Ich war wie betäubt und saß bestimmt noch zehn Minuten später tränenüberströmt an dieser Stelle im Wald, ehe ich es wagte, Sandro zu folgen.
Vorbei, dachte ich. Es ist alles vorbei hier.
Tränenblind schluchzte ich laut vor mich hin, erst als unser Haus in Sicht kam, wischte ich mir entschlossen die Tränen aus dem Gesicht, weil ich Sandro vor dem Haus warten sah.
Ihn keines Blickes würdigend wollte ich an ihm vorbeihuschen, aber er trat mir in den Weg.
Er sollte weggehen!
»Ich dachte, ich soll packen. Lass mich bitte vorbei«, murmelte ich, wollte ihn aber auch nicht wegschieben.
Mein Bemühen um eine gelassene Stimme misslang, ich hörte, wie erstickt sie sich anhörte und ärgerte mich. Ich sah ihn nicht an.
»Angelina, hör mal, bitte lass uns nicht so auseinander gehen heute. Ich ... es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe. Ich wollte dir das alles viel behutsamer beibringen. Es ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Verzeih mir bitte.«
Er sprach wieder wie immer mit mir. Sanft, beruhigend, liebevoll.
Kurz blickte ich in sein Gesicht.
»Ändert es irgendwas an deiner Entscheidung, mich rauszuschmeißen?«, fragte ich schnippisch zurück.
Seine Hände, die er angehoben hatte, fielen wieder hinab.
»Leider nein. Aber ich werfe dich nicht raus, ich ... «
»Dann lass mich packen. Wir müssen das hier nicht unnötig in die Länge ziehen, Sandro. Du bist mich gleich los und brauchst dir keine Gedanken mehr machen, wie irgendwas bei mir ankommt.«
Er trat zur Seite und als ich an ihm vorbeirauschte, hörte ich ihn leise sagen, dass er trotzdem immer für mich da wäre, aber ich tat so, als wenn ich nichts gehört hätte.
Die Bücher ließ ich alle dort, nur meine Klamotten und meine Zahnbürste packte ich ein. Ich hatte keine Ahnung, was mich bei Gio nun erwarten würde, aber es war mir auch egal. Das Taschentuch in meiner Faust war bereits durchnässt und zerfleddert, aber ich hielt mich irgendwie an ihm fest.
Als ich mit meiner Tasche herauskam, stand Gio dort schon neben seinem Wagen und wartete auf mich.
Ich war verunsichert, weil ich nicht wusste, was ich zu ihm sagen sollte nach all dem, was ich heute erfahren hatte. Ihm schien es auch nicht besser zu gehen. Er sah mich prüfend an. Dann kam er auf mich zu, umarmte mich kurz und nahm mir meine Tasche ab.
Unauffällig schaute ich mich um, aber Sandro war nirgends zu sehen.
»Er ist nicht mehr hier, Angelina. Dieser Abschied fällt ihm zu schwer, glaube ich«, murmelte er leise meine ungestellte Frage beantwortend, als er schon zum Wagen ging und meine Tasche in den Kofferraum deponierte.
»Lass uns fahren. Sophia wartet schon auf uns.«
Mit schweren Schritten ging ich also zum Auto und stieg enttäuscht ein.
Als wir losfuhren, sah ich Sandro zwischen den Bäumen stehen und dem Wagen hinterherschauen. Er verschwamm vor meinen Augen, weil sich die Tränen einfach so dazwischen stellten.
Bei Gios Haus eingetroffen, kam Sophia schon herausgelaufen, alle anderen hatten wohl die Anweisung, drinnen zu bleiben, um es mir nicht noch schwerer zu machen. Kaum war ich ausgestiegen, schloss sie mich in ihre Arme, was meinen Tränenfluss wieder zum Strömen brachte. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, es wäre Sandro, der mich umarmte, aber das hatte ich ja nicht zugelassen. Was hätte es mir auch gebracht? Noch mehr Schmerz.
Gio gab meine Tasche heraus und übergab sie Sophia, die mit mir ins Haus ging und mich in das Zimmer brachte, in dem ich nun die nächsten Wochen, Monate, Jahre (?) verbringen sollte.
Erschöpft ließ ich mich auf "meinem" Bett nieder und schaute Sophia hilfesuchend an.
Sie setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm, was mir trotz des Wissens, dass auch sie kein Mensch wie ich war, sehr tröstend vorkam. Bis zu einem gewissen Grad natürlich nur, aber immerhin.
»Ich weiß, du bist mehr mit Marcella befreundet, aber ich habe dich jetzt bei Maria untergebracht, weil hier im Moment mehr Ruhe herrscht. Wenn es dir gar nicht gefällt, können wir alle nochmal darüber beraten, ob wir das ändern können und wollen. Du hast ja vielleicht mitbekommen, dass Marcella nun auch ihren Verbündeten oft schon bei uns hat. Maria hat ihren schon länger, aber nicht so häufig hier bei uns - jedenfalls bisher. Du weißt über die Studpartnero jetzt Bescheid, oder Liebes?«
Sie sah mich fragend an und strich dabei über meine Schulter.
