Einige Atemzüge verstrichen und Cay wog sein weiteres Vorgehen ab. Er war kurz vor dem Ziel, das spürte er. Doch nicht selten war es dieser letzte Schritt, der einen vermeintlich todsicheren Plan zum Scheitern bringen konnte. Davon abgesehen interessierte ihn wirklich brennend, was im Kopf seines Kontrahenten vor sich ging. Denn dieser hatte offenbar immer mehr Mühe, die stoische Fassade aufrecht zu erhalten. Einem Ritual, das ihn beruhigen sollte, gleich stocherte der Blässling wieder mit einem Stöckchen im Feuer herum und schien nicht einmal wahrzunehmen, dass er den Flammen dann und wann zu nahe kam. Die Muskeln unter Yos Hemdsärmeln waren angespannt, seine Mimik zu einem verbissenen Ausdruck versteift. Lediglich die Augen des anderen Generals irrten unruhig, um nicht zu sagen fast ängstlich im Funkenreigen der Glut umher und verrieten einen ähnlich heftigen Tumult wie die Prügelei seiner Untergebenen im Inneren des Blässlings.
Der Anführer der Grünen Nebel legte den Kopf schief und betrachtete seinen Rivalen mit unverhohlenem Interesse. Er wurde aus diesem Kerl einfach nicht schlau. Entweder hatte Yo verboten schmutzige Vorlieben, die ihn wortwörtlich den Kopf kosten konnten, oder das komplette Gegenteil musste der Fall sein.
Eine Idee erhellte Cays grüblerischen Geist und er nahm einen großen Schluck aus seinem Krug. Es überstieg zwar seine Vorstellungskraft und konnte eigentlich nie und nimmer wahr sein, doch irgendwie würde es auf verdrehte Art und Weise auch passen. Zwei, drei kurze Seitenblicke ringsum versicherten ihm, dass die meisten der Krieger um sie herum ihre Aufmerksamkeit auf Auseinandersetzung ihrer Schwertbrüder gerichtet hatten oder sie zu schlichten versuchten. Der Erste General rückte näher an Yo heran, sodass sie einander fast an den Schultern berührten.
„Sag mal, weißt du eigentlich, was du dir da entgehen lässt?“, fragte er mit betont sanfter, freundlicher Stimme und wunderte sich im selben Atemzug, dass sein Erzfeind ihn überhaupt so nah an sich heranließ. „Ich meine, weißt du überhaupt, wie das ist? Dieses herrliche Gefühl, wenn ihre warmen, splitterfasernackten Körper auf oder unter dir liegen, ihre weiche, samtige Haut sich an deine schmiegt, dich ihr betörender Leibesduft umhüllt und ihre offenen, schweren Haare in dein Gesicht fallen?“
Cays Worte und seine körperliche Nähe zeigten sofort Wirkung. Yo blinzelte irritiert und rückte instinktiv von ihm weg. Die Gesichtszüge des Bleichlings hatten ihre Härte verloren und einer fragenden Irritation Platz gemacht. Langsam beugte der Erste General sich ein Stück zu dem Dritten, raunte ihm ins Ohr und machte nach jedem Satz, jeder Frage eine kleine Pause, um das Gesagte wirken zu lassen.
„Kennst du diese erregende Empfindung, wenn ihre schlanken Finger deinen gestählten Körper erkunden, ihre vollen, gierigen Lippen jeden empfindsamen Punkt deines Körpers stimulieren und du unter ihren elektrisierenden Berührungen erzitterst?“ Das Antlitz seines Rivalen verlor jeglichen Ausdruck, nur um mit jedem folgenden Wort immer angewidertere Züge anzunehmen. „Kennst du dieses überlegene Gefühl, wenn sie sich dir voll und ganz hingeben, alle Scham und jeden Anstand vergessen, dich laut lobpreisen und sich ob deiner Liebeskünste in endlosen Schreien verlieren, bis sie heiser sind? Kennst du diese Begierde, ihnen ins rote, schweißnasse Angesicht zu sehen, wenn sie dich zitternd bitten, sie endlich zu erlösen? Und kennst du diese Lust, sie bis an ihre Grenzen zu treiben und zu wissen, dass du einfach alles tun kannst, weil sie dir mit Freuden jeden heimlichen, noch so verbotenen Wunsch erfüllen werden?“
Verständnislos, nein, entrüstet blickte Yo ihn an und Cay räusperte sich. Er fühlte, wie Wärme in sein Gesicht gestiegen war und seine Wangen mit Sicherheit lebendig gefärbt hatte. Sein Atem ging schwerer und für einen Wimpernschlag bedauerte er, die heutige Nacht allein verbringen zu müssen. Doch seine Jagd erforderte Opfer und was nicht war, konnte außerdem noch werden. Die scharfe, kalte Stimme seines Rivalen beendete den verheißungsvollen Gedanken abrupt.
