Zwei farbenfroh gekleidete Fahnenträger mit Federhüten und goldumfassten Bannern in tiefem Robjinrot, auf denen die ebenfalls gülden leuchtenden Embleme des Zwillingsreiches prangten, betraten hocherhobenen Hauptes den Saal. Ihnen auf dem Fuße folgte ein hochgeschossener, spindeldürrer Mann, der einen ähnlich lichten Hautton wie der dritte General besaß, mit höfischer Miene und schlichtem, strengem Gehrock. Wie bei allen höheren Beamten wirkten Gesichtsausdruck und Haltung des Mannes so steif und humorlos, als hätte dieser einen mannshohen Stock verschluckt.
„Es geben sich die Ehre“, verkündete der fremdländische Herold mit gravitätischem Ernst und einer dunklen, lauten Stimme, die so gar nicht zu seiner schmächtigen Erscheinung passen wollte, „seine Hoheit, Fürst Lŷsandro Asael Sîmeon Nolan Tîtus Emeram Vîbor, edler Herrscher von Rooc und Generalbevollmächtigter von Cooh, sowie der ehrenwerte Konsul Adolar Welfhard Romuald Jooru.“
Noch ehe der Ausrufer richtig geendet hatte, betraten ein durchschnittlich großer Mann in einfacher Kleidung sowie ein kleiner, molliger Mann in pompösem Gewand den Ratssaal. Forschen Schrittes lief Ersterer auf sie zu, während der Zweite etwas abfiel. Unwillkürlich legte Cay den Kopf leicht schief und zog die Augenbrauen zusammen. Die anthrazitfarbenen Beinkleider des Vorangehenden waren aus gegerbtem Wildleder und fleckig, die schweren, braun-schwarzen Stiefel saßen auf Grund loser Senkel recht locker und das halbgeöffnete, kakaobraune Wams, unter dem der Fremde ein schlichtes, sandfarbenes Leinenhemd mit fehlender Brustschnürung trug, war an mindestens einer Stelle geflickt. Das etwas mehr als schulterlange, rostrote Haar war im Nacken locker zusammengebunden und schimmerte gräulich von Staub und Sand. Mehrere breite Strähnen hingen lose, fast wirr an der Seite herab und ihrem Träger halb ins Gesicht. Auch das jugendliche Antlitz mit den scharfen Konturen und dem eingekerbten Kinn war mit einem hauchdünnen Staubschleier belegt und an der rechten Schläfe gar dunkel von Erde. Nichts an dieser schmutzigen, unauffälligen Aufmachung verriet den hohen Rang des Mannes.
Doch Cay hatte den Fremden sofort erkannt. Nicht umsonst hatte er vor seinem Auszug aufs Schlachtfeld gewissenhaft die Dossiers all ihrer Gegner gelesen. Zudem verrieten der selbstbewusst feste Schritt, der edel hochgemute Blick und das prächtige, reich verzierte Wappen, das in liebevoller Handarbeit auf die rechte Brustseite des Wamses gestickt, unter all dem Staub und Dreck aber kaum noch zu erkennen war, einem aufmerksamen Beobachter die blaublütige Abstammung ihres Trägers.
Auf der Empore in seinem Rücken erklang entrüstetes Murmeln und Raunen. Offenbar enthüllte die wahre Natur der abgerissenen Gestalt sich den Neun Weisen, um deren Weit- und Scharfsicht es deutlich schlechter stand als um die seine, nicht gleichfalls. Der erste General warf einen skeptischen Seitenblick über die Schulter. Wenn Lanoi sich nicht blamieren wollte, sollte der Ältestenrat reagieren, bevor der Mann die Mitte des Saales erreicht hatte.
„Ah, Fürst Vîbor! Welch eine Überraschung!“, rief der Ehrenwerte Aanh zu Cays Erleichterung laut aus und mit einem Schlag ging die Sonne im Gesicht des Vorsitzenden auf. Freudig sprang er von seinem Sitz und breitete die Arme weit aus. „Seid herzlich willkommen, Hoheit, und bitte, tretet näher!“, begrüßte er den Herrscher Roocs mit warmer Stimme. Wenig verwunderlich für Cay, wusste er doch um die freundschaftliche Verbundenheit des Vorsitzenden zu dem viborianischen Herrscher seit dessen frühester Jugend und die tiefe Betrübnis, die den Ratssprecher ob der Kriegserklärung des Zwillingsreiches damals befallen hatte.
Mit kurzem, respektvollem Nicken und einem ebenso freudigen Lächeln nahm der Angesprochene die Einladung dankend zur Kenntnis und kam ihr umgehend nach. Direkt hinter Fürst Vîbor schritt Konsul Jooru, der zwar durch den kurzen Halt zu diesem aufschließen, ihm jedoch kaum folgen konnte. In der gleichen Zeit, die der Regent Roocs für einen seiner langen Schritte benötigte, musste der Konsul zwei bis drei kleine Tippelschritte machen, um nicht von dem hohen Gast abzufallen. Im Gegensatz zu dem Fürsten war dem neuen diplomatischen Vertreter Lanois im Zwillingsreich seine ranghohe Stellung allerdings nicht nur an der einen kleinen Tick zu hoch getragenen Nase, sondern vor allem an dem kunstvoll geschneiderten, doch für Cays Geschmack etwas zu prunkvollen Gewand, dessen teure Stoffe in den edelsten Farben schimmerten, anzusehen. Auch die obligatorischen Ketten und Insignien, die denen der drei Generäle entfernt ähnelten, blinkten und glänzten, als waren sie erst vor wenigen Augenblicken noch einmal gewissenhaft blank gewienert worden. Die Freude über sein neues, verantwortungsvolles Amt stand dem nichtsdestotrotz liebenswürdig dreinblickenden Mann direkt ins runde Vollmondgesicht geschrieben und er schien fast zu platzen vor kindlichem Stolz.
