Geräuschvoll stieß der Anführer der Grünen Nebel den Atem durch die Nase aus und blickte zwei Gestalten hinterher, die hastig das Weite suchten. Rongar und Stepan, diese beiden Beutelschneider, hatten doch tatsächlich versucht, ihn um seinen Einsatz zu betrügen. Als ob er sich übervorteilen ließe wie ein blutjunger Fußsoldat. Ein mitleidiges Grinsen umspielte seine Lippen, während er seine Geldkatze mit den dreißig Silberlingen sorgfältig am Gürtel sicherte. Wer mit Cay Rojahn wettete und verlor, war gut beraten, seine Ehrenschuld freierdings zu begleichen, wenn er an Leib und Leben unversehrt bleiben wollte. Die beiden Schufte konnten froh sein, dass er bereits ein anderes Ziel ins Auge gefasst hatte. Und auf dieses war von seinem jetzigen Standpunkt aus perfekte Sicht.
Behutsam wie ein Jäger auf der Pirsch hatte er sich während des letzten Sandglases an seinen Lieblingsfeind herangeschlichen. Die ewig gleichen Dankesworte und die belanglosen Plänkeleien seiner zahlreichen Gesprächspartner hatten ihn zwar allmählich ermüdet, doch immerhin war er auf diese Weise von Gruppe zu Gruppe gezogen und bis auf sechs Mannslängen an den Anführer des Roten Mondes herangekommen. Dieser saß vor einem der Lagerfeuer wie ein ahnungsloses Kaninchen vor seinem Bau und hatte offenbar keinen seiner Schritte bemerkt. Leichtsinnig von einem Heerführer, äußerst leichtsinnig. Selbst unter seinesgleichen sollte man seine Feinde nie aus den Augen lassen.
Yo Valkja sollte bloß nicht denken, dass er ihn vergessen hätte. Dass er ihn nach ihrem Disput im Ratssaal einfach so davonkommen ließe. Sein Erzrivale hütete ein Geheimnis, dessen war er sich sicher. Cay presste die Kiefer aufeinander und schnaubte leise. Er hatte den Bleichling fast soweit gehabt! Wäre dieses vermaledeite blaue Langohr nur nicht dazwischengegangen.
Der Erste General schloss die Lider und atmete einmal durch. Er konnte warten. Steter Tropfen höhlte jeden Stein und die Zeit spielte ihm eindeutig in die Hände. Je länger Yo der Siegesfeier beiwohnte, desto leichter wurde es. Das wusste er aus Erfahrung. Im Gegensatz zu ihm hatte der Blässling noch nie etwas für gesellige Runden und Zechabende übriggehabt. Hatte er in der Vergangenheit doch einmal daran teilgenommen, so war er nicht nur noch reizbarer geworden, sondern hatte auch zielsicher einen Eklat ausgelöst. In dieser Hinsicht war auf das Spitzohr Verlass und genau darauf setzte Cay auch heute.
Ein Grinsen verzog seine Mundwinkel. Beim Bankett hatte sein Intimfeind sich bereits hinreichend taktlos und unziemlich gezeigt, dass mit Sicherheit in Bälde eine weitere Abstrafung der Neun Weisen folgen würde. Auch hier im Burghof war die Laune des anderen Heermeisters unverändert. Zwar war der Bleichling umringt von etlichen seiner Männer, doch ohne Gesprächspartner. Lustlos stocherte er mit einem Stöckchen im Feuer herum und schrie geradezu nach seiner Gesellschaft. Wie so oft hatte der Anführer des Roten Mondes die Brauen tief ins gewittrige Gesicht gezogen und seine Augen sowie den Mund zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Ein Murrkopf, wie ihn ein Barde nicht besser besingen konnte.
