Es war einfacher als gedacht gewesen.
Nach meiner Rückkehr redeten wir sehr viel.
Über unsere Pläne, die Zukunft, auch über die Savantoj, die Wolkensprache und vieles mehr, was wir in der nächsten Zeit tun wollten, während wir ab sofort wieder unter einem Dach leben wollten - als Studpertnero.
Ich merkte erst in dieser Zeit, unter welcher Anspannung wir gelitten hatten in dieser Zeit der Trennung, Zweifel und Sehnsucht. Wir kamen emotional zur Ruhe und das hatten wir beide bitter nötig.
Den letzten Schritt, Angelinas Wandlung, schoben wir zunächst weg. Seitdem wir wieder zusammen waren, gelang uns das einvernehmlich sehr gut. Plötzlich schien es nicht mehr als drohendes Ereignis mit ungewissem Ausgang, sondern als etwas Strahlendes, auf das wir uns gemeinsam freuten - eben wie ein Geschenk, von dem wir wussten, dass wir es bald erhalten würden. Die Gefahr blendeten wir aus, wie alles andere, was unsere Zweisamkeit stören könnte.
Wir sahen Gio und Sophia regelmäßig, sie freuten sich so offen mit uns mit, dass wir wussten, wir waren auf dem richtigen Weg.
Es gingen drei ganze Jahre ins Land und wir hatten eine harmonische, liebevolle Zeit, in der wir beide viel lernten.
Ich über Angelina, ihre Entwicklung und Wünsche und sie über die Savantoj. Sie wollte alles wissen und lernen, sich optimal vorbereiten.
Mir ging jedesmal das Herz auf, wie sie mit glänzenden Augen Fragen stellte und die Antworten aufsog wie ein trockener Schwamm. Wie erwartet lernte sie rasend schnell - war das schon immer so gewesen?
Natürlich konnte sie die Wolkensprache nur theoretisch lernen, aber lesen konnte sie die Nachrichten jetzt schon ziemlich gut und sie freute sich immer unbändig, wenn sie mir etwas mitteilen konnte, was ich noch nicht gesehen hatte.
Wieder einmal kämpfte der Frühling den Winter nieder, in ein paar Wochen stand bereits die vierte goldene Schleife an, als wir zusammen zu "unserem" See spazierten, Hand in Hand wie früher. Auch wie früher war ihr Wissensdrang unerschöpflich und sie fragte mich immer noch Löcher in den Bauch, bis ich sie einfach an mich zog und ihr den Mund verschloss mit einem Kuss.
Jeder unserer Atemzüge waren in der Kälte sichtbar, aber das nahmen wir nur am Rande wahr. Eine unheimliche Euphorie, die mich erfasste, nahm mich unter Beschlag und vereinnahmte mich. Meine Hände machten sich selbständig und versuchten, sich bei Angelina durch die verschiedenen Kleiderlagen zu tasten, aber wenn ich sie nicht ausziehen wollte in dieser Kälte, blieb es bei dem Versuch und ich gab auf und presste sie nur an mich. Schauer liefen durch ihren Körper, was mich völlig aus der Bahn warf und dabei war mir egal, ob die Kälte oder unsere gegenseitige Anziehungskraft daran Schuld war.
Sie begann zu zittern in meinen Armen.
»Wollen wir wieder nach Hause?«, flüsterte ich heiser neben ihrem Ohr. Sie nickte nur und ich konnte nur vermuten, warum ihr die Stimme wegblieb. Ich wollte sie einfach nicht mehr loslassen und hob sie ein Stück vom Boden hoch und marschierte in Richtung unseres Hauses, bis ich merkte, dass sie kicherte. »Verausgabe dich nicht zu sehr«, gab sie glucksend zum Besten. Empört setzte ich sie ab und schob sie ein Stück von mir weg, damit ich sie ansehen konnte. Ich versuchte, ärgerlich auszusehen, aber sie grinste mir nur frech ins Gesicht. Wie ich dieses freche Grinsen liebte! Blitzschnell gab sie mir einen winzigen Kuss, wandte sich um und rannte los. Ich sprintete hinterher, wobei ich ihr am Anfang noch den Abstand ließ, aber als sie fast am Haus war, musste ich sie unbedingt noch erwischen.