Hinter den beiden Würdenträgern reihten sich an die dreißig Träger mit vollbeladenen Körben und Truhen wie Ameisen aneinander. Mit Sicherheit nicht ohne Grund waren sie allesamt geöffnet und gaben ihren vielgestalten Inhalt schon von Weitem preis. Von klingender Münze, über wertvolle Stoffe, funkelndes Geschmeide und andere kostbare Preziosen bis hin zu edlen Waffen, raren Folianten, erstklassigen Weinen und exotischen Gewürzen war alles vertreten, was des Menschen Herz begehrte. Und der Rat machte da keine Ausnahme, wie das erneute Raunen in seinem Rücken erkennen ließ.
Der erste General schmunzelte. Manchmal waren die Ältesten ihrem Namen zum Trotz wie kleine Kinder, ihre Gedanken und ihr Verlangen nur allzu offenbar. Die Überraschung und das Wohlwollen der Einen waren aus dem verhaltenen Rufen und Murmeln ebenso deutlich herauszuhören wie die Begehrlichkeiten der Anderen. Er musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass einige der altersschwachen Augen beim Anblick dieser Schätze lüstern zu funkeln und die faltigen Hände in freudiger Erregung zu zittern begannen. Eine Tatsache, die auch der fremde Herrscher gewahrte, wenn er das kurze Blitzen in dessen Augen und das flüchtig um die Mundwinkel zuckende zufriedene Lächeln richtig deutete.
‚Respekt‘, dachte der erste General und erwiderte den ihn streifenden Blick des Fürsten freundlich. Eines musste man diesem Mann lassen: Er wusste, wie man einen effektvollen Auftritt hinlegte. Und wie man sich vom ersten Augenblick an das Wohlwollen einstiger Feinde sicherte.
Als die kleine Prozession ihn und die anderen Heerführer erreichte, verbeugte Cay sich achtungsvoll vor dem fremden Herrscher. Auch einem Feind, vielleicht sogar insbesondere ihm, sollte man die gebührende Ehre und Respekt erweisen. Und soweit er wusste, hatte jener vor ihm sich sowohl auf dem Schlachtfeld als auch am Verhandlungstisch vortrefflich geschlagen. Ganz im Gegensatz zu dessen Zwillingsbruder, der den Berichten zufolge die Pfade der Ehre verlassen und dafür mit dem Verlust des Krieges und einem erheblichen Schaden seines Ansehens teuer bezahlt hatte.
Auch die Weisen auf der Empore hatten sich inzwischen von ihren Sitzen erhoben und links von ihm neigten sich ebenso achtungsvoll die Häupter der anderen Generäle und Adjutanten. Ein buntes Meer aus Blau, Braun und Blond, in dem jedoch eine Farbe fehlte: Silber.
‚Verfluchtes Spitzohr!‘, dachte Cay und presste die Kiefer aufeinander. Sein Erzrivale verweigerte doch tatsächlich die Verbeugung vor dem obersten Repräsentanten des Zwillingsreiches und rührte sich nicht. Was für eine Schmähung! Cay konnte es kaum fassen und kniff kurz die Augen zusammen. Das dufte doch nicht wahr sein! Wenn dieser renitente Mistkerl hier gleich den nächsten Krieg vom Zaun brach, dann brachte er ihn eigenhändig um.
Im Moment dieses Gedankens blieb Fürst Vîbor abrupt stehen. Allen anderen gleich erhob Cay sich wieder und trat einen kleinen Schritt zurück, als der Herrscher sich den Heermeistern zuwandte.
‚Wenn das bloß keinen Eklat gibt‘, dachte er noch, als der hohe Gast einen General nach dem anderen unverwandt ansah und dann beim letzten in der Reihe die Augen verengte.
Eindringlich musterte der Fürst den Bleichling, der wie immer unwillig die Arme vor der Brust verschränkt hielt, mit ungläubigem, fast schiefem Blick von oben bis unten. Cay rechnete felsenfest damit, dass der Viborianer die ihm gebührende Verbeugung einforderte, und wenn er sich so umsah, alle Umstehenden wohl ebenso. Selbst der Sibulek hielt den Blick gesenkt, wie er feststellte. Bisweilen schien die Impertinenz seines Schwertbruders selbst Cru zu beschämen.
Völlig unvermittelt verwandelte der prüfende Blick des Viborianers sich jedoch in ein mildes Lächeln und während er die rechte Hand bedächtig ans Herz führte, verbeugte er sich leicht vor dem dritten Heermeister. Dieser wiederum reagierte in höchst ungehöriger Weise, nämlich gar nicht, und nur einen Atemzug später setzte Lŷsandro Vîbor seinen Weg zum Rat unbeeindruckt fort.
