Musikalisch inspiriert von:
https://www.youtube.com/watch?v=ptIT0I81DDU
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Sie war erst seit gestern nicht mehr da und mich quälte nicht nur die Einsamkeit, die mich erdrückte, sondern vor allem die Unsicherheit, wie sie alles verkraften würde und letztendlich wie sie sich irgendwann entscheiden würde. Auch die Tatsache, dass es noch elendig lange dauern würde, weil sie ja noch am Anfang dieser Entwicklung stand. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich irgendwann beruhigen und ehrlich die vergangenen Jahre zu Rate ziehen würde.
Schon einen Tag später besuchte mich Gio und riet mir wieder dringend, ihr die ganze Wahrheit zu sagen, über mich und sie und die Sache mit der Bestimmung, das sie meine Auraeho war - aber ich lehnte wieder ab.
»Wenn ich ihr das sagen würde, wäre sie doch fast schon gezwungen, sich dieser Wandlung zu unterwerfen. Sie würde es für mich tun wollen - aber so will ich das nicht. Es käme mir nicht echt vor. Nur wenn ihr Herz ihr das selbst sagt, was sie tun soll, ist es richtig.«
Gio schüttelte den Kopf und sah mich zweifelnd an.
»Hör mal, mein Freund, ich weiß wie es ist, wenn man Jahre warten muss, bis man ans Ziel kommt. Ich hätte auf Sophia dreimal so lange und mit Freuden gewartet - ich verstehe dich! Aber sie und ich wussten, worauf wir gemeinsam warten. Angelina weiß jetzt nur, dass du sie nicht mehr um dich haben willst, was schlicht die größte Lüge von allen ist. Warum willst du Turmento el infero (Höllenqualen) nicht lieber gegen ĉiela sento (himmlisches Gefühl) und Espero (Hoffnung) austauschen?«
Gio wollte mir helfen, aber diesen Kampf musste ich allein ausfechten, oder wenigstens fast allein.
»Ich kann sie nicht jeden Tag sehen und nicht wissen, ob ich ihr das geben kann, was sie jetzt braucht. Wie soll sie sich ehrlich für mich entscheiden, mich vermissen und ihre Liebe zu mir erkennen, wenn sie keinen Vergleich hat? Ich habe keine Wahl, ich muss sie erstmal ziehen lassen, damit sie zurückkehren kann.«
Gio seufzte.
»Du meinst, sie bekommt einen Vergleich, wenn sie die Studpartnero von Marcella und Maria in Aktion erlebt - und selbst keinen haben kann? Ernsthaft?«
Betroffen schaute ich ihn an und hob die Hände.
»Ich habe noch keine Lösung dafür gefunden«, gab ich kleinlaut zu und wusste, dass es kläglich war.
Gio schwieg eine Weile und ich überlegte fieberhaft, was ich tun könnte.
»Du weißt, dass ich dein Mädchen liebe, wie meine eigenen, darum habe ich dem Umzug auch zugestimmt«, begann Gio erneut auf mich einzureden. »Aber dieses Problem können wir nicht ignorieren - wenn du schon deinen Dickkopf durchsetzen willst, musst du wenigstens helfen, damit ich eine Chance habe, sie auf den richtigen Weg zu bringen. Ich habe da eine Idee, aber das muss ich mit dir und den betreffenden Personen abstimmen, sonst funktioniert es nicht.«
Hoffnungsvoll sah ich hoch, aber Gios Gesicht sah nicht so entspannt aus, wie ich es mir wünschen würde, wenn es denn eine gute Lösung wäre, die ihm da vorschwebte. Aber egal wie sie aussah - alles war besser, als gar keine Lösung.
»Welche Idee?«
Gio raufte sich die Haare, das nächste Anzeichen dafür, dass es keine ideale Lösung war.
»Die Probleme bei Maria sind dir bekannt, sie ist mit ihrem Studpartnero sehr glücklich und gewöhnt sich gut ein. Besser als erwartet, weil Francesco wirklich ein sehr zärtlicher Studpartnero ist.«
Er machte eine Pause, die sich ungewöhnlich lange hinzog, aber ich unterbrach ihn nicht.
»Ich habe schon mit ihm und Maria gesprochen, natürlich noch unter Vorbehalt, denn ich will dich da mit ins Boot nehmen. Diese Entscheidung treffe ich nicht allein. Was meinst du - wenn Francesco sich auch um Angelina kümmern würde, das wäre eine Lösung bis fast zum Ende. Bis dahin sollte sie sich entscheiden können. Francesco käme es entgegen, vielleicht sogar ein wenig zu sehr, Maria hat nichts dagegen, würde sich gern beteiligen, was ich ihr nicht abschlagen will - und Angelina könnte ihre Erfahrungen sammeln.« Bei den letzten Worten zeichnete er Gänsefüßchen in die Luft.