Lachend wand sie sich in meinen Armen und wehrte sich gespielt, weil ich sie natürlich küssen wollte. »Gnade«, quiteschte sie endlich japsend, während sie weiter versuchte, sich aus meinen Armen zu befreien.
»Zu spät für Reue«, knurrte ich sie an. Es musste sich echt angehört haben, denn ihr Blick huschte erschrocken zu mir. Sie atmete erleichtert auf und wisperte ohne weitere Gegenwehr: »Ich ergebe mich.«
»Will ich dir auch geraten haben«, knurrte ich, wobei mein Gesichtsausdruck jedem meiner Worte widersprach. In ihrem Mienenspiel erkannte ich dieselbe Liebe und Leidenschaft, wie sie in mir tobten. Diesmal gab es keinen Widerspruch, als ich sie hoch hob und hineintrug. Diesmal war ich mir sicher, warum sie zitterte.
Etwa acht Wochen später legte ich ihr morgens, als sie im Bad war, ihre vierte Schleife auf ihr Kopfkissen. Sie entdeckte sie sofort, als sie zurück ins Zimmer kam.
»Wieder ein Jahr herum, stimmt. Wollen wir sie gemeinsam anmachen?«
Ich war beeindruckt, wie gelassen sie diesmal reagierte, eigentlich auch schon im letzten Jahr. Ich musste ihr Respekt zollen, wenn ich noch an die ersten Jahre dachte, wie ihre Reaktionen damals gewesen waren. Nie konnte sie es abwarten, war jedes Mal aufgeregt ohne Ende. Nachdenklich betrachtete ich sie, ehe mir der fragende Blick auffiel. Sie wartete auf eine Antwort.
»Ich überlege gerade ...«, gab ich von mir und verhalf mir einen Moment Zeit, in dem ich die richtigen Worte suchen konnte.
»Was denn?« Arglos sah sie mich an. »Welche Seite? Willst du auch ein paar abhaben?« Ein verschmitztes Grinsen trat in ihr Gesicht.
»Ich überlege, ob wir sie vielleicht gemeinsam anbringen - danach?«
Sie brauchte einen Augenblick, bis ihr der Sinn meiner Worte ins Bewusstsein drangen. Sie wurde blass, tastete nach der Bettumrandung und sank auf die Matratze, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Du meinst ... du willst ... wir ...« Fassungslos rollte sie eine Locke um ihren Finger und starrte mich immer noch an, ohne sich zu bewegen.
Ich streckte ihr eine Hand entgegen, um sie zu mir zu ziehen und als sie neben mir lag, nahm ich sie in den Arm.
»Von meiner Seite aus, bekommst du ab jetzt grünes Licht für deine Wandlung. Du hast in der letzten Zeit bewiesen, dass ich mich auf dich verlassen kann, warst geduldig - jedenfalls so weit es dir möglich ist - und verantwortungsvoll. Du hast mich überzeugt, dass du jetzt erwachsen genug bist. Heute würde ich dir zutrauen, dass du mir auch mal widersprichst, weil du Argumente hast, die mich überzeugen. Nicht mehr aus Trotz. Darum vertraue ich dir mein Leben an - ohne Einschränkungen.«
Ich meinte jedes Wort so wie ich es sagte. Sie war ergriffen und verblüfft und offensichtlich durcheinander, weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Jetzt war sie ihrem langgehegten Wunsch so nahe, dass es sie erschreckte.
Spontan kam mir noch eine Idee. Bevor ich länger darüber nachdachte, sprach ich sie schon aus.
Später würde ich begreifen, was für ein fataler Fehler mir in diesem Augenblick unterlief. Ausgerechnet mir.
»Entscheide selbst, wann der richtige Zeitpunkt für dich ist. Ich vertraue mich deinem Urteil an.«
Als sie mich nun ansah, fanden sich unsere Lippen zu einem sanften Kuss.
Es war alles gesagt, der Rest würde sich nun finden.
Oder gab es da doch noch etwas?
Ich ließ mich einfach von meinen Gefühlen überschwemmen und hörte auf zu denken.