Cays Welt blieb für einen Moment stehen und er spürte förmlich, wie sein Gesicht an Farbe verlor. Ein blaublütiger Herrscher, der einem einfachen General Respekt zollte. Noch dazu seinem auserkorenen Lieblingsfeind. Das konnte doch unmöglich passiert sein! Cay fühlte sich wie ein kleiner Junge, der vor aller Augen eine schallende Ohrfeige von seinem Vater kassiert hatte.
„Es stimmt also, was man so munkelt“, ertönte zu allem Überfluss die gedämpfte Stimme des Sibulek. „Du hast dir die Dankbarkeit eines der mächtigsten Herrscherhäuser dieses Zeitalters gesichert. Nicht schlecht, Yo. Nicht schlecht.“
Ob beabsichtigt oder nicht, sprach Cru dabei zwar leise, doch laut genug, dass Cay alles mitbekam, und hieb in die gleiche Kerbe. Gleichwohl das Spitzohr die Augen verdrehte und mit einem gelangweilten Pfeiflaut abwinkte, verspürte der Anführer der Grünen Nebel einen heftigen Stich in der Brust und Zorn stieg in ihm auf. In seinem Hinterkopf nagte etwas, bohrte sich wie ein Dorn in seinen Stolz und forderte ihm eine gehörige Portion Selbstbeherrschung ab. Einzig die Tatsache, dass er im Angesicht des versammelten Rates und eines herrschaftlichen Gastes unmöglich aus der Rolle fallen konnte, hielt ihn davon ab, Yo stehenden Fußes den Fehdehandschuh hinzuwerfen.
Dennoch, wie, um alles in der Welt, hatte der Bleichling das geschafft? Was konnte einen Fürsten, dessen Name einen Klang wie Donnerhall hatte, derart beeindrucken, dass er sich ohne äußere Veranlassung erniedrigte und vor solch einem kleinwüchsigen, spitzohrigen Bastard verneigte? Yo hatte nichts, aber auch gar nichts, was er nicht selbst hatte! Ganz im Gegenteil: Er sah besser aus, war größer und muskulöser. Er hatte bessere Manieren, war wortgewandter und angesehener. Er war der bessere Stratege, cleverer und listiger. Obendrein war er der ehrbarere Kämpfer. Kurzum, er war schlicht und einfach der bessere General. Wenn es also einer der Heerführer verdient hatte, dass ein Regent sich vor ihm verbeugte, dann ja wohl er: Cay Rojahn!
Das Knurren eines Raubtieres erklang in seinem Kopf. ‚Na warte, du abgebrochener Zwerg! Das wirst du mit büßen!‘, schwor er und fügte seiner imaginären Liste an Gründen, derentwegen er Yo in geeigneter Weise zu demütigen gedachte, sobald er Oberster General war, einen weiteren Punkt hinzu.
‚Ruhig Blut, Cay, ruhig Blut‘, rief er sich nur einen Wimpernschlag später selbst zur Ordnung und löste die fest zu Fäusten geballten Hände. Seine Zeit würde kommen. Sehr bald! Mit diesem Gedanken atmete er einmal tief durch und begrub sämtliche Wut und Missgunst unter seiner Disziplin. Ein letzter giftiger Blick auf seinen Kontrahenten, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Gesandtschaft vor dem Rat zu.
Fürst Vîbor und Konsul Jooru waren derweil in eine Unterredung mit dem Ältestenrat verstrickt. Man tauschte die üblichen anerkennenden Höflichkeitsfloskeln aus und versicherte sich gegenseitig, ein harter, doch ehrenvoller Gegner gewesen zu sein. Beide Seiten waren merklich darauf bedacht, den richtigen Ton und Wortlaut zu treffen, denn jedermann hatte den kriegsauslösenden diplomatischen Zwischenfall noch zu gut vor Augen.
Konsul Ashturi, dem Vorgänger des neu ernannten Botschafters in Aikasara, war es schließlich zu verdanken gewesen, dass Lanoi sich an allen drei Landesgrenzen hatte verteidigen müssen. Was mehr als vermeidbar gewesen war. Als der Krieg mit Æhran ausgebrochen war, hatten sich die politischen Beziehungen Lanois zu beiden Ländern des Zwillingsreiches seit vielen Dekaden in einem stabilen Zustand befunden. Gebunden durch das schriftliche Wort ihrer Vorväter waren die viborianischen Fürsten dem Regenten Yaras zu kriegerischem Beistand verpflichtet gewesen. Nach den ersten verheerenden Angriffen aus dem Norden hatte Konsul Ashturi eben diese Hilfe in Roocs Hauptstadt Vikaisara bei einer Sitzung mit den höchsten Vertretern des Zwillingsreiches eingefordert.
Lŷsandro Vîbor, der als äußerst zurückhaltender und überlegter Regent bekannt war, hatte erwartungsgemäß zögerlich reagiert und sich Bedenkzeit erbeten, was von dem Botschafter Lanois als Weigerung, seiner eidesstattlichen Pflicht nachzukommen, missverstanden worden war. Ein vorschneller Fehlschluss, der eine verhängnisvolle Kette an Ereignissen in Gang gesetzt hatte. Im Angesicht der höchsten Elite des Zwillingsreiches hatte der erboste und zu aufbrausendem Verhalten neigende Mann seine diplomatische Haltung verloren. In despektierlichem Ton und mit harschen, respektlosen Worten hatte er den Herrscher Roocs attackiert und seine Schimpfrede in einer wüsten Beleidigung, deren Ehrenrührigkeit es verbot, sie wiederzugeben, gegipfelt. Die auf dem Fuße folgende Kriegserklärung Aleksar Vîbors, der anders als sein Bruder seit jeher als Heißsporn und für schnelles Handeln bekannt war, hatte das Schicksal des Konsuls besiegelt und diesen, nachdem sich wenig später auch Rooc seinem Bruderreich angeschlossen hatte, noch am selben Abend nicht nur seinen Posten, sondern auch seinen Kopf gekostet.
