Neue Geschichte 06.12.2024
Kontrolle
Benjamin saß an seinem Schreibtisch, überlegte fieberhaft was er schreiben könnte. Als er mit seinen Rechtschreibübungen begonnen hatte, waren schon einige Geschichten von ihm erdacht worden. Was allerdings heute abging, das konnte er nicht nachvollziehen, Geschichten entwickelten sich in seinem Kopf, dann wieder verschwanden sie plötzlich wieder, und er konnte sie nicht festhalten sie in seine Tastatur eintippen.
Sah so eine Schreibblockade aus, die ihm seine Einfälle vorenthielt. Ein lebendes Wesen, was ihm seine Einfälle raubte, und sie für sich selbst verwendete. Benjamin traute seine eigenen Gedanken nicht, denn er hatte plötzlich das Gefühl von etwas unter Kontrolle gehalten zu werden.
Es wurde tatsächlich in ihm zur Gewissheit beobachtet zu werden, als würde eine unsichtbare Macht, all seine Ideen aus ihm herausziehen. Wenn er sich sicher war, sie verwenden zu können, waren sie verschwunden, aus seinem Kopf fort, nicht mehr vorhanden. Das Gefühl wurde immer mächtiger, weil er sich gerade auch keine Mühe mehr gab, neue Ideen zu entwickeln, denn es fing an ihm zu ärgern, wenn sie plötzlich verschwunden sind. Es schien ihm sogar so, dass er sie nie hatte, aus seinem Kopf gelöscht worden.
„Ist hier ein unsichtbares Wesen?“
Benjamin konzentrierte sich, es vielleicht durch einen Schatten, ein unbedachtes Geräusch zu entdecken. Absolute Stille, nicht der geringste Windhauch, und trotzdem spürte er etwas, etwas, was nicht da war, aber doch mit ihm sein Spiel trieb. Vielleicht ein Geist, der durch was auch immer hier in seine Sphäre eingedrungen war, und ihm seiner gesamten Ideen beraubte.
Gibt es so etwas wie Gedankendiebstahl? - weil ein anderer Schreiber ihm auserkoren hatte. Er sich mit Hypnose in seinem Kopf stahl, oder so ähnlich. So eine Art Gedankenmanipulation. Was tatsächlich eigenartig war, das war die Leere in ihm, die Leere, wenn er sich etwas ausgedacht hatte, dann war plötzlich nur noch Dunkelheit. Eine Dunkelheit, die mit einem Nebel begann. Undurchdringlich ins Nichts hinein führte.
Alles, was in der nebligen Finsternis abgelagert wurde, war dann nicht mehr für ihm selbst abrufbar. So eine Art gestohlener Gedankendiebstahl, eingeschlossen, abgelagert in diesen Raum hinter dem dunklen Nebel.
Der, der hier dahinterstand, musste freien Zugang in seinem Kopf besitzen. Alles schien wie in einem Schwindel zu kollabieren, er saß noch immer an seinem Schreibtisch, und es fing an, sich um ihm zu drehen. Würde er stehen, dann hätte er sicherlich geschwankt, als würde er noch immer eine Schnapsflasche in seinen Händen halten.
Fast hätte Benjamin laut aufgelacht, denn ein unter Alkohol stehender Schreiber, war ihm wirklich allzu gut bekannt. Nicht so lange ist es her gewesen, als er einen Film gesehen hatte, wo so ein Schreiber unter einer Blockade gelitten hatte. Der war dann jeden Tag betrunken, dass ihm wirklich nichts mehr einfallen konnte.
Was hatte es mit ihm zu tun, er trank nicht, zumindest nicht so viel, er hatte hier einfach einen Beobachter, der ihm die Ideen raubte. Benjamin war es ein Rätsel wie da etwas da sein konnte, was unmöglich war. Hatte er nicht ständig von so komischen Sachen geschrieben, die es in Wirklichkeit überhaupt nicht geben konnte. Die gegen alle physikalischen Gesetzen verstießen, die er aus seinem Kopf herausgerissen hatte, weil seine Fantasie mit ihm durchgegangen war.
Es war fast körperlich zu spüren, dass da etwas in ihm arbeitete, ihm zu beeinflussen suchte. Beeinflussen war verkehrt, denn er wurde beeinflusst, weil er bestohlen wurde.
Wie konnte so etwas sein? – fragte sich Benjamin, der fast die Welt nicht mehr verstehen konnte. Es konnte auch eine einfache Ursache dafür bestehen, und Benjamin zersprang fast der Kopf, vielleicht auch deswegen, weil da schon etwas in seinem Kopf steckte, was nicht da hineingehörte.