Verstand einer diesen Mann. Wie konnte man bei solch einem freudigen Anlass nur so verbiestert dreinschauen? Mehr noch, wie konnte man sich selbst das Leben derartig schwermachen? Es musste anstrengend sein, immer so eine Mordslaune zu haben. Ständig dieser Frust und dieser Zorn, das ging doch an die Substanz. Ganz zu schweigen von den Falten, die solch ein Dauergrimm mit sich brachte. Wo blieb denn da der Spaß? Das Leben wollte in vollen Zügen genossen werden! Aber was das betraf, stieg wohl eher der Hohe Vater herab, als dass er und Yo Valkja gleicher Meinung wären.
Allmählich drängten sich die zahlreichen Gespräche der Krieger wieder in Cays Wahrnehmung und hatten mit dem Voranschreiten der Nacht das Lieblingsthema eines jedweden Mannes erreicht: das holde Geschlecht. Als galt es, den feurigsten Liebhaber unter ihnen zu küren, prahlten sie mit ihren Eroberungen im Feindesland und übertrumpften einander mit den abenteuerlichsten erotischen Geschichten. Erneut schlich sich ein Grinsen in Cays Gesicht. Diesen Teil des Abends mochte er, denn gemeinhin wurden nicht nur eigene Erlebnisse zum Besten gegeben, sondern auch von denen der Heerführer berichtet. Und er kam dabei stets besonders gut weg.
So auch dieses Mal. Dem johlenden Beifall, den seine Eskapaden ernteten, war unschwer zu entnehmen, dass die Männer ihn bewunderten. Warum auch nicht? Cay war für seine Wirkung auf die Damenwelt und seine Gabe, jede Frau, die er haben wollte, mit Leichtigkeit und Klasse für sich zu gewinnen, ebenso bekannt wie geachtet. Manch einer würde auch sagen berüchtigt, aber aus diesen Mündern sprach blanker Neid. Jeder Krieger wollte so sein wie er. Schließlich dünkte er sich in der komfortablen Lage, nicht eine Nacht seines Lebens allein verbringen zu müssen, wenn ihm der Sinn danach stand. Wer außer ihm konnte das von sich behaupten?
Yo Valkja mit Sicherheit nicht. Dessen miserabler Ruf eilte dem Blässling weit voraus. Freiwillig rührte den eine Frau nicht einmal mit der Kneifzange an. Und Cay fiel auch keine Summe ein, mit der sich eine Dirne bestechen ließ, das Nachtlager mit seinem Kontrahenten zu teilen. Geschweige denn, dass er eine Liebesdienerin, die diesen Auftrag überhaupt annähme, kannte. Zumindest keine, die noch bei Verstand war. Nein, der Dritte General musste sich seine Bettgefährtin sicher mit Waffengewalt nehmen. Ein Gedanke, der Cay ein hämisches Lächeln ins Gesicht zauberte. Noch mehr, da sein Lieblingsfeind den blumigen Erzählungen zu seinen Eroberungen offenbar unwillentlich lauschte. Und wie ihm schien, gefiel dem Spitzohr gar nicht, was es hörte. Das Stöckchen, mit dem es bis eben im Feuer herumgestochert hatte, hielt es nun so fest umfasst, als hinge sein Leben davon ab, und seine Kiefer malmten sichtbar. Langsam setzte der Anführer der Grünen Nebel sich in Bewegung. Es war an der Zeit, dem Blässling auf den Zahn zu fühlen.
Die Gelegenheit war günstig, denn zwischenzeitlich hatten sich mehrere Schwertbrüder zwischen den Dritten General und seinen Intimus Cru gedrängt. Mit Valgard, dem vielleicht unfähigsten seiner Marschalle, ins Gespräch vertieft saß letzterer mit dem Rücken zu Yo und auch Fürst Vîbor war ein ganzes Stück von dem Bleichling weggerückt und unterhielt sich erstaunlich gut mit eben jenen Kriegern, die noch vor einigen Mondzyklen seine Landsleute gemordet hatten. Von diesen beiden ging also keine Gefahr für Cay aus. Fehlte nur noch das passende Stichwort.