„Kennst du diese herrliche Erregung, wenn ihre warmen Körper langsam kalt werden, dich der süße Duft ihrer Angst umhüllt und das Licht in ihren Augen erlischt?“, konterte Yo trocken und seine Augen nahmen einen eigenartig dunklen, frohlockenden Ausdruck an. „Kennst du dieses überlegene Gefühl, wenn sie dir voll und ganz ausgeliefert sind, alle Haltung und Beherrschung verlieren, dich laut anflehen und sich in endlosen Schreien verlieren, bis sie verstummen? Kennst du diese Begierde, ihnen ins bleiche, schweißnasse Angesicht zu blicken, wenn sie dich zitternd bitten, sie doch noch zu verschonen? Und kennst du diese Lust, sie langsam an ihr Ende zu treiben und zu wissen, dass du einfach alles tun kannst, weil dich nichts und niemand aufhalten kann?“
Cay entglitten die Gesichtszüge. Er brauchte einige Wimpernschläge, bis er sich wieder gefangen hatte.
„Bist du toll?“, rief er aus und stieß den anderen Heermeister vor die Brust. „Ich spreche von Sinnesfreuden und Erotik und du entgegnest mir mit Mord und Totschlag? Was, zum Henker, stimmt mit dir nicht, Bleichling?“
War das zu fassen? Wie konnte man seine Worte derart pervers verdrehen? Ein Anflug von Unsicherheit streifte Cays Selbstbewusstsein. Sein Intimfeind reagierte in keiner Weise so, wie er es geplant hatte. Wie ihn diese ständigen irrationalen Reaktionen des Spitzohrs wurmten! Dabei wusste er doch ganz genau, dass da etwas im Busch war. Dass da irgendetwas sein musste! Schließlich hatte er das Bild, wie Yo des Morgens völlig aufgelöst, schweißgebadet und obendrein nur notdürftig bekleidet um Haaresbreite vor ihm aus der Kammer des Sibulek geschossen war, noch allzu gut vor Augen. Es musste doch irgendwie möglich sein, diesem verdammten Blässling wenigstens ein verräterisches Wort, das ihn ans Messer lieferte, zu entlocken!
„Verfluchter Bastard!“, murmelte Cay und ertränkte seinen Frust mit den letzten Schlucken Klarkaltem, bevor er den Krug einem Sitznachbarn zur Rechten in die Rippen stieß. „Nachschenken!“, befahl er barsch, ohne den Mann auch nur anzusehen.
„Vielleicht waren sie ihm ja nicht hübsch genug?“, ertönte die glucksende Stimme eines Burschen von höchstens zwanzig Lenzen irgendwo jenseits des Feuers. Die Prügelei musste zwischenzeitlich geschlichtet worden sein und wie Cay schien, herrschte nun rings um sie herum rege Ursachenforschung für das absonderliche Verhalten des Dritten Generals.
„Oder einfach nur zu wenige?“, fragte ein Krieger seines eigenen Generalheeres und zog dabei keck eine Augenbraue hoch.
Der Anführer der Grünen Nebel schmunzelte. Die meisten seiner Männer mochten Yo ebenso wenig wie er. Und das war gewiss nicht sein Verdienst. Das hatte das Silberhaar ganz allein geschafft.
