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Kapitel 20
Ein Schlag in die Magengrube
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Mittlerweile sind Ilaria und ich beinahe ein halbes Jahr zusammen. Unsere Dynamik hat sich kaum geändert, seit ich bei meiner Mom wohne. Eigentlich ist mein gesamtes Leben immer noch irgendwie dasselbe. Anstatt meinen Traum zu leben, jage ich einer Handvoll Dollar nach.
Meine Jobsuche läuft nicht besonders berauschend. Da ich keinen Uni-Abschluss oder eine richtige Ausbildung habe, kann ich leider nicht an meinem alten Job anknüpfen. Mein angeeignetes Praxiswissen ist längst veraltet. Von den meisten Arbeitgebern bekomme ich nicht einmal eine Standardantwort. Meinen Arsch in einem Büro platt zu sitzen und Actionfiguren zu designen ist ein längst vergessener Punkt in meinem Lebenslauf. Bevor ich allerdings gar nichts tue, stehe ich mehrmals die Woche bei Whole Foods und packe an der Kasse die Lebensmittel der Kunden in Tüten, räume Regale ein und hake irgendwelche Listen ab. Diesen anspruchslosen Job habe ich das letzte Mal gemacht, als ich in der Highschool war. Damals ging es darum, mein Taschengeld aufzubessern. Heute sind die Peanuts, die ich verdiene, ein Tropfen auf den heißen Stein, um meine Schulden zurückzuzahlen. Es ist frustrierend. Manchmal wenn ich bei der ‚Arbeit‘ in Gedanken bin, fühlt es sich so an, als wäre mein Leben bereits mit 30 vorbei. Ilaria ist aktuell mein einziger Grund zur Freude. Doch wie lange wird sie einen fetten, nutzlosen Sack wie mich noch lieben, wenn ich mein Leben nicht endlich auf die Reihe bekomme?
Die Morgenbesprechung ist sterbenslangweilig. Ich vermisse mein Kissen, meine Decke und mein Bett. Und ich vermisse Ilaria. Müde reibe ich mir das Gesicht, während ein übermotivierter, aber unterbezahlter Mitarbeiter vor uns steht und fröhlich die Punkte auf seinem Klemmbrett herunterrattert. Menschen, die morgens schon so gut gelaunt sind, sollte man mit besagtem Klemmbrett verprügeln. Ilaria ist davon natürlich die Ausnahme. Es fällt mir schwer, die Augen offen zu halten, als ich nach meiner Kaffeetasse greife und den letzten Schluck trinke. Die morgendliche Folter ist glücklicherweise gleich vorbei und wir können an unsere Arbeit gehen. Wahrscheinlich sind diese Meetings deswegen so schrecklich, damit man fast schon froh darüber ist, endlich arbeiten zu dürfen. Clevere Strategie. So kann man seine versklavten Mitarbeiter auch motivieren.
„Hey, Killian? Hättest du eine Minute?“, fragt mich Klemmbrett-Kyle, als ich gerade meine Tasse ausspüle, um sie anschließend in den Geschirrspüler zu stellen.
„Klar“, antworte ich ihm.
„Weißt du, nimm das nicht als Kritik an deiner Persönlichkeit, sondern als konstruktiven Vorschlag zur Steigerung der Produktivität und Verbesserung des Arbeitsklimas. Mir ist aufgefallen, dass du gerade morgens ziemlich schlechte Laune hast. Es gehört zu einem professionellen Auftreten, dass du unsere Kunden mit einem Lächeln begrüßt. Außerdem wäre es von Vorteil, wenn du dich bei den Morgenbesprechungen einbringst und dich etwas besser in das Team integrierst. Wir sind hier eine große Familie.“
Ich schnaube amüsiert. „Hör zu, für die Peanuts, die wir hier bezahlt bekommen, kann der Konzern gerne seine Ansprüche runterschrauben. Ich bin kein Schauspieler, der dafür bezahlt wird, so zu tun, als wäre das hier ein Traumjob, sondern ein Kerl, der Ware einschlichtet, damit er sich etwas zu essen leisten kann. Ich helfe jedem Kunden, wenn er eine Frage stellt, weil das Teil meines Jobs ist, aber ob und mit wem ich mich in meiner Pause unterhalte, ist meine Entscheidung. Keiner meiner Kollegen hat ein Anrecht auf mein Privatleben.“ Ich schließe den Geschirrspüler. „Und was die Familie angeht… Seht mich als den grummeligen, verschrobenen Onkel, den alle einladen, obwohl sie nicht besonders viel mit ihm zu tun haben, okay?“
Meine Antwort scheint nicht ganz das zu sein, was Klemmbrett-Kyle sich gewünscht hat. Sprachlos sieht er mich an. Ich tätschle seine Schulter, schenke ihm das falsche Lächeln, das er sich so sehr wünscht und lasse ihn stehen.