Just in diesem Augenblick gingen die Erzählungen der Männer vom Ersten auf den Zweiten General über. Wie einige der Weißen Wölfe zu berichten wussten, war ihr Anführer immer wieder mit diversen Frauen in seinem Zelt verschwunden und manche waren sogar die ganze Nacht über geblieben. Auch von verräterischen Geräuschen, erotischem Schattenspiel und einer eigenartigen Gelassenheit des Heerführers am darauffolgenden Morgen war die Rede. Cay grinste süffisant. Er hatte es gewusst! Unter dem Deckmantel der Keuschheit verbarg sich auch bei dem Sibulek ein Mann mit ganz gewöhnlichen körperlichen Bedürfnissen.
Während diese Erkenntnis ringsum grölend begossen wurde, schien der Anführer des Roten Mondes wie erstarrt. Reglos hockte er da wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung, blinzelte nicht und schien nicht einmal zu atmen. Yos starrer Blick schien den Boden des Hofes zu durchbohren, seine schmalen Augenbrauen zuckten unwirsch zur Nasenwurzel und binnen eines Atemzuges wechselte die Färbung seiner Wangen von weiß zu bläulich und wieder zurück. Mit einem leisen Knacken brach das Holzstück in der bleichen Faust. Der geeignete Moment war gekommen.
Mit einem gespielt freundlichen Lächeln setzte Cay sich neben den dritten Heermeister. „Na, Yo. So allein hier? Was dagegen, wenn ich dir ein wenig Gesellschaft leiste?“
Ruckartig sah sein Lieblingsfeind auf und für einen Wimpernschlag meinte der Anführer der Grünen Nebel, Furcht in den pechschwarzen Augen zu lesen. Dann jedoch stellte sich wieder dieses altbekannte gereizte Funkeln ein.
„Du selbstgefälliger Stiesel hast mir gerade noch gefehlt“, knurrte der andere General.
Cay antwortete mit einem warmen Lächeln. „Du mir auch, Bleichling. Du mir auch.“ Als wären sie die besten Freunde, prostete er Yo zu. Dann nahm er einen Schluck Klarkalten, bevor er beiläufig konstatierte: „Interessantes Gebet, das ihr zwei da vorhin gesprochen habt. War doch eines, oder?“
Irritiert sah Yo ihn an und begriff den Sinn der Frage offenkundig nicht.
„War jedenfalls eine sehr anständige Geste. Ich danke dir. Ehrlich.“ Ein angedeutetes Kopfnicken unterstrich Cays Worte.
Sein Kontrahent entgegnete nichts und legte stattdessen die Stirn in Falten. Der Erste General verkniff sich ein Grinsen. Schweigen war ein Anfang. Kein besonders guter, aber ein Anfang.
„Klang nur irgendwie nicht nach Lingoi“, murmelte er halblaut vor sich hin. „Und auch sonst nach keiner mir bekannten Sprache.“
„Und?“, fragte Yo hörbar gereizt und seine Augen blitzten feindselig.
Diese Mal konnte Cay das Grinsen nicht unterdrücken und führte schnell den Tonkrug zum Mund, um es dahinter zu verbergen. Einsilbig war gut. Einsilbig war sogar sehr gut.
„Seit wann lässt du deinen Zögling eigentlich mit Gesindel verkehren?“, fragte er nach einer Pause und deutete mit einem Nicken auf Inor. Dieser saß gerade noch in Sichtweite und konnte weder den Blick noch die Finger von dem viborianischen Mädchen mit der kirschroten Lockenpracht lassen.
Erneut schien sein unfreiwilliger Gesprächspartner die hintersinnige Frage nicht zu verstehen, also wurde er deutlicher. „Du weißt schon, was man über sie erzählt, oder? Ich meine, dass sie eine Giftmischerin, eine Hexe sein soll.“
Bewusst hielt Cay kurz inne und musterte den anderen Heermeister, bevor er weitersprach und mit gespielter Überraschung die Augenbrauen hochzog. „Das wusstest du nicht?“
Natürlich wusste Yo das nicht. Für Klatsch und Tratsch waren die Ohren des Blässlings ebenso empfänglich wie für Befehle. Und der gesellschaftlichen Brisanz einer solchen Liebelei war er sich zweifelsohne weder bewusst noch scherte es ihn. Als Inor das Mädchen aus dem Feindesland jedoch vor aller Augen in die Höhe stemmte und dann inniglich küsste, stieß Yo genervt die Luft zwischen den Zähnen hervor und wandte den Blick ab. Irgendetwas an dieser Verbindung störte ihn also doch. Interessant.
