Gio hatte mir Angst gemacht, als er andeutete, dass etwas nicht stimmte mit Sophia. Ich hatte zwei Flaschen Limonade besorgt, stellte sie auf den Tisch und setzte mich wieder.
Gio nickte dankend, griff sich eine Flasche und trank. Als er sie wieder abstellte, sah er mich ernst an.
»Sophias Zwillingsschwester bekam gestern die Nachricht, dass die Tochter ihrer Freundin bei Stammesfehden in Afrika umgekommen ist. Du kannst dir vorstellen, was bei uns los ist. Sie hat noch eine Tochter dort. Die Überlegungen gehen dahin, dass wir versuchen, sie zurückzuholen. Ihre Aufgabe hat sie dort schon erfüllt, ihr Mann wird vermutlich keine weiteren Kinder mehr zeugen können. Es sollte vermutlich nur noch ein paar Wochen dauern, bis sie heimkehren sollte, aber jetzt ...«
»Lieber gestern als heute, verständlich. Was habt ihr geplant?« Ich griff nach meiner Flasche und sah zu den spielenden Kindern hinüber, während ich auf Gios Antwort wartete.
»Wir können nicht viel machen. Das Problem ist, sie hat ein Baby bekommen. Du weißt, was das heißt. Sie wird nicht ohne das Kind weggehen.«
»Der Vater ...?«, fragte ich zögerlich nach.
»Der wurde schwer verletzt, liegt im Spital. Eine bessere Chance für eine Flucht einer seiner Zweitfrauen wird es kaum geben. Aber mit einem Baby wird das schwierig. Ich hatte schon Verbindung aufgenommen zu einem von uns, einem Kapitän im Mittelmeer, der sie als blinden Passagier mitnehmen würde. Aber das Kind. Das will er auf keinen Fall.«
»Aber es kann noch Monate dauern, bis es stirbt. Solange kann sie doch nicht dableiben?« Ich konnte die junge Mutter ja verstehen, aber was würde es ändern, wenn sie am Ende beide tot wären?
»Was willst du jetzt tun?«
»Deswegen bin ich hier. Ich muss dort hin, also nicht bis zu ihr, aber in die Nähe. Ich nehme jemanden mit, der sie vielleicht überzeugen kann, das Baby in der Obhut der anderen Frauen zu lassen und zu fliehen. Ich hoffe, das gelingt. Dich wollte ich bitten, ob du in der Zeit mit Angelina zu uns kommen kannst. Ein paar Tage wird es wohl dauern, ehe ich wieder da bin, aber ich möchte Sophia nicht ganz ohne Unterstützung hier lassen.«
»Mach dir keine Sorgen, das schaffen wir schon. Ich verkaufe ihr das als Urlaub, dann ist sie bestimmt begeistert. Ein Gästezimmer habt ihr ja - vielleicht kann Angelina ja bei Marcella schlafen in der Zeit, das wäre ein zusätzlicher Anreiz. Aber ich bespreche das mit Sophia. Wenn du einverstanden bist, kommen wir heute Abend zum Abendbrot, dann kann ich noch ein paar Sachen packen.«
Ich trank die kleine Flasche leer, die ich dann nachdenklich in meiner Hand drehte.
Gio strich sich nervös durch die Haare, wirkte aber erleichtert wegen meiner Zusage.
Ich hakte nochmal nach. »Ist es für dich gefährlich? Macht sich Sophia auch um dich Sorgen?«
»Eigentlich muss sie das nicht. Aber du kennst sie ja. Aufpassen muss ich natürlich, aber nicht mehr als sonst, weil ich nur eine Begleitung bin. Die Hauptaufgabe muss ihr Zukünftiger erfüllen, aber der hat ja auch allen Grund, sich dafür einzusetzen. Sonst wird das mit der geplanten Hochzeit nächstes Jahr nichts mehr werden.«
Ich nickte verstehend. Weil die Kinder auf uns zukamen, verschoben wir weitere Gespräche auf später und Gio forderte Marcella auf, mit ihm nach Hause zu kommen, was natürlich Protest von beiden Mädchen zur Folge hatte.