Hatte es etwa mit einem neuen Kollegen zu tun? - der erst diese Woche in seine Firma angefangen hatte zu arbeiten. Der Krause, Peter Krause, er war erst vor einer Woche zugestoßen. In der Pause hatte sich Benjamin mit dem neuen Mitarbeiter unterhalten, und da hatte Peter erwähnt, Geschichten zu schreiben, weil er eine schlechte Rechtschreibung hatte. Um sie zu verbessern hatte er begonnen Geschichten zu erfinden, weil er nicht einfach immer nur etwas abschreiben wollte. Da hatte Benjamin Peter angesehen, weil er eine Ähnlichkeit in seinem Verhalten sah, denn auch bei ihm war es ähnlich gewesen, und jetzt schrieb Benjamin schon mehrere Jahre. Allerdings war seine Rechtschreibung nur unwesentlich besser geworden. Weil er alle Energie konzentriert, die Geschichten zu erfinden sie aus seiner Fantasie heraus zum Leben zu erwecken. In dem Moment war es Benjamin völlig egal, wie seine Rechtschreibung dabei aussah, er korrigierte sie, so gut er konnte.
Geschichten zu schreiben.
War in den Jahren zu einer Sucht, vielleicht zu einer Leidenschaft gewachsen, die sein gesamtes Denken einnahm. Hatte Peter etwas mit dem Ideendiebstahl zu tun, denn wenn er es sich recht überlegte, geht es erst einige Tage so. Erst einige Tage wurden ihm seine Gedanken aus seinem Kopf gestohlen, und es war jegliche Erinnerung daran verschwunden. In dem Moment, als Peter Krause es ihm erzählt hatte, wie gerne er Geschichten schrieb, da war er in seinen Augen ein Freund, ein Freund der dasselbe Hobby wie er hatte. Auch wenn Benjamin nie vorgehabt hatte, seine Geschichten zu veröffentlichen, so liebäugelte er schon damit, einmal ein Buch zu veröffentlichen. Jedoch war es für ihm nicht die Antriebsfeder noch bessere Geschichten zu schreiben. Er selbst fand seine Geschichten als gelungen, was andere davon hielten, lag auf einer ganz anderen Ebene. Vielleicht konnte er sich mit Peter öfters austauschen, zumindest konnte er sehen, wie ein anderer seine Geschichten aufbaute. Innerlich ärgerte sich Benjamin es Peter überhaupt erzählt zu haben, denn wenn es der Anlass war, sich in seinem Kopf einzunisten, dann hätte er besser seinen Mund halten sollen. Dazu kommt, dass Benjamin nicht wusste, ob der Dieb seiner Fantasie, Peter überhaupt war. Allerdings war es komisch, weil seit Peter hier ist, konnte er sich nicht mehr konzentrieren, und wenn er doch eine Geschichte erdachte, dann war sie plötzlich entschwunden, nicht mehr vorhanden. Selbst jegliche Handlungen waren nicht mehr abrufbar, hatten sich aufgelöst, wie wegradiert. Wenn es tatsächlich Peter war, der sich in meinem Kopf befand, dann musste er anders denken, er musste versuchen ihm eine Falle zu stellen. Er musste sich Gegenstücke ausdenken, Gegenstücke, die anders hießen, und trotzdem für ihm selbst etwas bedeuteten. Vielleicht hatte er gerade nicht aufgepasst, als ich diesen Plan gerade entworfen hatte. Mein Plan wäre schon im Vorfeld entlarvt, dann sind meine Gedanken schon veraltet, bevor ich sie zu Ende gedacht hätte. Jetzt fing sich die Welt, um Benjamin anzudrehen, denn alles schien so verwirrend. Ein immer schnelleres Drehen setzte ihm mächtig zu, die Welt um ihm schien sich zu verschmelzen. Alle Farben mischten sich zu einer einzigen Farbe, für Benjamin war es die schönste Farbe, die er je wahrgenommen hatte. In diesem Farbgemisch hoben sich einzelne Schattierungen ab, und fast hätte Benjamin glauben können, von einem wundervollen Regenbogen eingeschlossen worden zu sein. So hatte er seine Konzentration noch nie erlebt, es schien sich um ihm ein unglaubliches Schauspiel eröffnet zu haben. Schatten tauchten auf, die in ihrem Äußeren Menschen glichen, jedoch durchsichtig aussahen. In ihnen waberte etwas, was man wohl die Gedankenwelt nennen konnte. Einige dieser Schatten drehten, umarmten sich, als würde sie vergnüglich miteinander einen wunderschönen Reigen tanzen. Fast schien es Benjamin, als wäre er in einer Märchenwelt eingedrungen, es fehlten einfach noch die Hauptdarsteller, Feen, Zauberer und natürlich die Hexen, die in Wirklichkeit nicht alle böse waren. Plötzlich, unerwartet, tauchte ein Schatten auf, ein Schatten, den er sogar kannte, es war Peter Krause. Wie er auf Peter kam, war ihm eigentlich ein Rätsel, denn er konnte Peter nicht erkennen, denn es war auch ein Schattenumriss, wo er keinen Anhaltspunkt hatte, wer es sein könnte. Ganz tief in Benjamin war die Erkenntnis, es ist Peter, kein anderer, was eigentlich nur ein Gefühl sein konnte. Es waren die Worte, die er vernehmen konnte, und die hatten eindeutig etwas mit Peter gemein.