„Also, ich würde dem Jungen so einen Umgang verbieten“, fuhr Cay fort und sinnierte wohlbetont vor sich hin. „Hast du einmal an deinen Ruf gedacht? Ich meine, wenn das ruchbar wird, dass dein Adjutant … mit dem Feind … mit einer Hexe schl…“
„Schnauze!“, fuhr Yo ihm barsch über den Mund und knurrte drohend. Eine Ader an der rechten Schläfe des bleichen Silberhaars trat leicht hervor und pulsierte stark.
Der Anführer der Grünen Nebel frohlockte innerlich. Das war ja einfach. Fast schon zu leicht. Es war offensichtlich, dass dem Dritten General der Gedanke, sein Schüler könnte das Nachtlager mit dieser jungen Frau teilen, unangenehm war. Wenngleich sich ihm nicht erschloss, warum. Geschmack hatte Yos Zögling. Immerhin war sie ein recht hübsches Ding, das sicher einiges zu bieten hatte. Eine wie sie würde auch er nicht von seiner Lagerstatt stoßen. Yo dagegen blickte drein, als wäre sie ein männermordendes Ungeheuer, welchem er lieber des Nachts ein Schwert in den Rücken jagte, anstatt ihm des Tags die Hand zu reichen.
Mit leichtem Kopfschütteln lenkte Cay seine Aufmerksamkeit wieder auf den Blässling zu seiner Linken und nahm einen tiefen Schluck des wirklich vorzüglichen Brandts. Überlegungen dieser Art brachten ihn kein Stück voran und sorgten nur dafür, dass er sein Ziel aus den Augen verlor. Dieses wiederum schien mittlerweile hinreichend abgelenkt und verwirrt. Das feindselige Funkeln in Yos Augen hatte sich ebenso verloren wie die unwillkürliche Abwehrhaltung seines Körpers. Zeit, zum Angriff überzugehen.
„Welche Geschichten werden wir denn von dir hören?“, fragte Cay daher beiläufig und ohne seinem Rivalen einen Blick zu schenken.
Aus dem Augenwinkel verfolgte er, wie Yo ruckartig den Kopf zu ihm herumriss und dreinblickte, als hätte er Alt-Lingoi rückwärts gesprochen. Der Erste General konnte sich das Grinsen nur um Haaresbreite verkneifen. Es war ehrlich schwer, ernst zu bleiben, wenn sein Kontrahent so gar nichts begriff. Oder nicht begreifen wollte. Denn wann immer ein Gespräch in seiner Gegenwart körperliche Lust thematisierte, übte das Spitzohr sich gemeinhin angestrengt in Ignoranz und demonstrativem Desinteresse. Wusste der Geyer, warum. Allein, heute Nacht schien Yo dies nicht so recht gelingen zu wollen.
Als Cay den anderen Heerführer anblickte, verfinsterten sich dessen Gesichtszüge. An Antwort statt knurrte der Bleichling bedrohlich und starrte dann wieder stur ins Feuer. Der Erste General konnte förmlich sehen, wie Yos beschränkter Verstand den Sinn ihrer Konversation zu verstehen suchte und doch immer wieder ins Leere in griff. Ein köstlicher Anblick.
Stichelnd stieß er seinen Gesprächspartner daher in die Seite. „Na, komm schon, alter Freund. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du drei lange Winter ohne die Freuden der Sinneslust überlebt hast?“
Yos Pupillen weiteten sich kurz, bevor er die Augen verdrehte, die Brauen noch tiefer zur Nasenwurzel zog und den Atem mit leichtem Kopfschütteln langgezogen wieder ausstieß.