Ich behandle niemanden unfreundlich, solange er mir nicht ans Bein pisst. Ich schleife mich morgens aus dem Bett, um hier meinen Job zu machen, nicht um neue Freunde oder eine zweite Familie zu finden. Nicht mehr und nicht weniger. Ich reiße mir nicht den Arsch auf, wenn ich weiß, dass es dafür absolut keinen Grund gibt. Klemmbrett-Kyle sollte einfach mal den Ball flachhalten. Ich kann hier nicht vom Aushilfsmitarbeiter zum Millionär aufsteigen. Minimaler Lohn bedeutet minimaler Einsatz, damit müssen Großkonzerne leben. Wenn sie mir so viel zahlen würden, dass ich eine Wohnung bezahlen, gemütlich davon leben und zusätzlich meine Schulden abstottern könnte, dann würde ich mit Freude Smalltalk machen oder Witze reißen. Doch dieser Job ist nur eines für mich: Eine Übergangslösung, bis ich einen richtigen Job bekomme, bei dem ich auch etwas von meiner Mühe habe. Ich schlendere gemütlich an meinen Posten und beginne damit, Regale einzuräumen und Listen abzuhaken. Oh ja, wer macht diese anspruchsvolle und großartige Aufgabe nicht mit vollem Seeleneinsatz? Etwas Gutes hat dieser Job allerdings schon. Meine Kreativität wird auf eine ganz außergewöhnliche Weise angekurbelt. Als Klemmbrett-Kyle an mir vorbeikommt, sieht er mir kurz über die Schulter. Ich bin ziemlich sicher, dass er etwas sucht, was er mir vorwerfen kann, doch ich mache meine Arbeit gewissenhaft, selbst wenn sie mir am Arsch vorbei geht. Wir können ja nicht zulassen, dass die Bewohner von San Francisco nicht an ihre tägliche Dosis an Multivitaminen aus der Packung kommen. Das wäre skandalös!
· • ✤ • ·
Nach meiner Schicht mache ich mich auf den Weg zu Ilaria. Alles, was ich heute noch will, ist, mich unter die Dusche zu stellen, mir den frustrierenden Tag vom Körper zu waschen und dann mit meiner Prinzessin ins Bett zu klettern. Ich freue mich schon darauf, geküsst und gestreichelt zu werden, bis ich endlich einschlafe. Da ich mich morgen nicht wieder zur Arbeit quälen muss, ist es sogar noch schöner.
Mein Magen knurrt. Müde ziehe ich den Schlüssel mit dem Muschelanhänger aus meiner Jackentasche und schließe die Tür auf. Das Erste, was ich sehe, ist, dass Ilaria telefoniert. Zur Begrüßung winkt sie mir bloß zu, da sie sich angeregt unterhält. Als nächstes sticht mir ein riesiger Strauß pinker Rosen ins Auge. Die Blumen stehen auf der Kommode im Eingangsbereich ihrer Wohnung. Ich sehe den übertrieben großen Strauß an. Das müssen an die 100 Stück sein. Irritiert ziehe ich die Brauen zusammen. Ihren Geburtstag kann ich nicht vergessen haben, der war nämlich im März. Hat sie irgendetwas Anderes zu feiern, das ich vergessen habe? Ich kratze mich am Kopf.
„Von wem sind die denn?“, frage ich.