Noch heute war Cay gleichermaßen fassungs- wie sprachlos, wenn er über jenen schicksalhaften Abend nachdachte. Ein falsches Wort zu viel, mehr hatte es nicht benötigt, ihr aller Fatum zu besiegeln. Dabei wäre es so leicht zu verhindern gewesen. Alles, was es benötigt hätte, wäre eine große Portion Selbstbeherrschung gewesen. Nur ein wenig Zurückhaltung und der Feind wäre ein Verbündeter gewesen. Aber so lief es nun einmal, wenn man ein solch hohes und verantwortungsvolles Amt einem Mann anvertraute, der nicht in der Lage war, auch in schwierigen Situationen Haltung zu bewahren, dachte der erste General mit einem grimmigen Seitenblick auf Yo. Ein Fehler, den er niemals begehen würde. Er hatte sich im Griff. Immer.
Wie dem Anführer der Grünen Nebel schien, wollten auch der Herrscher Roocs und die Neun Weisen um keinen Preis Yrdiens Gefahr laufen, neuerliche Missverständnisse zu verursachen. Anders waren die über Gebühr höflichen Worte, die man fast schon Anbiederung schimpfen konnte, nicht zu erklären.
„Verehrter Fürst, ich hoffe, die lange Reise ist ganz zu Eurer Zufriedenheit verlaufen und wurde durch keinerlei größere Zwischenfälle getrübt “, erkundigte sich der Ehrenwerte Aanh mit einer Sanftheit in der Stimme, die er noch ein Sandglas zuvor gänzlich verloren zu haben schien. „General Valkja hat uns bereits von Eurem Kommen unterrichtet. Allerdings haben wir Euch nicht so alsbald erwartet.“
Unwillkürlich zog Lŷsandro Vîbor eine Augenbraue in die Höhe und Cay ahnte, dass Yo den Rat in dieser Angelegenheit nach Strich und Faden belogen hatte. Und so, wie er den Blässling kannte, mit Sicherheit nicht nur in dieser. Er wollte verdammt sein, wenn die Ankunft der Delegation mehr als nur ein glücklicher Zufall war.
Der Ratsvorsitzende erkundigte sich derweil nach dem Befinden des hohen Gastes. „Ihr seid sicher erschöpft und hungrig. Gewiss dürstet Euch nach etwas Labsal.“
„Mitnichten, Ehrenwerter Aanh. Der Hohen Mutter und dem Hohen Vater zum Dank war meine Reise kurzweilig und mehrenteils durchaus erquicklich, konnte ich mir doch eines warmen Empfangs neugewonnener alter Freunde sicher sein. Es war mir ein persönliches Anliegen, die Abordnung schleunig und höchstselbst zu Euch zu geleiten, um unsere so unglücklich zerrissenen Bande von Neuem zu knüpfen. Wenn der hochverehrte Ältestenrat daher den ausgehandelten Friedenszoll nebst diesem Schreiben meines Bruders, der sich aus Gründen, die sich den Neun Weisen zweifellos erschließen werden, in aller Höflichkeit entschuldigen lässt, wohlmeinend annehmen möge?“
Achtungsvoll, doch nicht zu tief verbeugte Lŷsandro Vîbor sich vor dem Rat und wies mit ausgestrecktem Arm auf die Träger, die sich in Dreierreihen zu seiner Rechten aufgestellt hatten und den Tribut des Zwillingsreiches präsentierten. Unverkennbar freudiges Murmeln entspann sich auf der niederen Empore und die Begeisterung der Weisen zeichnete sich deutlich in deren Gesichtern ab. Manch einen schien der Anblick von so viel Pracht und Herrlichkeit gar zu verjüngen.
Erneut kam Cay nicht umhin, dem Fürsten insgeheim Tribut zu zollen. Seine Worte waren wohlgewählt und enthielten genau die richtige Dosis Demut, um den alten Herren zu schmeicheln und sie für sich einzunehmen. Und obgleich seine Worte durchaus Ergebenheit suggerierten, behielt der Regent in Haltung und Minenspiel jeglichen Stolz und seine fürstliche Würde. Auch die Geschenke waren mit Bedacht und Großzügigkeit gewählt. Mochte ihre bloße Anzahl auf den ersten Blick zwar enttäuschen, so wusste ihre Qualität ein kundiges Auge schnell zu überzeugen. Die Waffen und der Schmuck waren allesamt edle Meisterstücke, soweit Cay das erfassen konnte. Die Gewürze verströmten trotz ihrer sorgsamen Verwahrung in Lederbeuteln einen intensiven Duft, den Weinflaschen war anzusehen, dass sie aus dem Dämmerschlaf dekadenlanger Lagerung gerissen worden waren, und auch die Folianten, deren Buchdeckel mit ihm unbekannten Zeichen versehen waren, schienen Kostbarkeiten von unschätzbarem Wert zu sein.