»Ein wenig«, gab ich zu.
»Oh, na dann kann dir das vielleicht Gio nochmal etwas ausführlicher beschreiben, damit du dich nicht wunderst und dich fehl am Platze fühlst. Ich glaube aber, dass du hier jetzt viel Interessantes entdecken kannst, was dir bestimmt über diese schwere Zeit hinweghilft. Du kannst mich im Übrigen immer alles fragen, was du wissen willst. Lass dir Zeit, gib dir und den Anderen eine Chance. Ich bin davon überzeugt, dass du deinen Weg sehr schnell finden wirst und ich verspreche dir, dass wir dir alle helfen werden, egal was du möchtest. Selbst Guiseppe und Francesco freuen sich sehr auf dich, aber gut, dass hat teilweise andere Gründe, die dich aber nicht belasten sollen. Wenn du magst, kannst du dich jetzt frisch machen und dann zu uns herunterkommen, um die Jungen kennenzulernen. Was meinst du?«
Sophia meinte es gut mit mir, ich konnte es mit jedem Wort spüren. Auch wenn es mir guttat - ich wollte auf keinen Fall jetzt noch fremde Jungen kennenlernen!
»Darf ich bitte hierbleiben? Ich möchte jetzt noch niemanden sehen.«
Meine Stimme klang so brüchig, dass ich mich selbst erschrak. Ich war sowas von erleichtert, dass sie verständsnisvoll nickte, dass ich ihr spontan um den Hals fiel.
»Ich bringe dir später noch was zum essen und einen Tee hoch. Wir lassen dich erstmal in Ruhe und reden später weiter. Deine Sachen kannst du bei Maria mit in den Schrank packen, ich habe dir ein paar Fächer freigeräumt. Dann bis später.«
Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und ging hinaus.
Nun lebte ich also hier.
Noch fühlte ich mich ziemlich verloren.
Die erste Nacht verbrachte ich mehr oder weniger schlaflos. Zum einen beschäftigten meinen Kopf viel zu viele Dinge, die ich gefühlsmäßig noch nicht einsortieren konnte zum anderen war ich mit Maria nicht allein im Zimmer. Francesco lag bei ihr im Bett, was mich etwas irritierte, aber die beiden ließen sich überhaupt nicht stören und schmusten intensiv miteinander. Sie hatten sich im Dunkeln hineingeschlichen, ich hörte sie leise kichern und dann wollte ich nicht mehr darüber nachdenken, was sie dort drüben im Bett machten.
Am nächsten Morgen schlich ich mich aus dem Zimmer, während die beiden noch schliefen. Ich hatte das Bad für mich und genoss es, kurz ganz für mich allein zu sein, bevor mich am Frühstückstisch alle anstarren würden. Als ich zurückkam, öffnete ich leise die Tür und blieb wie angewurzelt im Rahmen stehen, als ich Maria und Francesco im Bett sah.
Ich starrte gebannt zu ihnen hinüber, konnte den Blick nicht abwenden, als Francesco mit seinen Lippen über ihren Körper wanderte, von ihren Brüsten, über ihren Bauch bis zu ihrem Schritt, sie die Beine spreizte und er seinen Mund in ihren Schoß senkte, was sie mit einem scharfen Einatmen und einem verzückten Gesichtsausdruck quittierte, fühlte ich, dass mir warm wurde und es überall in meinem Bauch zu kribbeln begann. Ohne sie aus den Augen zu lassen ging ich wie in Trance zu meinem Bett und setzte mich auf die Kante. Sie hatten mich nicht bemerkt. So konnte ich dem aufregenden Schauspiel folgen, bis Maria sich irgendwann mit einem tiefen Seufzen aufbäumte und er wenig später von ihr abließ und sich wieder zurück nach oben bewegte, um sie zärtlich zu küssen. Ich hatte das Gefühl, als wenn ich wie auf heißen Kohlen saß, mein Körper bewegte sich ohne mein Zutun in einer Form, die so zwangahft war, dass ich es nicht unterdrücken konnte und wollte.
Hatte ich einen Laut von mir gegeben? Plötzlich sahen beide zu mir hinüber.
Maria lächelte wissend, Francescos Blick traf meinen und das Bild vor Augen, welches sie mir soeben noch geboten hatten, ließ mich schlucken und auf meine Lippe beißen vor Anspannung.
Er stand auf und kam langsam auf mich zu, ich konnte mich nicht bewegen, starrte ihm in seine samtbraunen Augen, die mich lähmten und anzogen alles in einem.
Er war fast bei mir und streckte schon die Hand nach mir aus, da wetterte ein lautes und scharfes »Es reicht!« in den Raum.
Wir fuhren zusammen.
Gio stand wütend im Zimmer.