„Vielleicht“, meinte ein Dritter unerkannt aus der Menge und befeuerte die Diskussion weiter, „eilt ihm bei der Damenwelt aber auch ein Ruf voraus, den wir gar nicht kennen?“
Herzhaftes Gelächter erklang und die Männer prosteten sich zu, während der so Verunglimpfte weiterhin den Tauben mimte. Schon erstaunlich, dachte Cay, dass Yo sie nicht längst allesamt einen Kopf kürzer gemacht und eine wilde Schlägerei angezettelt hatte. Zweifelsohne wäre das der normale Verlauf der Dinge. Aber seit sie diesen Burghof betreten hatten, lief rein gar nichts normal. Ein eigenartiges, intrinsisches Vibrieren lag in der Luft. Ein ahnungsvoller Schleier, den der Anführer der Grünen Nebel weder fassen noch lüften konnte, umgab seinen Kontrahenten. Es war, als prallten all seine Versuche, Yo aus der Deckung zu locken im Augenblick seines Durchkommens doch noch an einem zwar höchst brüchigen, aber leider noch immer standhaften Schutzschild ab.
Cays Blut geriet in Wallung und er war versucht, den neuen Krug mit Klarkaltem, den man ihm eben ehrerbietig darreichte, in einem Zug zu leeren oder an Yos Kopf zu zerschlagen. Zähneknirschend besann er sich jedoch eines Besseren und nippte lediglich an dem Gefäß. Er war es nicht gewohnt zu verlieren und er würde auch heute Nacht nicht damit anfangen!
Eine kleine Kopfbewegung Yos erregte seine Aufmerksamkeit. Wie ihm schien, suchte der Bleichling den Blickkontakt mit dessen Schwertbruder. Dieser war ihnen mittlerweile zwar halb zugewandt, bekam von der Situation des dritten Heermeisters augenscheinlich aber trotzdem nichts mit. Oder wollte nichts mitbekommen. So recht warm miteinander schienen die beiden nach drei Jahren Trennung noch nicht wieder zu sein. Was nicht wirklich verwunderlich war bei der absonderlichen Freundschaft, die diese beiden Männer pflegten. Cay grinste amüsiert, als Yo den Kopf daraufhin nach rechts wandte und an ihm vorbei zu dem Viborianer blickte. Zu Yos Pech unterhielt sich dieser jedoch noch immer so angeregt, dass er das mimische Hilfegesuch ebenfalls nicht wahrnahm.
„Nun, ich denke nicht, dass es an solchen Dingen lag“, meinte Cay halblaut und lenkte die Aufmerksamkeit seines Gegenübers wieder auf sich. Leicht beugte er sich vor, um Yos Blick zu kreuzen, und zog dabei provozierend beide Augenbrauen in die Höhe „Vielleicht hat dir ja etwas ganz Anderes gefehlt?“
Unwirsch zuckten die gespaltenen Augenbrauen des Bleichlings. „Wenn du schon deinen Mund aufmachst, dann drück dich gefälligst verständlich aus!“, stieß er knurrend hervor.
Wieder grinste Cay. Das war schon eher eine Reaktion nach seinem Geschmack. Jetzt nur nichts überstürzen. Seine nächsten Worte mussten wohl bedacht sein, treffsicher ihr Ziel finden.
„Nun … es soll ja Männer geben, die selbst dem verführerischsten Sukkubus oder der betörendsten Sirene widerstehen“, fuhr er nach einer Weile fort. „Ich nehme an, die Begierde eines solchen ... Mannes“, raunte er leiser und betonte das letzte Wort abfällig, „kann wohl keine Frau der Welt befriedigen.“
Der Anführer der Grünen Nebel war sich bewusst, dass dies bei jedem anderen Gesprächspartner eine infame Beleidigung, gar Rufmord wäre, die einer Herausforderung zum Ehrenduell gleichkam. Gleichwohl dünkte er sich wissend, dass der Bleichling diese Anspielung nicht verstünde.
„Was, verflucht noch eins, willst du damit sagen?“, fauchte Yo ihn an und packte ihn am Revers seiner Paradejacke.