Die Truhe mit den Waffen musste an die drei Dutzend Pfeile mit Svartaarbefiederung und gehärteten Silberspitzen enthalten. Eine Spezialität der Viborianer und von beeindruckender Schnelligkeit. Es hieß, ein meisterlicher Svaar-Pfeil, wie sie unter Schützen genannt wurden, konnte schneller fliegen, als ein Lichtstrahl die Dunkelheit durchdrang. Darüber hinaus enthielt die Truhe etwa zwei Dutzend Dolche mit edelsteinbesetzten Griffen, drei Langbögen mit seltsam schimmernden Sehnen und kunstvoll eingravierten Schriftzeichen sowie zwei schmale Krummschwerter von bestechender Eleganz und Schönheit. Cay liebte Schwerter und nannte an die dreißig Stück verschiedenster Ausführung sein Eigen. Ein Vicrum fehlte in seiner Sammlung allerdings, denn wie auch Svaar-Pfeile waren sie äußerst rar und höchsten Kriegern sowie Würdenträgern des Zwillingsreiches vorbehalten. Wie gern würde er eines dieser beiden Schwerter in den Händen halten. Doch wer wusste schon, ob sich das nicht noch fügen sollte?
Der Inhalt der Truhe links neben jener mit den Waffen glitzerte und funkelte, dass einem die Augen übergingen. Der erste General war sich sicher, sollte das goldene Licht der warmen Frühmorgensonne des Sommers auf das Geschmeide treffen, würden all jene, die es besahen, in einem schillernden Meer bunter Farben ertrinken und dabei erblinden. Die Schmuckstücke waren fast gänzlich aus Gold und Silber und hätten einem Kunstschmied der Albae zu Ehre gereicht. Filigran und reich verziert mit Ornamenten aus Blättern, Federn oder Ranken, waren sie mit Edelsteinen aller Farben und Formen besetzt. Vom ovalen Smerald im satten Grün der dichten Wälder über den dreieckigen Timanten in eisig klarem Schneeweiß bis hin zum herzförmigen Robjin in verführerischem Blutrot war alles vertreten, was aus dem Boden von Mutter Natur gewonnen werden konnte. In einer Ecke sah Cay sogar eine absolute Rarität funkeln: eine dreireihige Halskette aus mattem Dunkelmetall, in der viele kleine Timanten wie Sterne funkelten und in deren Mitte ein tropfenförmiger, nachtschimmernder Blutstein von der Größe eines Daumennagels eingefasst war. Ein Schmuckstück, mit dem man das Herz der stolzesten Königin, vielleicht sogar der Hohen Mutter selbst, erobern konnte!
Für einen Wimpernschlag schloss der Anführer der Grünen Nebel die Augen. Fürst Vîbor musste eine Aussöhnung mit Lanoi äußerst am Herzen liegen. Er hatte noch nie erlebt, dass ein Gegner, der so empfindlich geschlagen wurde, solch würdevolle Demut zeigte. Er machte sich keinerlei Hoffnung, dass die Absendung der seinem Heer unterlegenen Æhraner mit ähnlich königlichen Geschenken aufwartete. Was ihm hier und jetzt weit mehr Verdruss bereitete, als er je zugeben würde. Grimmig warf er einen Seitenblick auf Yo, der dem ganzen Geschehen nicht einen Funken Aufmerksamkeit schenkte, und knirschte leise mit den Zähnen. Ihn sollte auf der Stelle der Blitz treffen, wenn der Blässling darüber informiert oder gar an der Aushandlung des Tributes beteiligt gewesen war. Nein, nie und nimmer hatte Yo auch nur einen Wimpernschlag daran verschwendet. Dafür fehlte dem Spitzohr einfach jeglicher Sinn für die schönen Dinge des Lebens.
Den Ältesten dagegen nicht, wie unschwer zu erkennen war. Mit beeindruckender Schnellig- und Leichtigkeit war die Hälfte der Ihren bereits die Stufen der niederen Empore herabgestiegen und am Übergang des ersten Ranges zur Treppe stauten sich die restlichen Ratsmitglieder hinter Baron van Vengard, der auf Grund eines Reitunfalls vor neun Jahren abwärts nur noch behäbig vorankam. Einzig Richter Llangmuth war sitzen geblieben und besah sich das Schauspiel von Ferne, während Herzog Piivii, Graf Pokinoi, Freiherr Kharus sowie Baron zu Feuerborn und Liebstein die dargereichten Kostbarkeiten bereits von Nahem in Augenschein nahmen.
Unwillkürlich verzog Cay das Gesicht, als der greise Freiherr eines der beiden Krummschwerter herauszog und mit seinen gichtgelben, ausgemergelten Fingern betastete. Wie eine kranke, eitrige Spinne, die die edle Schneide des Vicrums entlang krabbelte. Ein Bild, das den Heermeister frösteln ließ.
„Entschuldigt, wenn ich euch unterbreche, Fürst Vîbor, verehrte Ratsbrüder“, erklang unvermittelt die Stimme des Ehrenwerten Aanh und riss den Anführer der Grünen Nebel aus seinen Gedanken. Auch die Weisen blickten irritiert zu ihrem Vorsprecher auf. Dieser räusperte sich und wirkte irgendwie verlegen. „Eure Hoheit, Euer überraschender Besuch, so willkommen er ist, hat leider unser Protokoll völlig durcheinandergebracht.“
Der erste General zog eine Augenbraue hoch. Was wurde das denn? Es klang gerade so, als wolle der Ratsvorsitzende den Fürsten im nächsten Satz aus dem Saal hinaus komplimentieren. Dieser empfand augenscheinlich ebenso, denn sein freundliches Lächeln wich einem skeptischen Blick. Ratlos sah Cay zu den anderen Heermeistern, die aber keinen Deut schlauer dreinschauten, da gewahrte er aus dem Augenwinkel, wie einige Hofbeamte und Diener ihre Köpfe neugierig in den Saal steckten. In diesem Moment fiel dem ersten Heerführer mit Schrecken ein, wessen sich der Vorsprecher erinnert haben musste.