Sie sieht auf, etwas zögerlich antwortet sie mir: „Von meinem Ex.“ Ilaria kommt einen Schritt auf mich zu. „Matt, ich rufe dich später wieder an. Killian ist hier.“ Sie lässt das Smartphone sinken und sieht mich an. Die Blumen und der Anruf sind wie ein Schlag ins Gesicht und ein weiterer in die Magengrube. Mir wird richtig übel. Das ist mir zu viel. Den Scheiß mache ich kein zweites Mal durch. Ich schüttle den Kopf und öffne die Tür, um abzuhauen. „Warte, Killian. Was machst du?“ Ich verlasse die Wohnung, Ilaria läuft mir sofort nach. „Killian, warte!“
Ich schüttle den Kopf und hebe meine Hände. „Sorry, das mache ich nie wieder mit.“
„Killian, lass mich das erklären, bitte. Es ist nicht, wie du denkst.“
„Ja, das ist es nie. Ich will das alles gar nicht hören, okay?“ Ilaria hält mich am Arm fest, doch ich schüttle sie ab. „Lass mich los.“
Ilaria stolpert einige Schritte rückwärts, doch sie hält ihre Balance. „Killian. Hör mir doch bitte zu.“ Sie möchte erneut meinen Arm ergreifen, doch ich halte sie auf Abstand. Ich drücke Ilaria von mir und sehe zu, dass ich das Gebäude so schnell wie möglich verlasse.
Ihr verdammter Ex, der Typ der beim Sex nur 30 Sekunden lang durchhält, der verfickte Kerl, der sie zu seiner kleinen Hausfrau und Mutter von einem Haufen Kinder machen wollte… Ich fasse es nicht. Wütend und deprimiert entferne ich mich immer weiter von Ilaria. Ich hätte es wissen müssen. Es war zu schön, um wahr zu sein. Mein Smartphone läutet, doch ich lehne Ilarias Anruf ab. Auch beim nächsten Anruf wähle ich den roten Hörer. Als sie mich dann ein drittes Mal anruft, schalte ich mein Smartphone aus. Verfickte Scheiße. Das kann doch nur ein schlechter Traum sein, oder?
Um einen klaren Kopf zu bekommen, mache ich einen Spaziergang und finde mich schließlich im Lafayette Park ein. Keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Ohne groß darüber nachzudenken, wohin ich laufe, lasse ich mich von meinen Füßen tragen. Zu gerne würde ich mir jetzt einen Drink einschenken und eine Zigarette anzünden, doch noch lieber würde ich diesem Ex ins Gesicht schlagen. Ich nehme auf einer Parkbank Platz, vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und stütze meine Ellbogen an meinen Oberschenkeln ab. Wenn ich nicht so ein verdammter Versager wäre, dann wäre das bestimmt nicht passiert. Wütend wische ich mir über die Augen und balle die Hand zur Faust. Ich presse meine Zähne aufeinander. Ich atme durch, immer und immer wieder. Meine Beine sind schwer und ich bin müde. Die Wut in mir kocht so sehr, dass ich am liebsten etwas kaputtmachen würde.
„Ach, fuck“, presse ich wütend hervor.
Ich brauche einen klaren Kopf. Nur einen kurzen Moment, um mich wieder zu fangen. Ich brauche eine ruhige Sekunde, um nachzudenken. Um mich davon abzuhalten, etwas Dummes zu tun, wie mich in der nächsten Bar volllaufen zu lassen und jemandem auf die Schnauze zu hauen, beschließe ich, nach Hause zu gehen. Unter die Dusche und dann ins Bett. Einfach schlafen und hoffen, dass das alles nicht passiert ist. Erneut wische ich über meine Augen, dann stehe ich auf und trotte los.
Was will sie nur von dem Kerl? Hat sie schon wieder vergessen, was sie mir alles erzählt hat? Hat etwas Abstand und ein riesiger Strauß Rosen tatsächlich gereicht, um ihre Meinung zu ändern? Will sie jetzt doch einen Haufen Kinder und diesem Kerl ein Leben lang alles hinterhertragen? Hat er ihr versprochen, sich zu ändern?