Peter dachte Benjamin innerlich, dabei versuchte er seine Konzentration aufrechtzuerhalten. Nein, er steigerte seine Konzentration, bis in eine Ebene, die sogar sein Gesicht erscheinen ließ. Dann schrie Benjamin wütend auf Peter ein.
Aus Benjamins Mund kam kein Ton heraus, er befand sich in einer Ebene, wo es keiner Töne mehr bedarf. Trotzdem zuckte der Schatten von Peter zusammen, denn es war jetzt zur Gewissheit geworden, Peter wurde ertappt, ertappt von Benjamin. Vielleicht schwang auch Wut mit bei, denn wenn jemand in seinem Kopf eindringt ihm seine Gedanken stahl, dann war es ein Eingriff, in die persönlichsten Grundrechte.
Nach wenigen Augenblicken, erkannte Benjamin die Not, die Not im Kopf von Peter, der fast zusammenschrak.
Was hatte Peter dazu gebracht? – bei ihm im Kopf einzudringen und seine Ideen zu stehlen. Es konnte auch reiner Zufall gewesen sein, ein Zufall, weil er zufällig in seine Gedankenwelt geraten war. Dann in die Vielfalt der Geschichten gefangen wurde, sie sich aneignete, weil ihm nicht besseres einfiel. Oft ist es auch so, dass wenn man erst in eine Realität hineingestoßen wird, seine eigene Unfähigkeit erkennt, um sie dann für sich selbst zu verwerten.
Was dann allerdings mit dem Menschen geschieht, den die Gedanken gestohlen werden, er absolut keine Erinnerung mehr daran hat, als hätte er nie eine Eingebung gehabt. Dann kommt der Punkt, wo es zur Normalität wird, sich andere Ideen anzunehmen, sie als eigene Gedanken zu verwerten. Schließlich die Kontrolle über sich selbst verliert, an alles anfängt zu zweifeln, und das alles nur, weil ein anderer in den eigenen Kopf eingedrungen war, sich Gedanken angeeignet hatte.
Benjamin ging in die Gedankenwelt von Peter, versuchte ruhig zu bleiben, und er nahm ihm die Fähigkeit durch eigene Kontrolle, sich in andere Köpfe zu begeben. Fast hatte Benjamin Mitleid mit Peter, der gerade jetzt keine Abwehr hatte, es geschehen zu lassen. Dann gab Benjamin ihm einen Wunsch ein, ab jetzt mit Benjamin zusammenzuarbeiten, einander zu helfen.
Vielleicht, so dachte Benjamin, hat sich hiermit eine große Freundschaft herausgebildet, die ihm das Gewesene vergessen lassen wird. Es wäre schön, dachte Benjamin, der eigentlich Peter nichts Schlechtes wünschte, aber bei der Ideenfindung, sollte man ehrlich miteinander umgehen. Eine Idee zu haben ist eine gute Sache, sie in Form einer Geschichte anzuwenden, kann sicherlich zu verschiedene Ergebnisse führen. Dann haben beide was davon, welche Geschichten im Endresultat besser sein werden, entscheiden dann sowieso die Leser!
Ende der Minigeschichte – und bei dieser Geschichte hatte ich schon Angst gehabt, dass sie einfach zu lang wird. Dann würde es den Rahmen für eine Minigeschichte sprengen.
Die Geschichte ist frei erfunden, aber so unwahrscheinlich ist es nicht, die Kontrolle, über die Gedanken anderer zu erlangen.
Passt also gut auf, wem ihr vertrauen solltet, und bei wem ihr vorsichtig sein müsst. Denn da gibt es noch viel mehr Einflussnahme über den Verstand zu bestimmen – da ist die Hypnose, mit der man auch in die Köpfe anderer eindringen kann.
08.12.2024 - 15:30 Uhr
Klaus Konty