Mit fester Stimme und laut genug, dass auch die neugierigen Beobachter es verstehen mussten, sagte der leicht errötete Mann: „In Anbetracht der unvorhergesehenen Wendung und unseres fürstlichen Gastes schlage ich vor, dass die Weisen die Ernennung des Obersten Generals um einen Tag oder deren zwei verschieben. Ich denke, wir sind uns einig, dem gebührlichen Empfang eines neu gewonnen alten Freundes die größtmögliche Bedeutung beizumessen.“
`Was?´ Cay glaubte, sich verhört zu haben und war wie vom Donner gerührt. Das konnten sie doch nicht machen! Das war seine Ernennung! Der gerechte Lohn langer Winter harter Arbeit. Die Krönung seines Werdegangs. Und nicht zuletzt sein heißersehnter und wohlverdienter Sieg über das verhasste bleiche Spitzohr. Die halbe Burg musste sich bereits außerhalb des Saales versammelt haben und auf Einlass warten. Sie alle waren gekommen, um ihn zu bewundern und an seinem Triumph teilzuhaben. Das konnten sie doch nicht einfach so verschieben, bloß weil …
„Wir wollen doch keine erneuten Missverständnisse und diplomatischen Verwicklungen riskieren“, meinte der Ehrenwerte Aanh ernst und sein Blick kam auf Cay zum Ruhen.
„Natürlich nicht, hochverehrter Ratsvorsitzender“, antwortete er mit einer Milde in der Stimme, die ihn selbst überraschte. Mit einem kurzer Seitenblick auf Yo, den er am liebsten in der Luft zerrissen hätte, fügte er leise an: „Ich kann warten.“
Die restlichen Weisen waren derweil zu der Übereinkunft gekommen, dem Vorschlag des Vorsitzenden einstimmig beizupflichten. Ganz offensichtlich stand den alten Herren der Sinn im Moment mehr nach materiellen, weltlichen Werten denn nach politisch weitreichenden Entscheidungen. Was sollte man von alten, müden Geistern in alten, kranken Körpern auch anderes erwarten?
„So sei es!“, sprach der Ratssprecher und winkte einen der Saaldiener heran. „Man verkünde die Entscheidung des Rates dem wartenden Volke und informiere unseren edlen Herrscher, Kãn o’ Kaam, über die Ankunft unseres hohen Gastes.“
Die neugierigen Köpfe der Diener und Beamten verschwanden und Fürst Vîbor verneigte sich dankend, während die Weisen nur noch Augen für die Geschenke hatten und weder ihrem Vorsprecher noch einem der anderen Anwesenden mehr Aufmerksamkeit schenkten.
„Meine Herren, ich entlasse euch einstweilen aus eurer Pflicht. Der Rat wird euch den neuen Zeitpunkt der Zeremonie wissen lassen.“ Damit verabschiedete der Ehrenwerte Aanh sich, lenkte seinen Blick jedoch noch einmal auf den dritten der Heermeister. „Ich erinnere Euch eindringlich an Euren Bericht und das Euch bevorstehende Nachspiel, General Valkja. Ihr seid gut beraten, meine Anweisungen peinlich zu befolgen.“
Yo reagierte wie üblich, rollte schnaubend mit den Augen und verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. Langsam wurde es langweilig, so berechenbar war dieses Verhalten. Sein Rivale konnte sich ruhig einmal eine andere Reaktion einfallen lassen. Oder zur Abwechslung einmal gar nicht reagieren. Doch dazu war das Spitzohr im Gegensatz zu ihm einfach nicht abgebrüht genug.
„Lass gut sein, Yo. Ich helfe dir ja“, meinte der Sibulek freundlich zu dem Bleichling und animierte diesen zum Gehen.
Als in der allgemeinen Aufbruchsstimmung plötzlich Fürst Vîbor auf Yo zuhielt, trat Cru jedoch respektvoll zur Seite und zog sich zurück. Nur zwei oder drei Schritte neben Cay lehnte er sich an das hölzerne Podest, auf dem die Heerführer bei ihrer Berichterstattung immer standen, und verfolgte wie er, was der Viborianer von dem Anführer des Roten Mondes wollte.
„General Valkja!“, begrüßte Lŷsandro Vîbor das Spitzohr höflich und schmunzelte keck. „Entschuldigt mein Zögern vorhin, aber ich habe Euch nicht sofort erkannt. Ich muss zugeben, Euer heutiges Erscheinungsbild ist doch sehr … nun, ungewohnt.“
„Du sahst auch schon einmal besser aus“, konterte Yo bissig.
Ein wenig verlegen kratzte der Fürst sich daraufhin am Hinterkopf und klopfte sich die verstaubten Kleider aus. Dann beugte er sich leicht zu seinem kleineren Gesprächspartner vor und raunte diesem hinter vorgehaltener Hand etwas zu. Dabei setzte er ein spitzbübisches Grinsen auf und sah den Bleichling mit hochgezogener Augenbraue an.
