Sandro hielt große Stücke auf mich und das machte mich stolz, weil er mir jeden Tag versicherte, dass ich etwas ganz Besonderes sei und er dafür sorgen würde, dass das so bliebe.
Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber es hörte sich gut an und ich war neugierig, was er alles mit mir vorhatte. Große Pläne, wie er sagte. Das sagte mir alles nichts, aber ich hatte nichts anderes vor und war gespannt.
Nach seinem letzten "Besorgungstag", hatte er jede Menge Bücher mitgebracht. Das fand ich zunächst langweilig, schließlich konnte ich weder lesen noch schreiben. Aber Sandro meinte, dass er mir das alles beibringen wolle. Nur noch nicht im Sommer, das hätte noch Zeit bis zum Winter, wenn es zu kalt sein würde, um den ganzen Tag draußen zu verbringen. Damit war ich dann auch erstmal zufrieden, auch weil er die Bücher in einer Kommode im Schlafzimmer aufbewahrte und damit waren sie aus den Augen, aus dem Sinn.
Noch stand vorrangig das Schwimmen lernen auf dem Programm und darauf freute ich mich riesig. Ich schaute das kleine Brett misstrauisch an, was er mitgebracht hatte, aber er schmunzelte nur und sagte, ich solle mal abwarten.
Sandro und ich zogen uns oft nicht um, wenn wir baden gehen wollten. Klamotten aus und ab ins Wasser hieß es dann nur, aber heute sollte ich einen Bikini anziehen, wie er es nannte. Ich kannte bisher nur Hosen, die ich am Strand getragen hatte, aber ein Oberteil dazu, was in der passenden Farbe war, empfand ich als etwas Grandioses und zog es auch gleich an. Ein wenig Hilfe brauchte ich dabei noch, aber dann präsentierte ich mich stolz vor Sandro, der mir lächelnd zuzwinkerte. »Jetzt muss ich mir wohl auch eine Badehose anziehen, was?«
Aber das wollte ich gar nicht. Ich hatte etwas neues, da brauchte Sandro nicht auch gleich etwas neues tragen, da kam ja mein Bikini gar nicht richtig zur Geltung. Also überzeugte ich ihn , dass das nicht nötig sei und rannte los, damit ich zuerst beim Teich ankam.
Erst viel später erfuhr ich, wie sehr er dieses Ding gehasst hat. Aber Marcella hatte - ebenfalls unter Protest ihrer Eltern - sich solch einen erbettelt, weil sie in der Schule alle damit angaben und wir wollten dann natürlich auch so etwas haben. Es dauerte aber nicht lange, dann war mir der tolle Bikini eher lästig. Nach dem Wasserbad musste man sich da wieder mühselig rausquälen, weil es ewig lange nass blieb und man fror dann. Also ließen wir den bald wieder unbeachtet daheim.
Kichernd saß ich am Ufer, als Sandro gemütlich eintraf, das Brett und ein Handtuch dabei, was er beides auf den Boden warf.
»Dann rein mit dir. Zeig mir, was du vom letzten Mal behalten hast. Ich passe auf.«
Das musste er mir nicht zweimal sagen. Ich sprintete ins Wasser und lief todesmutig immer weiter rein, bis mich Sandro stoppte. Dann begann ich mutig loszupaddeln. Erst funktionierte es auch ganz gut und ich war stolz auf meine Leistung. Lobheischend drehte ich mich um, da schluckte ich Wasser und geriet in Panik. Ich konnte Sandro sehen, der auf mich zukam, aber noch war er ein Stück weg und ich verschluckte mich wieder, begann zu husten und schluckte noch mehr Wasser. Hektisch strampelte ich mit den Beinen, geriet aber immer mehr unter die Wasseroberfläche. Dann endlich fühlte ich Sandros Arm um meinen Körper und heulte einfach nur los, während ich hustend versuchte, das verschluckte Wassert wieder hervorzuwürgen.
Mein Herz schlug wie verrückt und immer noch schnappte ich nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sandro klopfte mir sanft auf den Rücken, bis ich wieder zu Luft kam und der Husten sich einstellte. Nun liefen nur noch die Tränen. Er strich mir die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und lächelte mich beruhigend an.
