Ich arbeitete jeden Tag, um ja nicht Marcos Behandlung aus den Händen geben zu müssen. Das wollte ich so gar nicht. Auch den Professor hielt ich auf dem laufenden. Ebenso Marcos Familie. Ich hatte die Handynummern von allen bekommen. Marco hatte sie mir aufgeschrieben. Seine hatte ich ja schon länger. Rabea fing mich nach der Schicht ab und zog mich in die Umkleidekabine.
„Mensch, Julie, arbeite nicht so viel. Sonst liegst du bald neben Marco. Das wird er nicht so toll finden. Er hat Roman erzählt, wie froh er ist, das du dich um seine Verletzung kümmerst. Versaue es nicht."
„Keine Sorge. Ich will nur nicht das irgendein anderer Arzt sich um Marco kümmert. Er ist wegen mir hier und lässt sich nur von mir behandeln. Das darf nicht abreißen, sonst verzögert sich alles weiter", erklärte ich knallrot geworden meiner besten Freundin, die mich sofort durchschaute.
„Du liebst Marco, stimmt's?"
„Ich weiß nicht. Er ist mir unglaublich wichtig und ich will ihn wieder spielen sehen. Das geht aber nur, wenn ich konsequent seine Behandlung durchführe."
Rabea nickte und fragte mich:
„Was fühlst du bei Marco?"
Verblüfft sah ich sie an und antwortete ehrlich.
„Ich bin zwar keine Ärztin, aber hier meine Diagnose. Du bist in Marco Bürki verliebt, Süße. Streite es nicht ab. Du wirst schon rot, wenn ich seinen Namen erwähne. Nun mal ehrlich, woher kennst du ihn?"
„Nein, zuerst du! Was fühlst du bei Marcos Bruder Roman? Woher hast du Marcos Handynummer? Wenn du nur irgendetwas tust, das meine Freundschaft zu Marco gefährdet, war ich die längste Zeit deine Freundin", warnte ich.
Sie schluckte. Dann berichtete sie mir, das sie Marco durch Instagram kennt und sich mit ihm angefreundet hat. Im Laufe der Zeit hätten sie dann die Nummern getauscht. Ich erzählte ihr, wie es zu der Freundschaft zwischen Marco und mir gekommen war und er mich zunächst, wie Roman auch, völlig unterschätzt habe.
„Also wie in dem Chat schon angedeutet, das Fehler zu Freundschaften führen können?"
Ich nickte und zog mich um, da ich Feierabend habe. Danach ging ich noch einmal mit Rabea zu Marco und er sah mir mit leuchtenden Augen entgegen.
„Oh du hast Feierabend?“, fragte Marco traurig.
„Ja, Großer. Ich stelle dir gleich den Arzt vor, der dich weiter behandelt. Ich habe morgen ab 8 Uhr wieder Dienst und bin bis morgen Abend für dich da. Offiziell hab ich dann nur Dienst bis 16 Uhr. Aber ich muss einiges an Bürokram machen und meine Professur weiter schreiben. Das bedeutet ich bin zwar im Haus, aber mein Kollege ist für dich da. Hier die Nummer von meinem Büro. Es ist hier auf der Station und hat die Nummer 247. Aber glaube ja nicht, das ich dir erlaube aufzustehen. Ich kenne Euch Vollblutsportler nur zu genau. Du brauchst noch Ruhe. Deshalb verordne ich dir strikte Bettruhe, Marco, und stell mich nicht auf die Probe. Frag Marci, was passiert, wenn du nicht hören kannst. Marci hat es hinter sich. Genau wie Schü und Reusi. Also bleib im Bett."
„Keine Angst, ohne dich gehe ich nirgendwo hin."
Es klopfte und mein Kollege kam herein.
„Hallo Julie, noch da?"
„Ja. Ich wollte dich vorstellen. Marco, das ist Jonathan Sommer. Er ist mein Kollege und wird sich strikt an meine Anweisungen halten."
Jonathan nickte.
„Natürlich werde ich das und wie geht es Ihnen im Moment so? Irgendwo Schmerzen?"
„Nein, Doktor. Nur die Narbe juckt. Weh tut nichts. Verzeihen Sie, wenn ich das Frage. Haben Sie was mit Yann Sommer zu tun? Dem Schweizer Nationaltorhüter?"
Dr. Sommer lachte auf.
„Ja. Er ist mein Cousin. Warum?"