„Mensch, Yo, du bist ja prüder als jeder Klosterknabe“, platzte es lachend aus Cay heraus und er nahm einen weiteren Schluck.
Sowie die Worte aus seinem Mund waren, schoss dem Anführer der Grünen Nebel ein Gedanke durch den Kopf. Gerüchten zufolge sollte der Blässling eine Zeitlang in einem Konvent gelebt haben. Obgleich die Vorstellung des Silberhaars mit Kutte und Keuschheitsgelübde mehr als absonderlich war, hatte Yo nicht erst mit diesem seltsamen, unerwartet ergreifenden Totengebet bewiesen, dass dies mehr als nur Geschwätz war. Cay wusste nicht zu sagen, was ihn mehr erschütterte: Dass man einem wie Yo in einer heiligen Stätte Unterschlupf gewährt, ihn gar in die Gemeinschaft aufgenommen und unterwiesen hatte oder dass dieser fähig gewesen war, sich in den Konvent einzufügen und die Lehren der Mönche anzunehmen. Beide Gedanken waren ihm ebenso fremd wie unbegreiflich. Ließ man dies jedoch außer Acht, könnte die Zeit in klösterlicher Gemeinschaft durchaus der Grund für Yos Prüderie und sein zur Schau gestelltes Desinteresse an den Freuden der Sinneslust sein. Cay kannte so einige arme Tröpfe, denen der Mannesstolz und jegliche Liebeskraft im Knabenalter regelrecht aus dem Körper geprügelt worden waren.
„Wie wär’s, wenn du mal durchatmest?“, sagte er daher versöhnlich und sah Yo direkt an. Dieser erwiderte seinen Blick nur flüchtig und erweckte den Anschein, als wolle er ihm auf der Stelle seine Faust ins Gesicht schmettern. „Wir sind hier unter uns, Yo. Kein Rat, keine Anstandsdamen und dein Moralapostel ist auch schwer beschäftigt.“ Mit einem Kopfnicken deutete Cay gen Cru. „Also entspann dich, Bleichling. Deine Laune ist ja echt nicht zum Aushalten.“
Bar jeden Kalküls klopfte der Erste General seinem Kontrahenten auf die Schulter. Es war seltsam. Für einen Moment war er versucht, Mitleid für das Spitzohr zu empfinden. Doch schon im nächsten Augenblick blitzte ein listiger Gedanke in seinem Kopf auf und er wagte einen erneuten Vorstoß. So recht wollte Cay die Mär vom unerfahrenen Klosterknaben dann doch nicht glauben.
„Abgesehen davon hat dein Freund schon ordentlich vorgelegt. Das willst du doch nicht auf dir sitzen lassen, hm?“
Provokativ zog er eine Augenbraue in die Höhe und wartete. Weiterhin grimmig, doch nunmehr fragend blickte Yo ihn an und schien erneut kein Wort zu verstehen. Unwillkürlich schüttelte der Anführer der Grünen Nebel leicht den Kopf und atmete leise aus. Wie konnte ein Heermeister nur derart lebensfremd und schwer von Begriff sein?
„Nicht, dass wir uns falsch verstehen, an mich reicht ihr beide nicht einmal zusammen heran“, sagte Cay betont laut, rutschte näher an seinen Rivalen heran und fuhr dann etwas leiser fort, „aber ich muss zugeben, ich bin durchaus ein wenig beeindruckt. Bisher hat unser blaues Langohr schließlich nicht gerade als feuriger Liebhaber geglänzt. Dennoch: Seine tugendhafte, ach so keusche Art habe ich deinem Intimus zu keiner Zeit abgekauft. Dir übrigens auch nicht. Mir war schon immer klar, dass auch ihr keine Kinder von Traurigkeit seid. Dass es unser lieber Cru allerdings so faustdick hinter den Ohren hat, dass er gleich vier Damen auf einmal beglückt, das habe ich ihm dann doch nicht zugetraut.“
Erneut zog Cay eine Augenbraue hoch und grinste breit. Erst schien es, als verstünde Yo auch diese Anspielung nicht, doch mit einem Mal zog er die Schultern an die Wangen, als rönne ein Schauer durch seinen Körper, und strich sich mit der Linken über den rechten Arm. Für einen Wimpernschlag nahm das Gesicht des Bleichlings gar einen Ausdruck an, als führe man eine stumpfe Klinge über seine Haut und bohre ihm diese dann langsam ins Fleisch. Die Lippen fest aufeinandergepresst, knirschte der andere Heermeister hörbar mit den Zähnen und die Nägel seiner Rechten krallten ins Leder seiner Beinkleider. Cay wollte auf der Stelle tot umfallen, wenn das eine normale Reaktion war.