Liegt es an mir? Habe ich irgendetwas falsch gemacht, ohne es zu merken? Wahrscheinlich war ich wieder zu nett… Oder ihr hat die Idee gefallen, einen Musiker an ihrer Seite zu haben. Sie wäre nicht die erste Frau, die nur das an mir interessant findet. Was soll man an mir sonst gut finden?
Ich schlucke, doch der Kloß in meinem Hals verschwindet nicht. Wieso muss mir das noch einmal passieren?
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Zuhause begrüße ich meine Mom knapp, dann verschwinde ich kurz in mein Zimmer und schließlich im Badezimmer.
„Wolltest du nicht zu Ilaria?“, fragt Mom mich etwas lauter. Sie sitzt wohl im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft.
„Planänderung“, antworte ich ihr und schließe die Tür hinter mir.
Wie auf Autopilot lasse ich das Wasser an und ziehe mich aus. Ich steige unter die Dusche. Das angenehm warme Wasser läuft über meinen Körper. Ich blicke auf meinen Arm. Es fühlt sich fast so an, als würde Ilaria mich noch festhalten. Ich sehe den traurigen Blick in ihren großen, dunklen Augen genau vor mir. Sie ist ein nettes Mädchen und ich bin sicher, dass sie sich schlecht fühlt. Dabei sollte sie das nicht. Ilaria hat es verdient, glücklich zu sein. Aber ist sie das, wenn sie wieder zu ihm zurückgeht? Mein Kiefer verkrampft sich. Ich muss meinen Kopf leer bekommen. Nach meiner Dusche finde ich mich schließlich in meinem Zimmer ein. Ich falle ins Bett und starre an die trostlose, weiße Decke über mir.
Mein Leben ist ein verdammter Witz. Kein eigenes Zuhause, eine gescheiterte Musikerkarriere, ein beschissener Teilzeitjob und jetzt habe ich auch noch meine Freundin an so einen beschissenen Penner verloren. Ungläubig schüttle ich den Kopf. So viel Pech kann ein einzelner Mensch in seinem Leben doch nicht haben. Schon gar nicht in dieser kurzen Zeitspanne.
„Was für eine Scheiße“, murmle ich deprimiert. Um mich zu beruhigen atme ich noch einmal tief durch. Das alles darf mich nicht weiter aus der Bahn werfen. Ich schlucke hart und schließe meine Augen. Nachdem ich mich zur Seite gedreht habe, öffne ich sie wieder. Ich bin wie ein Feigling weggelaufen, aber ich wollte es einfach nicht hören. Ich will nicht, dass sie sagt, dass sie wieder zurück nach Indiana fliegt und ihrem beschissenen Ex noch eine Chance gibt, die er auf keinen Fall verdient hat. Mit der flachen Hand schlage ich auf mein zweites Kissen.
„Fuck“, drücke ich angepisst heraus, dann drehe ich mich wieder auf den Rücken. „Augen schließen und schlafen. Vielleicht hast du das Glück und wachst nicht mehr auf.“
Die Zeit vergeht. Ich weiß nicht, wie lange ich in meinem Bett liege, mich drehe und wende und versuche, einzuschlafen. Es ist ewig her, dass ich Probleme damit hatte, in den Schlaf zu driften. Das ist untypisch für mich. Ich starre den durch die Straßenlaternen beleuchteten Fleck an meiner Decke an. Das letzte Mal, als ich mich in meinem Bett so ruhelos gefühlt habe, war, als ich mit Drogen experimentiert habe. Das ist es. Als würde die berauschende Wirkung von Kokain nachlassen und ich mich nach einem weiteren High sehnen. Mein Magen knurrt.
Der Hunger treibt mich aus meinem Bett und meinem Zimmer direkt in die Küche. Ich koche Wasser für eine Portion Ramen auf. In der Zwischenzeit mache ich mir ein Erdnussbutter-Marmelade-Sandwich, außerdem öffne ich eine Packung Chips. Nachdem ich eine Handvoll Chili-Chips in meinen Mund gestopft habe, beiße ich von meinem Sandwich ab. Mir ist vollkommen klar, dass ich nicht nur aus Hunger, sondern auch aus Frust esse, doch das ist mir egal. Damit geht es mir zumindest für einen Moment besser, außerdem ist es besser zu essen, als sich eine Flasche Whiskey zu öffnen.