„Naja Sie sehen ihm ähnlich und mein großer Bruder ist Roman Bürki, ebenfalls Schweizer Nationaltorhüter und Torwart beim BVB hier in Dortmund."
„Ja, das dachte ich mir schon, denn sie sehen ihm verblüffend ähnlich, als wären sie eineiige Zwillinge."
„Touché", lachte Marco und sie beschlossen sich zu duzen.
„Wie lange kennst du unsere Frau Doktor schon, Marco?"
„Oh ein paar Jahre. Ich hatte sie unterschätzt und bin gnadenlos untergegangen. Dann stellte sich heraus, das sie in Bern studierte und so lernte ich sie persönlich kennen. Mittlerweile ist sie nicht mehr wegzudenken aus meinem Leben und ich bin dankbar, das sie mich operiert hat."
Rabea verabschiedete sich und flüsterte Marco etwas zu und er grinste.
„Klar, gebe ich gut acht, auf meine Frau Doktor, Rabea. Was dachtest du denn?"
„Ich hätte nichts anderes von dir erwartet."
Zufrieden ging Rabea und ich wollte sie am liebsten lynchen.
„Jonathan, Marco hat strikte Bettruhe. Ich erwarte ausführliche medizinische Berichte. Marco, Engel, lass mich bitte noch einmal die Narbe sehen, ja? Nicht, das sich was entzündet hat. Ich werde noch einmal ein Blutbild veranlassen."
Vorsichtig schob ich die Bettdecke zurück und schnitt den Verband auf, der ja die Gipsschiene an Ort und Stelle hielt.
„Okay, Engel. Ich mach das Pflaster ab oder soll Roman herkommen?"
„Ja, bitte."
„Gut, ruf ihn an. Jonathan, bereite alles für die Blutabnahme vor. Wir warten auf Marcos Bruder Roman."
Jonathan flitzte los und Marco hatte Roman in der Leitung und auf Lautsprecher umgeschaltet.
„Hey Bruderherz, kannst du bitte in die Klinik kommen? Pflasterwechsel und Blutbildkontrolle. Die Narbe juckt. Jetzt will Julie rauskriegen warum. Entweder ist der Heilungsprozess oder eine Entzündung. Komm her bitte. Ich habe Angst."
„Ganz ruhig Kleiner. Ich mach mich auf den Weg."
Ich räusperte mich.
„Roman? Julie hier. Fahre bitte vorsichtig. Marco braucht dich gerade sehr."
„Alles klar, Doktor. Bis später."
Wir erwiderten dies und ich nahm ihn in den Arm.
„Menno du glühst."
Sofort holte ich mir ein Fieberthermometer und kontrollierte den Wert. 38,2°C.
„Du hast Glück. Kein Fieber, aber erhöhte Temperatur. Das muss überwacht werden. Zur Not verlege ich dich auf die Intensivstation, wo du in guten Händen bist."
„Nein, nur wenn du auch mitkommst. So kannst du auf mich aufpassen."
„Hör zu. Ich mach mir doch nur Sorgen um dich, Engel. Im Moment geht es dir nicht so toll und streite es ja nicht ab."
Brav nickte er.
„Stimmt, aber ich habe nicht gelogen. Es tut mir nichts weh. Nur die Narbe juckt."
Ich seufzte.
„Gut. Entscheiden wir weiter, wenn Roman da ist und die Untersuchungen gemacht sind.“
Jonathan kam zusammen mit Roman rein, welcher sofort an Marcos Bett eilte.
„Mensch, Kleiner. Jage mir doch nicht so einen Schrecken ein. Was ist überhaupt los?"
Ich räusperte mich und erzählte, was vorgefallen war.
„Zurzeit hat er leicht erhöhte Temperatur. 38,2°C. Das habe ich bereits eingetragen und nun müssen wir erstens Blut ziehen. Dieses muss umgehend ins Labor zum großen und vollständigen Blutbild. Zweitens müssen wir die Narbe untersuchen. Je nach Ergebnis kann es sein, das ein neues Pflaster ausreicht oder wenn es Hart auf hart kommt muss Marco in den OP. Da kriege ich raus, was los ist."
„Muss ich meine Eltern informieren?", wollte Roman wissen.
„Beantworte mir zuerst zwei Fragen, ohne zu lügen."
Roman nickte.
„Erste Frage, wer von Euch ist Älter?"
Roman sah mich aufmerksam an.
„Ich bin älter", gab er zu.