Mit einem Mal stieg die Lautstärke der Krieger enorm an und Cay vernahm enttäuschte Rufe. Neugierig sah er sich um.
„Ach, kommt schon, Männer, erzählt das euren Ammen!“ tönte es rechts von ihm und in seinem Rücken erklang eine andere, brummige Männerstimme. „Raus damit, los! Ihr seid dran! Oder wollt ihr uns etwa weismachen, dass der Rote Mond von einem Kastraten geführt wird?“
Schallendes Gelächter brach ringsum aus und Cays Mundwinkel zuckten. Wie ihm schien, waren nun die erotischen Abenteuer des Dritten Generals an der Reihe. Wie passend. Jetzt wurde es interessant.
„Wenn wir es euch doch sagen: Da gibt es nichts zu erzählen. Rein gar nichts!“, entgegnete ein junger Mann mit rotem Schopf, der Cays Wissen nach zum Generalsregiment des Dritten Heeres gehörte, verlegen und hob abwehrend die Arme. Das Lachen der Krieger wurde lauter und spöttisch.
„Wer’s glaubt, Kristan! Kleiner, den Bären kannst du anderen aufbinden!“
Hilfesuchend blickte der Bursche zu einigen Schwertbrüdern des Roten Mondes. Ein bulliger Kerl mit unrasiertem Stoppelbart, der ein Stück rechts hinter ihm saß, sprang ihm bei. „Glaubt es oder nicht, ihr alten Lästermäuler, aber General Valkja hat sich nicht ein einziges Mal an den Gelagen beteiligt, geschweige denn, dass auch nur eine Frau die Nacht mit ihm verbracht hat.“
„Genau genommen, durften sie noch nicht einmal sein Zelt betreten. Und falls es doch mal welche wagten, haben sie es sehr schnell bitter bereut“, fügte der rothaarige Jüngling halblaut an, verstummte jedoch sofort indigniert, als das Gespött der Männer verstummte und skeptischem Raunen wich.
Auch Cay hob überrascht die Augenbrauen und musterte seinen Kontrahenten aus den Augenwinkeln. Dieser strafte die Reden mit der ihm eigenen verbissenen Nichtbeachtung. Zumindest versuchte er dies angestrengt.
Ein anderer Schwertbruder des Dritten Heeres unterbrach die betretene Stille mit glucksendem Lachen und erhob sich ungelenk. Den vollen Krug in der Linken stand er schwankend, holte mit der Rechten weit aus und rief: „Ja, genau! Yarek, Ulfin, wisst ihr noch? Diese zwei heißblütigen Viborianerinnen aus … Wie hieß das Dorf noch gleich? Ah, Jandrotha. Verschlafenes Nest mitten im Nirgendwo, am Rande eines riesigen Waldes. Keinen Respekt, keine Furcht, nicht einmal Wein oder gutes Essen hatten die. Aber Frauen …“ Einige der Krieger nickten wissend, andere prosteten dem Erzählendem lachend zu und wieder andere drängten ihn weiterzusprechen. Einzig der Rothaarige Jüngling und der bullige Stoppelbart versuchten, ihn zu beschwichtigen und zum Setzen zu bewegen. Erfolglos.
