, ob er die Kiste einfach ganz weit nach hinten in eines der Regale schieben soll, rutscht ihm das Feuerzeug aus der Hand.
Es plumpst auf den Boden und kullert unter den Tisch.
Jan zieht die Stirn kraus.
Nanu?
Er geht auf die Knie und betrachtet den Boden.
Holzplanken.
Vorsichtig klopft er die ab.
Tatsächlich.
Eine Stelle unter dem Tisch klingt hohl.
Lächelnd schiebt er seine Finger unter eines der Bretter, aber erst das dritte lässt sich lösen und offenbart einen Hohlraum.
Gerade groß genug für die kleine Kiste.
Da sich die Aussparung fast mittig unter dem Tisch befindet, muss er sich ziemlich anstrengen. Wie er nämlich zu seiner Zufriedenheit gestellt, ist der Tisch so massiv, dass man ihn kaum bewegt bekommt. Selbst er nicht, der durch ordentliches Training Kraft mitbringt.
Ideal.
Nochmal mustert er sie.
Nochmal überlegt er, ob er nicht einfach hinein sieht.
Oder sie einfach mit nimmt nach Hause.
Aber ihre Worte waren eindeutig.
Er möchte diese respektieren.
So sehr es schmerzt.
Nochmal leuchtet er mit der Taschenlampe den Boden ab. Nein, man kann nicht erkennen, welches der Bretter er herausgenommen hatte.
Nochmal klopft er den Bereich ab, jetzt klingt die Stelle nicht mehr anders.
Dennoch braucht er gut zwei Stunden, bis er sich aufraffen kann, das Bootshaus zu verlassen.
In 13 Jahren wird er wiederkommen, das weiß er natürlich in dieserNacht nicht.
Es wird ähnlich kalt sein und er wird die Stelle sofort wieder finden.
Und der Inhalt dieser Kiste wird ihn vor einer großen Dummheit bewahren.