„Dies führt mich zu Frage zwei. Wie hoch ist der Altersunterschied? Es müssen mehr als 2 Jahre sein. Dann reicht es aus, das du die Untersuchungen begleitest, ansonsten ist die Anwesenheit eines Elternteils Pflicht."
„Es sind zwei Jahre, 7 Monate, 3 Wochen und 5 Tage", kam es von Roman.
„Also ja es sind mehr als 24 Monate", sagte Marco schließlich ein wenig genervt.
Ich grinste.
„Gut. Dann reicht eine Information an die Eltern völlig aus. Sie müssen den weiten Weg nicht auf sich nehmen, weil wir ja Roman vor Ort haben."
Roman nickte und ging kurz telefonieren. Als er zurückkam sah er nervös aus. Jonathan hatte auch schon alles vorbereitet zur Blutentnahme und eine Krankenschwester flitzte los, um alles ins Labor zu bringen.
„Gut. Roman, jetzt bist du gefordert. Hilf uns das Marco ganz ruhig bleibt."
Er nickte und ich setzte ihn so das beide Brüder nichts sahen. Leise sprach Roman mit Marco und war uns dadurch eine riesige Hilfe. Das Vertrauen der Brüder zueinander ist gewaltig und es ist großartig das mitanzusehen. Vorsichtig feuchte ich das Pflaster an und zog es dann ab.
„Mist", schimpfte Jonathan.
„Was ist?", wollten die Brüder wissen.
„Momentchen, Jungs. Jonathan guck nach, ob das Antibiotika, das ich verordnet hatte, auch gegeben wurde", wurde ich streng.
Sofort gehorchte Jonathan mir und schüttelte den Kopf.
„Nein, wurde es nicht."
„Roman folgender Auftrag an dich. Hat Marco einen Allergiepass? Wenn ja, sollen deine Eltern ihn dir aufs Handy schicken und zwar pronto. Marco, Engel, wir müssen in den OP. Ich operiere dich. Jonathan assistiert mir. Noch darf er nicht allein operieren. Er ist Assistenzarzt. Er gehört zu jenen Studenten, die ich hier ausbilde. Er ist ein herausragender Arzt und Student. So eine Situation ist neu für ihn. Jonathan, OP 3 sofort."
Roman und Jonathan hasteten los. Roman kam als erster wieder.
„Nein, kein Allergiepass."
„Okay, dann machen wir einen umfassenden Allergietest. Aber erst morgen."
Roman nickte.
„Meine Eltern machen sich auf den Weg. Sie haben gesagt, ich soll die OP Einwilligung unterschreiben. Ich habe ihnen gesagt, was du mich gefragt hast und so waren sie einverstanden."
Auch Jonathan kam zurück und brachte den Anästhesisten mit und schnell war alles geklärt. Roman sah Marco fest in die Augen.
„Bist du sicher, das ich das unterschreiben soll? Ich mach das nur, wenn du das willst."
„Ja, ich bin mir sicher. Julie kann nichts für die Entzündung. Sieh sie dir doch an. Sie ist völlig geschockt und hat nicht damit gerechnet, das ich das Antibiotikum nicht bekommen habe."
„Gut, dann mach ich das für dich, Brüderchen."
Sie umarmten sich noch einmal, ehe Jonathan und ich das Bett mit uns nahmen. Ich bat Roman sich vor den OP zu setzen und zu warten. Wir hatten Marco rasch in Vollnarkose und ich zog mich rasch um und rannte in den OP zu meinem Schützling. Zwei Stunden später war das entzündete Gewebe entfernt worden und alles soweit von der Entzündung gereinigt worden, das ich ruhigen Gewissens das Knie schließen konnte. Jede Operation wird bei uns als Video aufgezeichnet. So können wir stets beweisen, das alles glatt gelaufen ist.
„Die Verletzungen sahen gar nicht so schlimm aus", meinte Jonathan.
„Ich weiß, aber ich habe es dir vom Meniskus an gezeigt und erklärt, wie solche Verletzungen, operativ versorgt werden müssen. Je sorgfältiger du arbeitest, desto besser für den betroffenen Sportler. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Leistungssportler, wie Marco, handelt oder ob der Betroffene nur ein Hobbysportler ist. Stell dir bloß Yann vor. Würdest du das gleiche sagen, wenn er so eine Verletzung hätte?"
„Vermutlich nicht. Es tut mir leid."
Ich nickte bloß und bat Jonathan Marco nicht aus den Augen zu lassen. Wieder mit dem Verweis, ob er seinen Cousin aus den Augen lassen würde. Er verneinte. So ging ich ruhigen Gewissens zu Roman.