Offen grinste Cay ihn daraufhin an. Endlich, endlich hatte er ihn! Noch im selben Moment wurde er sich bewusst, dass es besser war, Vorsicht walten zu lassen, und sein Lachen verschwand so schnell, wie es gekommen war. Was er im Begriff war, seinem Erzfeind zu unterstellen, bedeutete zweifelsohne nicht nur das Ende von Yos Emporstieg im Heer, wenn nicht gar dessen Tod, sondern war auch gleichbedeutend mit dem seinigen, sollte er seine Behauptungen nicht belegen können. So willkommen ihm Ersteres auch war, so sehr galt es, Letzteres zu verhindern. Nein, er durfte sich noch nicht zu weit vorwagen! Er musste sich sicher sein! Musste Beweise finden. Und er musste diese spontane Eingebung, der er eben gefolgt und die kaum mehr als eine vage Idee war, erst einmal zu Ende durchdenken.
„Ich sage gar nichts“, antwortete Cay daher und nahm mit Nachdruck Yos Finger von seiner Kleidung. „Lass mich dir nur den gut gemeinten Rat geben, dass solch widernatürliche Neigungen und Gelüste sehr ungesund sind und mit dem Tode bestraft werden.“ Seine Stimme war bar jeder Provokation mit einem überraschend nachdenklichen, ehrlichen Klang.
Was auch den Dritten General zu verwundern schien. Der Bleichling sah ihn an, als habe er ihm ein unlösbares Rätsel auftragen. Selbst ein Blinder konnte sehen, dass Yo nicht im Ansatz verstand, was er ihm unterstellte. Was irgendwie für das verdammte Spitzohr sprach und Cays Zweifel nährte. Mit einem Schlag jedoch schien der andere General doch zu verstehen. Er schluckte schwer, verzog angewidert das Gesicht und schüttelte heftig den Kopf.
Zeitgleich kehrte die zornige Mimik in das blasse Gesicht zurück und Yo raunte ihm weniger leise, dafür umso bedrohlicher zu: „Dann will ich dir auch einen Rat geben, Cay. Und im Gegensatz zu dir drücke ich mich klar und verständlich aus: Ich habe wirklich keine Ahnung, auf was für abartige Gedanken dein kleines, krankes Menschenhirn so kommt. Aber ich will es auch gar nicht wissen! Also lass mich gefälligst mit deinen perversen Phantasien in Ruhe oder meine Faust findet ihren Weg direkt in dein ach so hübsches blasiertes Gesicht! Wäre doch sicher schade für die holde Damenwelt, wenn ich dein süßes Näschen in einen hässlichen Zinken verwandle und dir ein paar Beißerchen aus dem strahlenden Grinsen schlage!“
„Na warte!“, rief Cay zornig aus und sprang noch im selben Moment reflexartig auf. Unbeherrscht holte er zum Schlag aus, während Yo trotzig sitzen blieb und die Arme vor der Brust verschränkte.
Noch bevor der Erste General seinen Angriff ausführen konnte, ertönte ein lautes Räuspern in seinem Rücken und auch ohne sich umzudrehen, wusste er, dass der Herrscher Roocs hinter ihm stand. Zähneknirschend verbiss er sich seine Wut und rang seinen empfindlich gekränkten Stolz nieder. Den Erfolg, ihn in Gegenwart eines Regenten zu schlagen, gönnte er seinem verhassten Rivalen nicht.
„Verzeiht, Fürst Vîbor“, sagte Cay mit gespielter Höflichkeit, wandte sich um und setzte ein Lächeln auf, das hoffentlich echter aussah, als es sich anfühlte. „Ich hoffe, ich habe Euch nicht getroffen.“
Noch bevor der Viborianer antworten konnte, lenkte lauter Stimmenwirrwarr die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf eine große Traube Krieger, die angeführt von den drei Vizegenerälen von der Mitte des Burghofes her auf sie zu drängte. Nur wenige Atemzüge später waren sie von Schwertbrüdern aller drei Heere umringt. Mit schiefem Gesang und derben Scherzen liefen sie in Kreisformation um sie herum und nötigten auch Yo und Cru auf die Beine, worauf die beiden fast zusammenstießen. Anschließend wurden die Heerführer samt dem Fürsten in die Mitte dieses sonderbaren Kreises geschoben. Für einen Moment hatte Cay das Bild einer von Hirten zusammengetriebenen Gruppe blökender Schafe vor Augen, was ihm wenig gefiel.