Der trunkene Mann wehrte beide Schwertbrüder ab, nahm einen tiefen Zug und wischte sich schmatzend den Brandt von den Lippen, bevor er fortfuhr. Seine Augen wurden groß und seine Gestik noch ausladender. „Eins sag ich euch, Freunde, denen loderte das Feuer schier aus den Augen. Verführerische, hungrige Biester waren das. Und mutig, das muss man ihnen lassen. Zwei von denen hatten es tatsächlich bis ins Zelt unseres Anführers geschafft und es gewagt, ihm näher zu kommen. Wir wetteten um jedes Sandglas, das sie ihn im Liebesspiel hielten. Einen halben Sold hab ich gesetzt und – was soll ich sagen? – verloren. Kein Dutzend Atemzüge, nachdem das Licht im Zelt erloschen war, flüchteten die Frauen. Die eine wimmernd mit tränennassem Gesicht und die andere lautstark fluchend wie ein Weinkutscher.“
An einem anderen Feuer sprang ein weiterer Krieger auf und fiel lachend ein. „Oder die Tänzerinnen, die er an den Haaren gepackt und mit dem Schwert in der Hand aus dem Lager gejagt hat, weil sie die Frechheit besessen hatten, ihn mit ihrem Schleiertanz bezirzen zu wollen.“
Lachend schlugen die redseligen Mannen des Roten Mondes sich auf die Schenkel und verschütteten dabei einen ordentlichen Teil ihres Brandts, während andere beschämt den Blick senkten und sich das Murmeln der anderen Krieger in ungläubiges Staunen und Kopfschütteln gewandelt hatte.
Auch dem Ersten General hatte es für einen Moment die Sprache verschlagen. Einerseits ob der unerhörten Respektlosigkeit dieser Männer, denen die Anwesenheit ihres Anführers entweder nicht bewusst oder schlichtweg egal sein musste. Was in beiden Fällen keine Entschuldigung war. Für einen Moment war der Anführer der Grünen Nebel sogar versucht, die dreisten Krieger zurechtzuweisen. Wobei er sich allerdings fragte, warum der Bleichling das nicht selbst tat. Den Fürsten hatte Yo gegen ebensolche Trunkenbolde schließlich handfest und lautstark verteidigt. Die infame Verletzung seiner eigenen Würde und Ehre nahm das bleiche Spitzohr dagegen kommentar- und regungslos hin. Wer sollte das verstehen? Wenn das Cays Männer wären, wenn solche Reden über ihn geschwungen würden … Er ließe solch Lügengespinst niemals auf sich sitzen! Er hätte …
Cay räusperte sich leise und schluckte seine Empörung hinunter. Wenn Yo seine Ehre nicht verteidigen wollte, dann war das dessen Sache. Er würde sich hüten, sich für den Blässling zu verwenden. Denn andererseits offenbarten diese Anekdoten ungeahnte Möglichkeiten, seinen Rivalen in Bedrängnis zu bringen. Dass diesen das alles so kalt ließ, wie es den äußeren Anschein hatte, bezweifelte der Anführer der Grünen Nebel stark.
„Mann, Mann, Yo. Da tun sich ja Abgründe auf!“, kommentierte er die ehrenrührigen Worte daher kopfschüttelnd, während einen Steinwurf entfernt die trunkenen Schwätzer mit Faustschlägen zur Räson gebracht wurden und eine handfeste Prügelei zwischen einigen Krieger ausbrach. „Kein weibliches Wesen, welches gut genug war, das Nachtlager mit dir zu teilen? Ich hätte nicht gedacht, dass du so anspruchsvoll bist. In all der langen Zeit nicht eine Nacht attraktive Gesellschaft? Das mag man kaum glauben. Andererseits erklärt es so einiges. Ich meine … all die angestaute Energie ...“
Erst jetzt wandte er seinem Gesprächspartner, dessen Wangen auch den letzten Hauch Farbe verloren hatten, wieder das Gesicht zu und schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. Yos Schlaghand zuckte und unter anderen Umständen wäre sie zweifelsohne sofort nach vorn geschnellt. Was seinen Erzfeind hier und jetzt davon abhielt, konnte Cay nur raten, doch er gewann den Eindruck, als wäre Yos Beschämung ob dieser Situation tatsächlich größer als dessen allgegenwärtige Angriffslust. Doch was den Blässling peinlich berührte, schien dabei weniger der Umstand, dass er in den Erlebnisberichten der Männer eine schlechte, wenn nicht gar lächerliche Figur abgab, zu sein. Auch die dadurch befeuerten und vielfach geäußerten Zweifel an der Manneskraft des Spitzohrs waren anscheinend nicht der Grund. Wenn Cay nicht alles täuschte, war es vielmehr die Tatsache, dass Yos Person überhaupt Gegenstand erotischer Schilderungen war und nun im Zentrum der Lustphantasien zahlreicher angetrunkener Krieger stand.