„Meine Eltern sind noch nicht da."
„Gut. Möchtest du Marco in den Aufwachraum begleiten und bei ihm bleiben? Ich schicke deine Eltern dann zu Euch."
„Ja gerne."
„Dann komm mit. Warte hier kurz und dann darfst du mit."
Kurz darauf lag Marco wieder in seinem Stationsbett und Roman lief neben uns her. Noch schlief Marco tief und fest. Deshalb bekam er jetzt eine neue Gipsschiene und das Bein wurde etwas höher gelagert. Roman beobachtete jeden Handgriff und wirkte sehr zufrieden.
„Ich gehe mal nachschauen, ob deine Eltern mittlerweile eingetroffen sind."
Roman nickte.
„Jonathan, guck bitte regelmäßig nach den Werten. Ich will keine Komplikationen. Wehe du lässt die Brüder im Stich. Roman kennt deinen Cousin gut."
Roman sah mich an.
„So tue ich das?"
„Ja, das ist Jonathan Sommer. Der Cousin von Yann Sommer."
„Verstehe. Meinem Torhüterkollegen der Nati?"
Ich nickte.
„Genau der Yann Sommer."
„Tja, Kumpel. Tut mir leid, aber das hier ist mein kleiner Bruder. Tu ihm was und ich muss dir fürchterlich weh tun. Dann erfährst du, was wahre Schmerzen sind. Haben wir uns verstanden?"
Eingeschüchtert nickte Jonathan hastig. Ich überließ es Roman, wie er mit Jonathan umging. Der schien begriffen zu haben, das mit Roman nicht zu spaßen war, sobald es um seinen kleinen Bruder ging. Noch waren die Bürkis nicht eingetroffen und ich ging mich duschen. Erst als ich wieder angezogen, in Klinikkleidung, war, kamen sie auf mich zu gehastet.
„Dr. Schmelzer, was ist geschehen? Wo ist Roman?"
„Guten Abend, reden wir in meinem Büro oder im Aufwachraum, wo sich beide Söhne befinden?"
„Bei den Jungs."
Ich nickte und nahm die Eltern mit.
„Roman!"
Sofort drehte sich der Angesprochene um.
„Mama! Papa!"
Sanft ließ er Marcos Hand los und ging die beiden umarmen.
Ein leises „Wer umarmt mich?" erklang.
Ich umarmte ihn als erstes.
„Willkommen zurück, Kämpfer. Die OP ist gut gelaufen."
Ich zeigte ihm, was wir gemacht haben und lobte Jonathan für seine gute Arbeit. Dieser stellte sich der Familie vor und sie gaben ihm freundlich die Hand. Plötzlich klopfte es und Yann betrat den Raum.
„OH Verzeihung. Könnte ich bitte Jonathan sprechen?", kam es schmerzverzerrt.
„Komm rein", befahl ich und sah sofort sein Problem.
„Roman? Was machst du denn hier?", fragte Yann verblüfft, als er Roman erkannte.
„Ich bin hier bei meinem kleinen Bruder. Er wurde schon zum zweiten Mal operiert und ist gerade erst aufgewacht."
„Oh Gott. Was ist passiert?", fragte Yann Marco sanft und gab ihm die unverletzte Hand.
Marco erzählte es und Yann verzog sofort das Gesicht.
„Autsch. So eine ähnliche Verletzung habe ich auch schon gehabt. Tausche nur das Innen und Außenband gegen das Kreuzband. Dann hast du meine Verletzung."
„Rechts oder Links!", kam es von mir.
„Links."
„Marco hat sie rechts. Da er ein Linksfuß ist und Rechts ist sein Standbein. Zeigen Sie mir ihre Hand, Herr Sommer, sofort!"
Brav gehorchte Yann mir und ich schüttelte besorgt den Kopf.
„Das müssen sich die Kollegen aus der Handchirurgie angucken."
Sofort griff ich zum Telefon und beorderte einen Kollegen zu mir.
„Sie heißen Schmelzer?"
„Ja. Marcel Schmelzer ist mein älterer Bruder."
Vier Wochen später wurde Marco aus dem Krankenhaus entlassen und wohnte zunächst bei mir. Wir wurden ein Paar und ich wusste, das er wechseln wollte. Nur wohin wusste er nicht so genau. Er kommt hoffentlich nach Dortmund zum BVB.