Ich fühlte mich irgendwann tatsächlich Zuhause.
Es war Sommer, Sandro kümmerte sich rührend um mich und auch wenn ich ihm wohl ein wenig Kopfzerbrechen bereitete, weil ich nicht so viel aß, wie er sich das vorstellte, verbrachten wir die Tage mit viel Spaß und Freude draußen im "Garten". Eigentlich war es eine unendliche Landschaft aus so vielen verschiedenen Grüntönen, dass mir schwindelig wurde beim hinsehen. Unser Haus musste oben liegen auf einer Anhöhe, denn ich schaute hinab auf ein grünes Tal, in dem sich so viele Tiere tummelten zwischen den Bäumen und Sträuchern, dass ich dort Stunden zubringen konnte, ohne dass es langweilig wurde. Um das Haus herum gab es viele Bäume, die Schatten spendeten, das war gerade im Sommer sehr angenehm. Neben dem kleinen Bach, den wir ab und zu besuchten, zeigte mir Sandro eines Tages einen kleinen Teich, an dem man baden gehen konnte. Er freute sich darüber, dass mir das gefiel und wir zogen uns beide aus und gingen ins Wasser. Ich weiß noch, ich konnte noch nicht richtig schwimmen, darum blieb ich vorne am Ufer und versuchte Sandro mit Wasser zu bespritzen, was er mir mit Freuden zurückgab. Als ich das Gleichgewicht verlor und untertauchte, war er sofort bei mir und zog mich wieder an die Oberfläche. Ich klammerte mich ängstlich an ihn und er nahm mich beruhigend in die Arme.
»Da haben wir ja schon etwas gefunden, was wir in den nächsten Tagen tun können. Ich werde dir das Schwimmen beibringen. Dann kannst du irgendwann auch allein hierherkommen und baden. Bis dahin darfst du nur mit mir hierherkommen.« Wie immer, wenn er mir etwas Wichtges wie ein Verbot mitteilte, stupste er kurz meine Nasenspitze an, damit ich seine volle Aufmerksamkeit hatte. Nach der Sache mit dem Streichholz, hatte ich mir diese Lektion gemerkt und nickte sofort zustimmend.
Schwimmen lernen wollte ich natürlich, Wasser war genauso faszinierend wie Feuer.
Das war die Möglichkeit, etwas neues zu lernen.
Ich konnte es gar nicht abwarten und war ziemlich enttäuscht, als Sandro nach einiger Zeit meinte, dass wir nun nach Hause müssten. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war, aber die Sonne begann schon unterzugehen. Übermütig paddelte ich von ihm weg, aber brav auf das Ufer zu, als ich mich verschluckte und froh war, dass mich Sandro auf den Arm nahm und hinaustrug. Hustend klammerte ich mich an ihm fest und fragte sofort, ob wir am nächsten Tag wieder hierherkommen würden.
Sandro schüttelte bedauernd den Kopf und meinte, dass er am nächsten Tag weg müsste und ich nicht mitkommen könnte. Enttäuscht wollte ich runter von seinem Arm und rannte auch sofort los, als er mich absetzte. Den Weg zum Haus fand ich gleich und dort angekommen, warf ich mich aufs Bett und ließ die Tränen fließen.
Sandro kam wenig später zu mir und legte sich neben mich. Er hatte unsere Kleider am Teich noch aufgesammelt und legte sie nun mit auf das Bett. Er zog mich auf seinen Bauch, dann begann er mich sanft mit seinen Händen zu streicheln, bis meine Schluchzer nachließen und ich mich nur noch traurig an ihn schmiegte. Ich mochte es nicht, wenn er wegfuhr, selbst wenn in der Zeit Sophia mit dem Baby und den Mädchen herkam.
Aber ich bemerkte mit der Zeit, dass wir viel mehr und schönere Sachen zum Essen hatten, wenn Sandro von einem seiner Ausflüge wiederkam. Milch gab es dann wieder für ein paar Tage. Fleisch gab es nur selten, ich lernte es zu schätzen. Je länger er zu Hause blieb, desto eintöniger gestaltete sich unsere Essensauswahl, am Ende gab es meist nur noch Spaghetti mit Tomatensoße. Obwohl ich sie sehr mochte, freute ich mich auch über Abwechslung zum Essen.
Im Garten gab es einiges an Obst und Gemüse, aber alles andere musste Sandro erst besorgen, wie er es nannte. Er bemühte sich stets, mir eine kleine Überraschung mitzubringen, meistens etwas neues zum anziehen, weil ich ständig größer wurde und so schnell aus meinen Sachen herauswuchs, dass ich immer Nachschub brauchte. Ich ging meistens barfuß, es war ja Sommer, aber bald würde ich auch Schuhe brauchen, spätestens wenn der Schnee fiel. Aber Sandro meinte, dass würde noch ein wenig dauern und bis dahin ging es so. Ich wollte einfach nicht, dass er wegfuhr, wusste aber, dass ich es nicht würde ändern können.
Ich merkte gar nicht, wie müde ich nach dem Schwimmen geworden war. Ich schlief einfach ein.
Das Abendbrot fiel aus, denn ich schlief bis zum nächsten Morgen durch und erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen. Ich sah, dass Sandro neben mir noch schlief. Zaghaft robbte ich näher und legte meine Hand auf seinen Brustkorb, ganz sachte. Dann begann ich meine Hand zu bewegen, so wie Sandro es immer bei mir machte. Als ich ihm ins Gesicht sah, schaute er mich so liebvoll an, dass ich ihn nur anlächeln konnte. Eigentlich wollte ich ihm böse sein, weil er heute weg wollte, aber ich konnte nicht. Plötzlich umfassten seine Hände mein Gesicht und er drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Mir fiel ein, dass er heute weg wollte und zog eine Schnute. Rasch zog er mich in seinen Arm. Beruhigend berührten seine Hände mich so, als hätte er Angst mir weh zu tun, aber ich genoss es immer mehr, wenn er sie wie einen sanften Lufthauch über mich gleiten ließ, bis mein Zittern wieder verschwand. Es war die einfachste Art, mich zu beruhigen, mir Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln und ich konnte nie genug davon bekommen. Ich genoss seine Hände, seine Zärtlichkeiten und brauchte sie, wie die Luft zum atmen. Weil ich mich immer danach sehnte, hatte ich mir auch etwas angewöhnt, um seine Zuwendung zu bekommen, wann immer mir danach war. Es dauerte auch nicht lange, da wusste Sandro, was ich von ihm wollte und gab dem meistens nach. Ich griff dann nach seiner Hand und ließ sie einfach nicht mehr los, sondern legte mein Gesicht an seine Hand. Dabei sah ich ihn mit meinen großen blauen Augen treuherzig an. Wenn er dann seine Augen ergeben schloss, wusste ich, ich hatte gewonnen. So wie jetzt.
Kuschelzeit am Morgen ließ mich das geplante Frühstück vergessen.
Erst als Sophia vor der Tür nach uns rief, standen wir kichernd auf.