`Red lauter!´, dachte Cay mürrisch und schloss die Augen. Vielleicht verstand er mehr, wenn er sich ganz auf sein Gehör konzentrierte.
„Ihr verratet mich doch nicht?“, vernahm er leise die Stimme des Viborianers, der klang, als hätte er einen Schwank erzählt.
Doch was immer es gewesen war, Yo antwortete nicht. Stattdessen verengte sein Rivale die Augen und zog die Stirn kraus. Augenscheinlich war dem Bleichling des Fürsten Verhalten suspekt und Cay ahnte warum. Üblicherweise waren Gegner, die man so schmählich bezwungen hatte, weder zu Höflichkeiten noch ungezwungener Plauderei aufgelegt, doch Lŷsandro Vîbor benahm sich, als hätte Yo ihn lediglich in einer Partie Würfelschach geschlagen.
„Weshalb ich Euch eigentlich aufgehalten habe …“ Der Fürst räusperte sich. „Ich möchte mich noch einmal in aller Form und Herzlichkeit bei Euch bedanken, General Valkja. Und auch mein Bruder Aleksar bestellt Euch seinen ergebensten Dank sowie die allerbesten Grüße. Leider gestatten sein Stolz und unaufschiebbare, dringende Pflichten am Hofe ihm nicht, Euch dies selbst mitzuteilen. Bitte seht es ihm nach.“
Augenblicklich wich der mürrische Gesichtsausdruck des Blässlings schüchterner Betretenheit und er nickte nur leicht. Cay war belustigt und irritiert zugleich. Yo konnte noch nie gut mit Dank oder netten Worten umgehen, das wusste er. Doch üblicherweise überspielte sein Kontrahent dies mit Schimpf und Flegelei, anstatt sich wie ein verschämter Backfisch zu verhalten.
„Was führt dich nach Yara?“, fragte Yo an den Fürsten gewandt und erst jetzt fiel Cay auf, dass der Blässling Lŷsandro Vîbor zum wiederholten Male nicht mit der gebotenen Anrede ansprach. Mehr noch, Yo machte sich nicht einmal die Mühe, Interesse zu heucheln, und hatte mit dieser Frage wohl lediglich weitere Worte des Viborianers verhindern wollen.
Der Fürst indes ignorierte den offenkundigen Affront und gab höflich Auskunft. „Nun, wie Ihr sicher wisst, stehen in einigen Sonnenumläufen die offiziellen Friedensgespräche am großen Verhandlungstisch mit allen beteiligten Kriegsparteien an. Und da ich es als meine Pflicht ansah, Sorge zu tragen, dass Konsul Jooru und unsere Delegation mit ihren Schätzen sicher nach Yara gelangen, um keinen erneuten Zwist zwischen unseren Reichen zu provozieren, reise ich eben etwas früher an.“ Nach einer kleinen Pause fügte er etwas leiser an: „Außerdem wollte ich gern die Gelegenheit nutzen und etwas mit Euch besprechen, General. Später, unter vier Augen.“
Fragend zog Cay daraufhin wie auch Yo die rechte Augenbraue hoch. Der Fürst wollte etwas mit seinem Kontrahenten besprechen? Unter vier Augen? Und das war ihm wichtig genug, einige Tage eher anzureisen? Was hatte das zu bedeuten? Der erste General konnte sich keinen Reim darauf machen. Er wusste nur Eines: Es gefiel ihm nicht! Ganz und gar nicht.
`Wenn du denkst, du kannst dich auf diese Weise in den Vordergrund spielen und mir die Führung streitig machen, hast du dich geschnitten, Bleichling!´, dachte Cay grimmig und knirschte mit den Zähnen. Am liebsten hätte er auf der Stelle dafür gesorgt, dass die Unterredung beendet wurde. Doch leider war seine Neugier schon immer größer als seine Missgunst gewesen und so gewann sie auch dieses Mal.
Die reservierte Haltung des dritten Heermeisters, der dem Regenten Roocs eine Antwort weiterhin schuldig blieb, ging inzwischen in latente Abwehr über.
Nach einem kurzen Seitenblick auf den Sibulek, der die ganze Szene mit gleicher Aufmerksamkeit wie er beobachtete, sich aber ebenso wenig einmischte, sprach der Fürst leise weiter: „Als Ihr das Leben meines Bruders schontet, versprach ich Euch, was immer Ihr begehret. Und ich stehe zu meinem Wort, General Valkja! Am besten wir stoßen heute Abend gemeinsam auf die neuen brüderlichen Beziehungen unserer Lande an und besprechen in aller Ruhe Euren Dankeszoll. Verlangt, was Ihr wollt, und seid Euch versichert: Das Hause Vîbor kann sehr, sehr großzügig sein.“
`Das darf doch nicht …! Dieser verfluchte spitzohrige Mistkerl!´
Der Fürst benahm sich ja gerade so, als hätte Yo das Zwillingsreich im Alleingang besiegt. Cay kochte vor Wut und konnte sich nur schwer beherrschen. Seine Finger kribbelten in den geballten Händen und sein verletzter Stolz schrie danach, sich in einem Schwertkampf mit seinem Intimfeind zu messen. Seinetwegen auch in einem dreckigen Faustkampf. Hauptsache er konnte Yo in geeigneter Weise auf den Leib schreiben, was er von dieser unerträglichen und abstoßend übertriebenen Anbiederung des Viborianers hielt. Der benahm sich ja geradezu so, als wäre der Blässling ein übernatürliches Wesen, das man hofieren und poussieren musste, damit es einen nicht mit einem beiläufigen Wimpernschlag vernichtete.
