Über den Sommer brachte ich Angelina das Schwimmen bei. Sie hatte Spaß im Wasser und nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es ihr, sich auch längere Zeit sicher im Wasser zu bewegen. Das war mir schon sehr wichtig. Sie wollte auch Tauchen lernen, aber das verschoben wir auf nächstes Jahr, lieber übten wir weiterhin das Dauerschwimmen, das war mir wichtiger.
Ich amüsierte mich stets, wenn sie danach sofort todmüde ins Bett fiel, wo sie doch sonst so ein Energiebündel war, aber schwimmen schlauchte offensichtlich noch mehr als normales Toben.
Viel zu schnell war der Sommer vorüber, der Herbst brachte bunte Blätter und einige Stürme mit sich, aber wir verbrachten dennoch viel Zeit draußen in der Natur. Ihren Bewegungsdrang konnte ich jederzeit lenken mit Laufen und Spielen. Später wollte ich mit ihr zusammen Sport treiben, damit sie ausgelastet sein würde. Noch war sie zu klein, aber sie machte begeistert mit, was ich ihr anbot.
Als der Dezember nahte, versuchte ich mit ihr über diese üblichen Gebräuche bei den Menschen zu reden. Grundsätzlich war das Fest der Liebe eine gute Sache, aber was die Menschen im Laufe der Zeit daraus gemacht hatten, gefiel mir weniger. Ich versuchte mir mit Angelina einen eigene Art von Tradition zu erschaffen, die dem eigentlichen Sinn wieder etwas näher kam. Da sie jetzt keinen Vergleich hatte, ließ sie sich skeptisch, aber durchaus bereitwillig auf unser Spiel ein, sich gegenseitig jeden Tag zu zeigen, wie lieb wir uns hatten. Es erschien mir eine kindgerechte Umsetzung, mit der sie etwas anfangen konnte.
Sie war begeistert darüber, dass sie sofort starten konnte und die Bedingung, eine Sache pro Tag, versprach, dass es jeden Tag was neues gab.
Aber sie hatte ihren Favoriten. Ich musste immer insgeheim schmunzeln, wenn sie ihr Kuschelöl verlangte, denn es war etwas, was auch Gios Kinder sich gern innerhalb ihrer Familie wünschten.
Savantos liebten es, Zärtlichkeiten auszutauschen und irgendwie hatte Angelina sich das sofort angenommen, als wenn sie schon immer bei uns gewesen wäre. Das gab mir Hoffnung, auch wenn ich dem nicht zuviel Gewicht beimessen wollte. Es lag noch ein weiter Weg vor uns, das war mir bewusst.
Den ersten Schnee bei uns ließ sie euphorisch werden. Sie konnte nicht genug davon bekommen, draußen in der weißen Pracht herumzutollen. Nur mit größter Mühe konnte ich sie davon überzeugen, dass sie sich wenigstens zwischendurch mal aufwärmen musste. Über ihre offensichtliche Freude in der Natur war ich überglücklich. Das konnte mein Verbündeter werden, wenn es soweit war.
Als das erste gemeinsame Frühjahr sich ankündigte, bekam Angelina von mir erste regelmäßige Aufgaben, die sie allein bewältigen musste. Wenn sie Probleme hatte, half ich ihr und ich lobte sie immer, auch wenn es ihr misslang. Auch ihr Bemühen, es richtig zu machen fand bei mir immer Anerkennung, was sie immer weiter anspornte. Sie war eine kleine Kämpfernatur und gab nicht so schnell auf.
Der Sommer schickte schon einige Vorboten mit warmen Tagen und Angelina wollte unbedingt Tauchen gehen. Ich vertröstete sie noch für eine Weile, allein schon deswegen, weil das Wasser noch viel zu kalt war. Murrend gab sie nach. Dafür gab ich ihr kurz danach ihre erste blaue Schleife, die sie an dem Bettpfosten an ihrer Seite anbringen durfte.
Das erste Jahr war wie im Flug vorbeigerauscht.
Bald konnte ich mit ihr regelmäßig die schulischen Dinge in Angriff nehmen, die Listen wurden immer länger. Gut, dass ich mir schon lange darüber Gedanken gemacht hatte, wie ich das mit genug Aktivität draußen verbinden konnte. Gio hatte mich dabei unterstützt, er hatte schon einige Kinder durch die Schule gebracht, aber es war natürlich einfacher, wenn man die Kinder nur in die Schule schicken musste, damit sie alles, was sie brauchten, lernten. Uns war das Risiko zu groß, dass sie vielleicht doch noch erkannt werden würde. Außerdem fehlte mir noch die Frau, die die Familie vollkommen gemacht hätte. Noch mehr Lügen würden gefährlich werden, also wollte ich sie zu Hause unterrichten.
Sobald sie über alles Bescheid wüsste, könnten wir ihr eine Ausbildung beschaffen, dann wäre es kein Problem mehr. Jedenfalls, wenn sie sich dann noch darauf einlassen würde.
Jetzt mussten wir auch endlich eine Routine für die Aktivitäten für draußen finden, da wollte ich sie mit einbeziehen, damit sie auch mit Spaß dabei blieb. Ich rief sie zu mir.
»Angelina, wollen wir morgens immer eine Runde joggen vor dem Frühstück?« Ich hatte mir mein Notizbuch vorgenommen und wollte da festhalten, was wir uns reglemäßg vornehmen wollten und wo wir uns freie Zeiten lassen sollten. Joggen war im Moment natürlich ein großes Wort - schließlich war sie noch klein, aber wir konnten das ja langsam steigern, je nachdem wie es ihr gefiel.
Sie machte selbst noch Vorschläge. Schwimmen und Tauchen standen ganz oben, aber dafür brauchten wir mehr Zeit, weil wir ja erst zum See gehen mussten. Wurde aber auch aufgenommen, neben Spielen und Spaziergängen für den Naturkundeunterricht. So viel wie möglich wollte ich ihr in der Natur selbst beibringen, solche Sachen behielten sich dann viel besser im Gedächtnis. Wir diskutierten noch eine Weile, dann sagte ich ihr, dass wir vorläufig genug hätten.
Ich wollte ihr eben vorschlagen zusammen etwas zum Abendbrot zu kochen, da kam Gio um die Ecke. Völlig ohne Vorankündigung und mit Marcella im Schlepptau, was Angelina sogleich mit einem Quietschen zur Kenntnis nahm und auf sie zurannte, um sie zu umarmen.
Die beiden Mädchen hatten sich eng angefreundet, sie waren ja auch fast in einem Alter. Gio wurde erst danach begrüßt und ich merkte schon, dass sein Lächeln ein wenig gequält wirkte. Ich begann mir Sorgen zu machen, aber sein warnender Blick signalisierte mir, dass ich vor den Kindern nichts sagen sollte, also blieb ich still und begrüßte Marcella freundlich.
Die Mädchen liefen gleich auf den großen Platz vor dem Haus zum Spielen, während Gio zu mir herüberkam.
Ich sah seinem Gesicht an, dass etwas nicht in Ordnung war, aber ich wartete nach dem knappen Nicken zur Begrüßung darauf, dass er sprach.
Er vergewisserte sich, dass die Kinder außer Hörweite waren, dann seufzte er.
»Schlechte Nachrichten, mein Freund.«
Mir wurde übel.
»Was ist passiert?«, presste ich leise heraus.
»Es geht um Sophia.«
Ich musste schlucken. Das klang nicht gut.
»Ich hol uns erst was zu trinken ...«
Ich brauchte den Moment, um mich zu wappnen.