Der Dritte General schluckte, als müsste er einen Würgereiz unterdrücken, und Cays Grinsen wurde noch ein Stück breiter. Ja, das musste es sein! Und ganz gleich ob das nun Scham, Ohnmacht oder Wut war, die seinen Kontrahenten so sehr gefangen nahm, dass dieser weder sich zu verteidigen noch zum Gegenangriff überzugehen wusste, er würde diese Gelegenheit ohne Frage nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Laut genug, dass einige der Männer um sie herum auf sie aufmerksam werden mussten, nahm Cay das Gespräch mit Yo wieder auf. „Jetzt mal ehrlich und unter uns, Spitzohr.“ Zu seiner Überraschung blickte der Angesprochene ihn tatsächlich an. In den schwarzen Pupillen blitzte es. „Du willst mich doch nicht ernsthaft glauben machen, dass du dich nicht eine Nacht ausgetobt und deine heimlichen, vielleicht verbotenen Gelüste ausgelebt hast?“
Schlagartig überhauchte ein bläulicher Schimmer das blasse Gesicht des anderen Generals, das Funkeln in dessen Augen erstarb und wie im Reflex wandte er eilig den Blick ab.
`Erwischt!´, dachte der Anführer der Grünen Nebel, verengte die Augen und setzte mit verschwörerisch gesenkter Stimme nach. „Nicht einmal ein klitzekleines bisschen?“
Des Bleichlings Gesichtszüge verhärteten sich und er wirkte, als wolle er auf der Stelle im Erdboden versinken oder sich wie ein ätherisches Wesen in Luft auflösen. Cay runzelte die Stirn. Klosterknabe hin oder her, das seltsame Verhalten seines Rivalen war doch nicht normal. Das ging weit über Prüderie oder eingetrichterte Ordensregeln hinaus. Yo tat ja beinahe so, als peitschte man ihn nackt und in aller Öffentlichkeit aus. Fest presste er die Augenlider wie auch die schmalen Lippen aufeinander und mühte sich sichtlich, sowohl seine Atmung als auch das leichte Zittern seiner Fäuste unter Kontrolle zu halten. Auf eine Erwiderung wartete Cay jedoch vergeblich.
`Verdammt!´, dachte der Erste General verärgert. Warum griff das Spitzohr ihn nicht an? Es hatte doch schon bei wesentlich geringerem Anlass zugeschlagen.
Cay war zweifelsfrei auf der richtigen Spur, wenn er auch noch nicht wusste, wohin sie führte. Doch für seinen Plan war es unerlässlich, dass er Yo eine deutliche Reaktion entlockte. Am besten eine tätliche. Vor aller Augen. Erst die würde ihm offenbaren, was er sich bisher mehr schlecht als recht zusammenreimen musste. Das konnte doch nicht so schwer sein!
`Komm schon, verfluchter Bleichling! Wenn du glaubst, du kannst mich hier verhungern lassen, dann irrst du dich. So schnell gebe ich nicht auf. Und schon gar nicht bei dir! Wäre doch gelacht, wenn ich dich nicht aus der Reserve locken kann. Beiß endlich an oder ich fahre schwere Geschütze auf!´