Ich esse im Bett, während der Fernseher läuft. Eine Schüssel Ramen, eine zweite Packung Chips, dann noch ein Snickers und eine Packung Nerds. Irgendwann werde ich so müde, dass ich endlich einschlafe.
· • ✤ • ·
Als ich am nächsten Morgen aufwache, höre ich, dass meine Mom mit dem Staubsauger durch die Wohnung fährt. Sofort fühle ich mich in meine Teenager-Zeit zurückversetzt. Samstags hatte Mom immer Zeit, die gesamte Wohnung zu putzen. Das hat sich all die Jahre nicht geändert. Genervt drücke ich mein Kissen an meinen Kopf, um das Geräusch zu dämpfen. Ich will nicht aufstehen, doch die Realität fliegt mir bereits jetzt wieder um die Ohren. Ich erinnere mich an gestern Abend. Ich erinnere mich daran, dass ich wie ein kleines Kind vor Ilaria weggelaufen bin, weil ich ihr nicht zuhören wollte.
Ich ringe mit mir selbst, ob ich aufstehen oder einfach im Bett bleiben sollte, doch meine Blase nimmt mir diese Entscheidung ab. Müde und mürrisch schleppe ich mich ins Badezimmer. Ich begegne Mom, doch sie tätschelt mich nur im Vorbeigehen, ohne mich anzusprechen. Sie weiß, dass ich noch nicht bereit bin, mit irgendjemandem zu interagieren.
Der Geruch von Kaffee steigt mir in die Nase, als ich das Badezimmer wieder verlasse. Ich schleife mich zurück in mein Zimmer, ziehe mir bequeme Klamotten an und leiste meiner Mom im Wohnzimmer Gesellschaft.
„Hast du gestern die restlichen Chips gegessen?“, fragt Mom mich, worauf ich leicht nicke und dann zu meinem Kaffee greife. Schon der Duft belebt mich ein klein wenig. „Stressiger Tag?“ Wieder nicke ich. „Geht es dir nicht gut?“
„Mom, bitte.“ Ich hebe meine freie Hand für eine beschwichtigende Handgeste. „Ganz ruhig. Mein Gehirn schläft noch.“
„Wenn du reden willst, dann bin ich für dich da.“
„Ich weiß, Mom.“ Vorsichtig puste ich in meine Tasse. „Danke für den Kaffee.“
„Habe ich gern gemacht“, antwortet sie mit einem Lächeln. „Willst du etwas Süßes dazu? Einen Donut zum Beispiel?“
Ich schnaube. „Dann warst du schon einkaufen? Wie lange bist du schon wach?“
Sie wiegt den Kopf hin und her. „Seit sieben. Ich wollte mich zwar noch einmal umdrehen und weiterschlafen, aber das hat nicht funktioniert.“ Sie lacht, dann legt sie ihre Hand an meinen Oberarm und streichelt mich. „Manchmal beneide ich dich um deinen Schlaf.“
Ich ziehe einen Mundwinkel hoch. „Das ist mein besonderes Talent, auch wenn es letzte Nacht nicht ganz so gut geklappt hat, wie ich das gerne gehabt hätte.“
„Es ist eines deiner besonderen Talente“, antwortet Mom aufmunternd. Ihre netten Worte bringen mich zum Lächeln, jedoch nur für einen kurzen Moment. Ich nehme einen Schluck meines Kaffees. „Willst du darüber sprechen, was dich letzte Nacht wachgehalten hat?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich will das mit mir selbst ausmachen. Eigentlich will ich im Moment gar nicht reden.“
„Okay.“
Mom steht auf. „Aber zu einem Donut sagst du nicht nein, oder?“
Ich schnaube. „Auf keinen Fall. Immer her damit.“
Mom geht in die Küche, um uns Donuts zu holen. Kaum steht ein Teller mit einem köstlich aussehenden blauen Donut vor mir, muss ich an Ilaria denken. Sie würde mir das Ding sofort wegessen, wenn ich mir zu viel Zeit lassen würde. Und ich würde es ihr erlauben, weil ich diesen großen, unschuldigen Augen nichts abschlagen kann. Jetzt, da meine Emotionen etwas abgekühlt sind, bin ich der Meinung, dass ich ihr bereits gestern die Gelegenheit geben hätte sollen, sich zu erklären. Anderseits will ich es nicht hören. Ich will meine Freundin nicht an einen Kerl verlieren. Schon gar nicht an einen Typen, der sich nicht für ihre Träume interessiert und sie durch Kinder an sich binden will. …aber wenn das jetzt doch ihr Wunsch ist, dann kann ich überhaupt nichts dagegen tun.