»Das passiert jedem zu Beginn. Alles nicht so schlimm. Ich zeige dir jetzt erstmal etwas, was dir helfen wird, wenn du mal eine Pause brauchst im Wasser. Dann wird dir das sicher nicht mehr so schnell passieren. Bist du bereit?«
Zitternd klammerte ich mich an Sandros Hals. Eigentlich war mir die Lust am Schwimmen lernen gründlich vergangen, aber nach ein paar beruhigenden Streicheleinheiten nickte ich zögerlich. Zufrieden und aufmunternd lächelte er mir zu, als er sagte, ich solle mich gerade hinlegen. Auf den Rücken, während er mich festhielt. Ich spürte den sicheren Halt in meinem Rücken und schloss ängstlich die Augen, als ich mich vorsichtig streckte. Gleichzeitig klammerte ich mich an den Arm, was Sandro zunächst zuließ. Er blieb lange so stehen, bis ich ruhig atmete und die Augen wieder aufmachte.
»Gut so, Angelina. Jetzt nehme ich meine Hand an deinem Rücken ein winziges Stück nach unten. Sie ist noch da, du kannst nicht untergehen, versprochen. Einfach so liegenbleiben.«
Erst verkrampfte ich voller Angst, aber immer wenn ich mich bewegen wollte, tippte er mit seiner Hand an meinen Rücken und ich entspannte mich wieder. Wieder verging eine Weile, ohne dass etwas geschah. Ich lag einfach so auf meinem Rücken und ging nicht unter, wie ich staunend feststellte. Ich hob den Kopf an, um etwas zu sagen, da knickte meine Körpermitte ein und ich drohte, abzutauchen, aber Sandros Hand hob mich wieder hoch und er forderte mich auf, ruhig und gerade liegen zu bleiben.
Jetzt traute ich mich nicht mehr etwas zu sagen, also blieb ich wieder mit geschlossenen Augen liegen und wartete. Und Sandro hatte Geduld. Mehr als ich. Ich weiß nicht, wie lange wir so verharrten, aber so hatte ich mir schwimmen nicht vorgestellt. Ich öffnete die Augen und sah voller Schrecken, dass Sandro ein ganzes Stück von mir entfernt stand und mich beobachtete. Als ich die Augen aufschlug und das bemerkte, rief er sofort, dass ich ruhig liegen bleiben sollte und kam wieder näher. Mühsam gelang es mir, aber ich war froh, als er wieder neben mir stand.
»Ich wollte, dass du siehst, dass das Wasser dich trägt, jedenfalls wenn du ruhig liegen bleibst. Und jetzt kommt der nächste Schritt. Hol tief Luft und dann versuche, unbedingt unterzugehen. Ich bin hier, dir kann nichts passieren. Gib dir Mühe, wirklich tief unter Wasser zu kommen. Und los! Nicht lange überlegen, ich passe auf dich auf.« Er stupste energisch an meine Nasenspitze und ich gehorchte automatisch. Ich holte tief Luft und begann nach unten zu paddeln. Aber so sehr ich versuchte, komplett unterzutauchen, desto weniger gelang es. Lediglich mein Gesicht gelangte ab und zu ein wenig unter Wasser, aber da ich die Luft angehalten hatte, machte es nichts, weil ich mich nicht verschluckte.
Nach einigen erfolglosen Versuchen, holte mich Sandro heraus und ich strahlte ihn an.
Sandro schaute mich furchtbar stolz an und meinte nur, jetzt würde ich ja wohl keine Angst mehr vor dem Wasser haben. Das hatte ich wirklich nicht. Außerdem gab er mir noch dieses leichte Brett, das ich mit ins Wasser nehmen konnte und mich daran festhalten. So hatte ich noch eine Sicherheit.
Trotzdem dauerte es noch den ganzen Sommer, bis ich die Schwimmbewegungen schaffte und zunächst nahe am Ufer meine Runden drehen konnte. Jetzt schon freute ich mich darauf, dass ich im nächsten Sommer das Tauchen lernen sollte.
Sandro versprach es mir und bis jetzt hatte er noch jedes Versprechen gehalten.