Ich holte tief Luft und begann von vorne. Erneut weinte ich bittere Tränen, um die kleine, unschuldige Maya. Wut stieg in mir auf und ich erzählte dann in Details von meinem Plan.
„Mein Plan ist folgender“, begann ich und atmete noch einmal durch.
Ich machte immer wieder Pausen, während ich in Marcis und Marcos Armen war, als ich Tränen der Trauer vergoss.
Diese Pausen nutzte Nuri um Marc alles zu übersetzen. Marc gab mir die Hand und sah genauso zornig aus, wie ich selbst. Ich konnte es auch in den Gesichtern meiner Freunde sehen. Sie trauerten ebenfalls und auch den Zorn spürten sie sehr deutlich.
„Ich möchte irgendwie helfen, weiß nur noch nicht genau wie. Zum Beispiel mit einer Möglichkeit Zuflucht zu finden, Kinderbetreuung, Ausbildungsmöglichkeiten oder ähnlichem. Was meint ihr? Würde sich so eine Idee umsetzen lassen?“
Alles sah sich verblüfft und aufmerksam an. In ihren Gesichtern sah ich Nachdenklichkeit. Doch dann hellte sich Nuris Miene auf und er begann zu erzählen.
„Wir brauchen ohne jeden Zweifel Hilfe von Experten, um ein solches Projekt aufzuziehen und vielleicht spielt sogar der Verein mit.“
Mir war klar, das er den BVB gemeint hatte, aber Marco pflichtete ihm bei.
„Stimmt ganz genau. Vielleicht kann ich es schaffen, das auch mein Verein da mitmacht. Je mehr Vereine und Experten wir gewinnen können, desto besser für solch ein gewaltiges Projekt.“
Nun war ich endgültig sprachlos. Alles was ich fühlen konnte war Dankbarkeit. Ich war unheimlich stolz darauf solche Freunde zu haben.
„Wir sollten versuchen, mit Mayas Eltern zu sprechen. Vielleicht unterstützen sie uns auch. Diese Idee ist einfach super und es wird Zeit, das was gegen Häusliche Gewalt unternommen wird. Es sind sehr viele Fälle bekannt und die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, als wir es erahnen können“, gab Marci zu bedenken und ich nickte.
Dann löste ich mich von Marci und meinem Engel.
„Ich schaue mal nach, ob Mayas Eltern noch da sind und frage sie, ob sie ein paar Minuten Zeit haben für mich.“
„Mach das, Fee!“, lachte Marci und ich küsste ihn auf die Wange.
Mein Bruder wurde dann doch leicht rot um die Nasenspitze und in seinen Augen stand nicht nur die Liebe, die er für mich empfand. Sie drückten Stolz aus.
Ich verließ Marcos Zimmer und suchte in meinem Büro angekommen, in der Patientendatenbank nach Mayas Mutter und ich wurde fündig.
Laura Berghayn. Station 4, Zimmer 401.
Ich notierte es mir und ging zu ihr. Vorsichtig klopfte ich an und betrat das Zimmer der Patientin.
Sie lag in einem Bett und hatte rotgeweinte Augen.
„Guten Tag, Frau Berghayn. Mein Name ist Dr. Julia Schmelzer und ich habe ihre Tochter operiert, zusammen mit meinem Kollegen Dr. Hollmann. Ich möchte ihnen im Namen des gesamten Klinikpersonals mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Hätten Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für mich?“
Aufmerksam musterte sie mich.
„Danke, Frau Doktor. Sie haben wie eine Löwin um Maya gekämpft, das rechnen wir beide Ihnen sehr hoch an. Darf ich ihnen Mayas Vater vorstellen?“, sagte sie leise und hatte eine angenehme Stimme.
„Sehr gern, Frau Berghayn“, antwortete ich ihr und lächelte leicht.
„Das ist Yannik Löwmeyr“, erhob sie erneut das Wort und Herr Löwmeyr gab mir die Hand.
„Guten Tag, Herr Löwmeyr. Auch Ihnen im Namen des gesamten Klinikpersonals mein aufrichtiges Beileid. Wären Sie beide so freundlich mich zu begleiten? Ich müsste mit Ihnen beiden dringend sprechen und möchte Ihnen beiden meinen Bruder vorstellen.“
„Sehr gern, Frau Doktor. Wo geht es denn hin?“, wollte Frau Berghayn wissen.
„Auf die ITS.“
„Was ist eine ITS?“, kam es von Mayas Vater.
„ITS bedeutet Intensivstation“, antwortete ich.
„Ist ihr Bruder krank?“
„Nein. Mein bester Freund gehört zu meinen Patienten und er liegt auf der ITS. Mein Bruder besucht ihn gerade. Sie brauchen keine Angst zu haben.“
Ich organisierte Frau Berghayn einen Rollstuhl und nahm beide mit.
Wir betraten Marcos Zimmer und Marci drehte sich um.