Ich sprach schnell ein Machtwort, damit Gio sich nicht länger aufhalten musste, als notwendig.
»Was haltet ihr davon, wenn Angelina und ich mal ein paar Tage bei euch wohnen würden? Wäre das was? Sollen wir gleich nachher schon zu euch kommen?«
Die Kinder strahlten sich gegenseitig an und nickten begeistert, hätten am liebsten gleich tausend Pläne gemacht, aber das galt es jetzt zu stoppen.
»Das geht nur, wenn du, Marcella, jetzt mit deinem Papa nach Hause fährst - weil wir dafür alle noch etwas vorbereiten müssen. Also keine Widerrede mehr und ab mit euch.«
Ich hatte Erfolg, sie ließen sich tatsächlich trennen und ich zwinkert Gio kurz zu, bevor ich der aufgeregten Angelina ins Haus folgte, um mit ihr zu packen.
Sophia und ich waren mit den Kindern gut beschäftigt, daher ging die Verabschiedung von Gio dann schon fast am Rande durch, wobei ich Sophia anmerkte, wie angespannt sie war.
Sie kannte die junge Frau persönlich, auch wenn sie nicht wirklich befreundet waren, das fiel dann eher in den Bereich ihrer Zwillingsschwester. Aber es machte sie betroffen, schon weil es auch um ein Kind ging und außerdem musste sie Gio ziehen lassen und sie malte sich schon schreckliche Szenarien aus. Für Notfälle halfen sich Savantoj natürlich immer, selbst wenn sie sich nicht persönlich kannten. In jedem Land gab es ganz andere Probleme zu bewältigen, von daher wusste keiner, was ihn wirklich erwartete, wenn solch ein Zwischenfall eintrat.
Wenn sich die junge Frau gar nicht überzeugen lassen würde, könnte sie vermutlich niemand mehr retten. Dann musste sie wohl so lange dort bleiben, wie ihr offizieller Ehemann leben würde. Nach einem vorschnellen Ende für ihn, außer durch die Stammesfehden, sah es bisher nicht aus.
In ein offenes Kriegsgebiet als Außenstehender einzudringen, war lebensgefährlich. Opfer interessierten da niemanden.
Ich bemühte mich redlich, Sophia abzulenken und zu beruhigen, wenn sie sich Gedanken machte.
Gio schickte regelmäßig Nachrichten, dann war sie für ein paar Stunden ruhiger. Trotzdem ging es ihr natürlich immer durch den Kopf, aber die Kinder forderten Aufmerksamkeit und wir hatten doch immer wieder Abwechslung. Jedenfalls bis sie dann abends endlich im Bett waren und es dann still wurde im Haus.
Die drei Mädchen durften im selben Zimmer schlafen, sie waren begeistert, selbst die "Große" Maria fand Gefallen daran.
Angelina jedenfalls fügte sich hervorragend in die Gruppe ein, auch wenn sie Marcella als ihre besondere Freundin erkoren hatte. Einmal lagen sie morgens sogar zusammen in einem Bett, aber das war wohl eine Ausnahme.
Nach zwei Wochen kündigte Gio an, dass er sich auf dem Rückweg befände. Er hatte beide, die junge Frau und ihren Freund, mit dabei, die er unterwegs bei anderen Savantoj lassen würde.
Von dem Tag an, war Sophia wieder fröhlich, das merkten auch die Kinder und ich war froh, dass Gio bald wieder daheim sein würde. Man konnte nur hoffen, dass nicht bald wieder solch ein Notfall passieren würde.
Es dauert noch vier Tage, bis Gio wieder da war. Überschwänglich wurde er von seiner Familie und Angelina und mir begrüßt, ich freute mich wirklich mit allen mit.
Bis er mir sagte, dass er die Tage bei mir vorbeikommen wollte. Es gäbe etwas zu besprechen. Er legte den Finger über die Lippen und nickte Richtung Sophia - also gab es doch noch etwas, was noch nicht geklärt war.
Ich ging wieder mit einem mulmigen Gefühl ins Bett.