Ich nehme den Donut zur Hand und beiße hinein. Nachdenklich kaue ich, dann hebe ich meine Tasse an und nehme einen Schluck Kaffee. Meine Tasse ist viel zu schnell leer für meinen Geschmack, doch noch bevor ich etwas sagen kann, steht Mom auf und nimmt sie an sich.
„Willst du noch einen?“, fragt sie mich auf dem Weg zur Küche.
„Ja, bitte.“
„Isst du heute mit mir zu Mittag oder triffst du dich mit Ilaria? Ich würde nämlich jetzt anfangen zu kochen.“
Ich zucke mit den Schultern. „Das kann ich dir echt nicht beantworten.“
„Ich koche einfach für dich mit. Wenn du etwas willst, dann isst du etwas und wenn nicht, dann wartet es im Kühlschrank auf dich.“
Ich nicke. „Klingt gut.“
Ich bringe meinen leeren Teller in die Küche und stelle ihn in die Spüle. Mom bekommt einen Kuss auf die Wange, nachdem ich mir meinen Kaffee genommen habe. Sie fängt an zu kochen und ich gehe in mein Zimmer, um das Geschirr von gestern zu holen und den Müll wegzuwerfen. Da Mom meine Hilfe nicht braucht und ich mir ohnehin noch etwas Zeit zum Nachdenken nehmen will, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück. Ich falle förmlich ins Bett. Der Kaffee wartet auf dem Nachttisch darauf, getrunken zu werden.
Ilaria bedeutet mir viel. Wenn ich nicht mit ihr spreche, dann ist das, als würde ich kampflos aufgeben und das will ich nicht. Das kann ich nicht. Sie soll wissen, wie viel sie mir bedeutet und dass ich alles dafür tun würde, um sie glücklich zu machen. Wenn mein dämlicher Mund ausdrücken könnte, was ich für sie empfinde, dann wäre das alles leichter. Keine Ahnung, was mich zurückhält. Wahrscheinlich ziehe ich aus Angst meinen Schwanz ein.
Da ich nicht recht weiß, wo ich anfangen soll, schalte ich mein Smartphone ein. Ilaria hat mich gestern mehrmals angerufen. Ich habe auch eine Nachricht bekommen.
Ilaria: ‚Entschuldige, dass ich dich belästige. Ich weiß, dass du nicht mit mir reden willst, aber könnten wir bitte darüber sprechen? Ich verstehe nicht, was gestern passiert ist und ich möchte das aus der Welt schaffen. Ich bin den ganzen Tag zu Hause, du kannst jederzeit vorbeikommen, damit wir reden können. Ich vermisse dich.‘
Ich lasse mein Smartphone sinken und reibe mir mit beiden Händen das Gesicht. Sie vermisst mich. Das würde sie mir doch nicht schreiben, wenn sie mich für ihren Ex verlassen würde, oder?
Als ich Ilaria eine Antwort schreiben möchte, ist mein Kopf vollkommen leer. Seufzend lege ich mein Smartphone auf meiner Brust ab und schließe meine Augen. Auch wenn ich Angst davor habe, verletzt zu werden, muss ich meinen Arsch hochbekommen und mit Ilaria sprechen. Sie fühlt sich bestimmt vor den Kopf gestoßen, was nachvollziehbar ist, immerhin bin ich abgehauen und habe ihr nicht eine einzige Sekunde gegeben, mir alles zu erklären. Ich bin so ein verdammter Feigling.
Beweg deinen Arsch, Dude, du musst das wieder in Ordnung bekommen.