Ich sah einen Hoffnungsschimmer, denn das hörte sich für mich nach einer sehr guten Lösung an, aber Gio hob die Hand und sprach weiter.
»Du denkst, das wäre gut, nicht wahr? Aber sie ist ein Mensch, ihre Gefühle sind noch anders - sie könnte sich in Francesco verlieben und wäre dann so hoffnungslos mit einer zweiten unerfüllten Liebe. Die Gefahr besteht, du weißt das. Er hat jetzt schon eine gewisse Anziehungskraft, die er auf sie ausübt, das habe ich bereits heute morgen feststellen dürfen. Wenn ich nicht rechtzeitig eingeschritten wäre, wer weiß. Darum müssen wir das heute sofort klären, damit ich allen reinen Wein einschenken kann. Angelina habe ich bereits von der Möglichkeit erzählt, wegen des Vorfalls heute morgen, aber ich habe ihr gesagt, dass es in deiner Hand liegt, dem zuzustimmen. Es wird dir nicht gefallen, wie sie reagiert hat, aber du willst ihr nichts sagen und darum musst du andere Risiken eingehen. Ob sie dir nun gefallen oder nicht.«
Erschrocken sprang ich auf. So schnell gab es gab es Probleme? Damit hatte ich nicht gerechnet.
»Was ist passiert?«, fragte ich sofort. Gio winkte ab, aber es beruhigte mich nicht gleich. Angespannt hing ich an seinen Lippen.
»Nichts. Noch nicht, wie gesagt, ich war rechtzeitig zur Stelle, bei Kindern muss man immer aufpassen und Angelina gehört dazu, also habe ich auf sie Acht gegeben. Angelina hat Maria und Francesco heute morgen beim Liebesspiel beobachtet und sagen wir mal so, es ging nicht spurlos an ihr vorüber. Sie war wohl sehr angetan und da sie dieses Gefühl noch nicht einsortieren konnte, war sie zu nichts weiter in der Lage, als zuzulassen, was das mit ihr machte. Als Francesco es bemerkte, hätte er sich gern ihrer angenommen und sie schien offensichtlich, sagen wir mal - interessiert. Das konnte ich nicht zulassen, wie du weißt. Sie kannte die Regeln noch nicht, das war unverzeihlich von ihm, aber bevor du jetzt ausrastest - er hat sie nicht einmal berührt, also komm wieder runter. Es war meine Schuld, ich habe zu früh mit den Beiden geredet und etwas in Aussicht gestellt, was noch nicht feststand. Sie wussten, dass ich es erst von dir absegnen lassen wollte, aber die Gelegenheit, der Überschwang der Gefühle - du weißt selbst wie das ist und sie lernen ihre Beherrschung erst noch. Ich kann ihnen diesen Verstoß verzeihen, Angelina hat es jetzt verstanden, mit ihr habe ich heute morgen ein langes Gespräch geführt. Francesco und Maria bekommen noch ihre Strafe dafür - wenn du nun der ganzen Sache zustimmen kannst, dann wären wir einen großen Schritt weiter.«
Ich hörte zu und auch wieder nicht. Ein Satz ließ mir noch keine Ruhe.
»Wie hat sie reagiert?« Ich musste wissen, was sie darüber dachte.
Gio sah mich fast mitleidig an.
»Sie sagte sinngemäß, dass du sicher froh wärst, wenn sich endlich jemand anderes um sie kümmern würde als du.«
Ich schloss die Augen, um den Pfeil zu verkraften, den mein Herz bei diesen Worten traf. Alles in mir wollte schreien, widersprechen, alles richtig stellen, aber ich schwieg. Die Schmerzwelle ebbte ab, doch der Pfeil saß brennend in mir. Es war meine eigene Schuld. Was sollte sie auch anderes denken?
»Dann bitte - soll sie ihren Willen haben«, stimmte ich schließlich zu.
So sehr ich mich auf der einen Seite freute, dass sie garantiert viel Spaß haben würde mit ihrem Körper und den neuen Erfahrungen, so sehr schien sie plötzlich immer weiter in die Ferne zu rücken. Sie wollte vor mir davon laufen.
Ich konnte nur hoffen, dass wir sie noch irgendwie aufhalten konnten, bevor sie uns entglitt.
»Ich komme euch besuchen, ist das okay? Vielleicht bewirkt das ja was?«
Gio nickte zustimmend.
»Versprich dir nicht zuviel, mein Freund.«
Als er abfuhr, blieb ich mit meinen trostlosen Gedanken zurück und ahnte nicht, was auf mich zukommen würde.
Es war auch besser so.