„Hey Fee, da bist du ja wieder. Oh, wie ich sehe hast du weiteren Besuch mitgebracht.“
„Ja, Superstar, das habe ich. Das sind Mayas Eltern. Frau Berghayn und Herr Löwmeyr“, sagte ich und allen klappte überrascht der Mund auf.
Marci stand auf und ging zu den beiden hin. Er hockte sich zu Mayas Mutter hinunter und sah sie aufmerksam an.
„Ich bin Marcel Schmelzer. Nennen sie mich doch bitte nur Marcel oder Schmelle. Diese fantastische Ärztin ist meine kleine Schwester“, stellte er sich vor und hielt Mayas Mutter behutsam die Hand hin.
Mayas Eltern sahen uns abwechselnd an.
„Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend“, sagte Herr Löwmeyr.
Mutig ergriff Frau Berghayn Marcels Hand.
„Dann bin ich aber nur Laura für Sie, Marcel.“
Brav nickte mein Bruderherz.
„Erlauben Sie mir bitte, Ihnen das Du anzubieten.“
Sie nickte scheu und ließ Marcels Hand los.
Das ganze wiederholte sich bei Yannik.
„Ich möchte Euch meine Kollegen und Freunde vorstellen, wenn ihr erlaubt“, begann Marci und ich war so stolz auf ihn.
Ich setzte mich zu Marco und er nahm mich sofort in den Arm und zog mich mit dem Rücken an seine breite Brust.
Zuerst wurde Marc vorgestellt. Danach folgten Marco Reus, André Schürrle, Nuri Sahin und Mario Götze.
Alle waren bei Frau Berghayn sehr vorsichtig und Nuri bot an zu übersetzen, da Marc erst Deutsch lerne und es sei Sinnvoller es ihm zu übersetzen.
Yannik wollte wissen in welche Sprache übersetzt werden würde.
„Spanisch“, antwortete Nuri.
Mayas Eltern nickten und erlaubten es. Höflich bedankte Nuri sich und erklärte Marc sogleich, worum es gegangen war.
Dieser war unglaublich erleichtert.
Schließlich stellte ich meinen Lieblingsschweizer vor.
„Herr Löwmeyr, Frau Berghayn. Darf ich Ihnen meinen besten Freund vorstellen?“, fragte ich nach.
Beide nickten synchron, was uns zum Schmunzeln brachte.
„Das ist Marco Bürki. Er ist Schweizer und mein absoluter Lieblingsschweizer“, grinste ich und alle prusteten los vor lachen.
„Was denn? Ich habe nur die Wahrheit gesagt. Wobei ich hinzufügen möchte, das André ebenfalls mein bester Freund ist.“
Nun lächelte André breit und küsste meinen Schopf. Ihm war es anzumerken, das es ihn stolz machte, das ich offen zugab, das er mein bester Freund ist.
„Was haben Sie auf dem Herzen, Frau Doktor?“, fragte Yannik sanft nach.
Also erzählte ich, was ich vor hatte und das diese Männer bereit sind mir zu helfen, dieses Ziel – welches zugegeben hoch war – auch zu erreichen.
Erstaunt sahen Mayas Eltern mich an.
„Natürlich sind wir mit von der Partie und unterstützen Euch da, wo wir nur können“, sagte Laura gerührt.
Yannik stimmte ebenfalls zu und umarmte Laura sanft und sehr vorsichtig.
„Wir helfen Ihnen, alles zu organisieren für Maya. Wir helfen Ihnen anfallende Kosten abzudecken“, schlug Sunny vor und alle stimmten dem zu, was Yannik und Laura verblüfft die Kinnlade nach unten klappen ließ.
„Wenn ich was hasse, dann ist es Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, die Schutzlos sind“, übersetzte Nuri für Marc, nachdem dieser mit seiner Mitteilung geendet hatte.
Marc setzte mit seiner Aussage fort und Nuri nickte. Dann übersetzte er.
„Man sollte so was unter harte Strafen setzen und noch härter durchsetzen. Zum Beispiel durch Gesetze.“
Die Augen von Mayas Eltern wurden groß.
Eine Stunde später verabschiedeten sich Mayas Eltern, nachdem ich Ihnen meine Kontaktdaten gegeben hatte. Wir hatten beschlossen, in Kontakt zu bleiben. Mein Projektplan hatte sie begeistert und schien gegen Ihre Trauer zu helfen.
Das war der Hauptgrund weshalb ich Laura und Yannik mit einbezogen hatte. Ich wollte Ihnen eine Aufgabe geben, mit der sie das Andenken ihrer Tochter wahren konnten.
Nach und nach verabschiedeten sich die anderen von uns und ich machte Feierabend. Frisch geduscht und umgezogen besuchte ich noch einmal meinen Engel und kuschelte mich sanft in seine Arme.
Ich blieb noch zwei Stunden bei ihm und fuhr dann nach Hause. Leider hatte ich zu viel Zeit über Maya nachzudenken und so schlief ich nur schwer ein.