„Was wird das?“, rief er aus. Zeitgleich erklang dieselbe Frage aus dem Mund seines Intimfeindes, der fragend von Cru zu Lŷsandro und schließlich zu ihm blickte. Ahnungslos zuckte Cay mit den Schultern, dann wurde er plötzlich um seine Körperachse gedreht und mit leichtem Druck zum Gehen bewogen.
„Verdammt, Pfoten weg!“, ertönte lauter Protest. Der Blässling schien nicht nur seine Stimme, sondern auch seinen Stolz wiedergefunden zu haben. Mit seinem ganzen Körper stemmte er sich erfolglos gegen drei bullige Krieger, die allesamt einen Kopf größer waren als er, und ihn lachend vorwärts schoben.
„Die haben irgendetwas vor“, vernahm Cay Crus Stimme durch die laute Heiterkeit ringsum. „Aber fragt mich bloß nicht was!“
Der Erste General schnaubte. So schlau war er auch!
Reichlich drei Dutzend Krieger, von denen die eine Hälfte kaum noch geradeaus laufen konnte und die andere unaufhörlich unflätige Trinklieder grölte, zählte Cay um sie herum. Wie eine Garde eskortierten sie die vier hohen Männer in ihrer Mitte aus dem Burghof hinaus und den Hangpfad hinunter. Am Fuße des Burgberges flackerten Fackeln wie Irrlichter in der Nacht und eine süße Melodie stieg von dort zu ihnen herauf. Schlagartig begriff der Anführer der Grünen Nebel, was ihre Männer vorhatten.
Eine feine Idee, sagte er sich und die Anspannung fiel von ihm ab. Ein wenig Zerstreuung war genau das, was er jetzt brauchte. Mit vorfreudigem Grinsen beantwortete er die vielen Blicke unter hochgezogenen Augenbrauen um ihn herum und lenkte seine Schritte immer beschwingter den Hangpfad hinab. Schien ganz so, als würde diese Nacht doch noch eine erfreuliche Wendung nehmen. Zumindest für ihn.
Mit spöttischem Grinsen warf er einen Blick hinter sich und auf Yo, der nun schon zum dritten Mal unter lautstarkem Fluchen versuchte, aus dem Tross auszubrechen. Doch aller Widerstand half nichts. Gegen die geschlossenen drei Reihen Krieger hinter ihnen, die ihn lachend vorwärts drängten, als wäre er eine unbedeutende kleine Made, war der Anführer des Roten Mondes machtlos. Da konnte er sich dagegenstemmen, wie er wollte. Ohne blutiges Gemetzel würde er seinem Schicksal nicht entfliehen können und dazu fehlte ihm schlichtweg eine Waffe. Yos einziger Fluchtweg war ein beherzter Sprung den steilen Abhang hinab, was allerdings ebenso töricht wie schmerzhaft wäre und im Dunkel der Nacht ohne Weiteres mit einem Genickbruch enden könnte.
Den das Spitzohr mit seinem Gebaren auch so provozierte, wenn es sich nicht langsam abregte. Links von ihnen waren bereits zwei oder drei Männer auf dem spärlich beleuchteten und steinigen Weg ins Straucheln geraten, hatten den Halt verloren und waren unter schadenfrohem Gelächter den Weg oder gar den Hang hinabgestürzt.
‚Eines muss man ihm lassen‘, dachte Cay kopfschüttelnd, als Yo ein weiteres Mal vergeblich gegen die menschliche Mauer hinter sich anrannte, ‚er gibt einfach nicht auf. Egal, wie aussichtslos es ist.‘
Nur einen Wimpernschlag später geriet das Spitzohr ins Rutschen und schlitterte mit dem Rücken voran und rudernden Armen an ihm vorbei. Geistesgegenwärtig packte der Sibulek zu und stoppte den Sturz seines Intimus.
„Lass gut sein, Yo“, sagte der Zweite General beruhigend, „du …“ Dann blieb er ruckartig stehen und sein Gesichtsausdruck verriet Cay, dass Cru sowohl die Zelte als auch die Absicht der Männer erfasst hatte.
„Was?“, fragte der Dritte General.
Mit deutlicher Verunsicherung im Blick sah Cru reihum und erntete vielsagendes Grinsen, dann wurden sie alle weitergeschoben.