Die Krönung des Ganzen aber war die Impertinenz, mit der sein Erzrivale reagierte. Nicht etwa, dass er sich respektvoll verneigte und bedankte, wie es sich gehörte. Nicht etwa, dass er die angebotene Entlohnung annahm oder wenigstens einen Funken Genugtuung zeigte, nein. Dem Blässling lagen allem Anschein nach doch tatsächlich barsche Worte der Zurückweisung auf den Lippen. Cay verstand die Welt nicht mehr. Wenn ihm von den Utly ein solches Angebot gemacht worden wäre, er hätte nicht einen Wimpernschlag gezögert und es angenommen. Münzen, Waffen, Ländereien, Titel, Frauen: Welcher Narr schlug so eine Gelegenheit aus?
Der Blick seines Kontrahenten fiel auf etwas in Cays Rücken und die abweisende Mimik des Bleichlings verschwand. Stattdessen umspielte plötzlich ein flüchtiges Lächeln die schmalen Lippen. Mit einem Blitzen in den Augen griff Yo in die rechte Tasche seiner Hose und zog einen Ring heraus. Augenblicklich schlug Lŷsandro Vîbor kurz die Augen nieder. Wenn den ersten General nicht alles täuschte, musste der Fürst gar die Zähne zusammenbeißen und hatte für einen Atemzug Schwierigkeiten, seine Haltung zu bewahren. Dessen ungeachtet betrachtete der Anführer des Roten Mondes den Ring eine Weile lang in der geöffneten Handfläche. Cay konnte aus dieser Entfernung nichts Genaues erkennen, doch die unwillkürliche und heftige Reaktion des Herrschers von Rooc, der soeben wieder die Schultern straffte und ein gefasstes Gesicht aufsetzte, sowie die Gerüchte über einen unvorstellbar kostbaren und mächtigen Dankeszoll, die Cay über das Spitzohr zu Ohren gekommen waren, sprachen für sich.
Was hatte Lŷsandro Vîbor noch gesagt? Der Stolz des im Zweikampf unterlegenen Herrschers von Cooh verbot es diesem, selbst Abbitte bei seinem Bezwinger zu leisten und die Friedensverhandlungen persönlich zu führen? Cay wollte verdammt sein, wenn das in Yos Hand nicht einer der beiden Familienringe des Hauses Vîbor war. Und zwar der von Aleksar Vîbor. Das Zwicken und Zwacken hinter Cays Ohr wurde so unerträglich wie der brennende Zorn in seinem Herzen. Wieso, um alles in der Welt, wurde ausgerechnet diesem undankbaren Bleichling, der dies weder zu schätzen noch zu nutzen wusste, solche Ehre zuteil?
Cay ahnte, welche Demütigung es für den Fürsten sein musste, den altehrwürdigen Familienring des geliebten Bruders in den Händen eines Anderen zu sehen. Zumal dieses Kleinod dem dritten General uneingeschränkte Macht über Cooh gewährte, was der ignorante Mistkerl aber mit Sicherheit noch nicht einmal wusste. Der Anführer der Grünen Nebel sprang innerlich im Dreieck. So viel Dummheit gehörte bestraft!
Indes schien Yo auf irgendetwas zu warten. Mehrfach blickte er zu ihm herüber oder besser gesagt hinter ihn und als das freudig erregte Murmeln der Weisen in seinem Rücken verstummte, begriff Cay worauf. Mucksmäuschenstill war es im Ratssaal geworden und wenngleich er nicht wagte, sich umzudrehen und den entscheidenden Moment zu verpassen, wusste der erste General alle Augen der Ältesten auf seinem Erzfeind ruhen.
Laut genug, dass Cay es noch verstand, raunte Yo dem Fürsten zu: „Wenn du wirklich etwas für mich tun willst, dann schaff mir diese alten Vetteln vom Hals! Anderenfalls sehe ich mich bald genötigt, mein edles Schwert mit ihrem scheußlichen, schwarzen Blut beschmutzen zu müssen.“
Abfällig deutete er dabei hinter Cay und machte auf dem Absatz kehrt. Bereits nach drei Schritten hielt er jedoch inne, drehte sich langsam um und betrachtete das Schmuckstück in seiner Hand erneut. Ein breites, verschlagenes Grinsen verzerrte die bleichen Gesichtszüge kurz zu einer diabolischen Fratze und nur einen Wimpernschlag später schnippte der Bleichling dem völlig überraschten Fürsten den Ring zu. Schlagartig brach lautes Gemurmel und ohnmächtiges Aufstöhnen unter den Ratsmitgliedern aus.
„General Valkja! Halt! So wartet doch! General Valkja!“, riefen einige der Ihren, doch Yo verließ schnurstracks den Saal, ohne sich noch einmal umzusehen oder auf die Namensrufe zu reagieren. Fassungslosigkeit machte sich unter den Neun Weisen breit und Cay wusste im ersten Moment nicht zu sagen, ob des Bleichlings Affekthandlung nun eine grenzenlose Dummheit oder doch ein genialer Winkelzug war.