„Was, verdammt?“, rief Yo ihm hinterher, erhielt jedoch keine Antwort mehr.
Stattdessen gesellte der Herrscher Roocs sich an die Seite des Bleichlings. „Entspannt Euch, Yo. Eure Männer wollen Euch lediglich ein ganz besonderes, sehr reizendes Geschenk machen.“ Cay hielt jede Wette, dass der Viborianer ihr Ziel kurz nach ihm erfasst hatte. Der pikante Ruf des Hauses Vîbor kam schließlich nicht von ungefähr und soweit er wusste, stand Lŷsandro seinem Zwillingsbruder in Sachen Sinnesfreuden nur wenig nach. Der freundliche, fast schon freundschaftliche Ton des Fürsten wurmte ihn allerdings.
„Ich hasse Geschenke und Überraschungen!“, blaffte Yo zurück.
Cay grinste breit. Schon blöd, wenn man der Einzige war, der nicht begriff, was vor sich ging, und das auch noch wusste.
Der Viborianer indes ließ sich von dem unwirschen Gebaren des Dritten Generals nicht beirren und sprach dem Blässling nach einem kurzen Seitenblick auf Cay in verschwörerischem Ton zu: „Und bei dieser Gelegenheit könnt Ihr Euren Widersacher Lügen strafen.“
Für einen Wimpernschlag wurde dem Ersten General heiß und kalt. Der Fürst wusste Bescheid. Wie viel ließ er nicht erkennen, aber dieser verschlagene Hund hatte sie belauscht! Ver…!
Noch ehe Cay etwas erwidern konnte, stieg die Lautstärke der Männer an und sie erreichten das provisorische Zeltlager mit dem großen Lagerfeuer zu Füßen des Burgberges. Hier, hinter dem Stadttor doch noch vor den Toren der Serçeburg gelegen, galten weder die Gesetze des Hofes noch die des Bürgertums so recht. Was zu Gelegenheiten wie dieser seit jeher von den zwielichtigen Größen des Staubviertels nur allzu gern genutzt wurde. Von der billigen Hure über die gewöhnliche Dirne bis hin zur gehobenen Liebesdienerin fand sich in diesen Zelten für jedes Recken Geldbeutel das passende Vergnügen. Und üblicherweise zu deutlich günstigeren Konditionen als innerhalb beider Mauern. Zu Beginn seiner Laufbahn hatte Cay seine Siegesnächte noch komplett hier verbracht. Viele wunderbare Sandgläser hatte er hier verliebt, doch mit dem Rang waren auch seine Privilegien gestiegen und heutigentags waren es die Damen, die um die Gunst seines Beischlafs buhlten.
Drei junge, hübsche Mädchen in ebenso verhüllender wie aufreizender Kleidung und den üblichen, ihre Identität verschleiernden Masken sowie eine ältere, vom Leben gezeichnete Dirne, die in ihrer Jugend den Mädchen an Schönheit mit Sicherheit in nichts nachgestanden hatte, reihten sich vor ihnen auf. Augenblick erstarb alles Reden, Singen und Lachen. Eine beinahe unheimliche Stille, nur durchbrochen vom Knacken des Feuers und dem Zirpen der Heimchen.
Mit lauter Stimme stellte sich die Ältere als die „Herrin der Nacht“ und die zarten Geschöpfe an ihrer Seite als ihre Sterne am dunklen Firmament der nächtlichen Phantasie vor. Cays Körpertemperatur stieg, eine angenehme Erregung ergriff ihn und er schenkte der Dame des Hauses ein warmes Lächeln. Er wusste nur zu gut, dass diese ihrem Namen alle Ehre machte. So wie ihre Mädchen dem ihren.
Die Herrin der Nacht schenkte ihm ein keckes, wenig dezentes Augenzwinkern, dann breitete sie die Arme weit aus, als wollte sie alle Anwesenden an ihren üppigen Busen drücken. „Generäle! Eure Männer möchten Euch danken: für all die siegreichen Schlachten, Euren Mut und Euer Geschick, ganz besonders aber für ihre wohlbehaltene Heimkehr. Zur Feier dieses großartigen Tages hat ein jeder von ihnen einen Silberling seines Soldes aufgebracht, um Euch ein fürstliches Geschenk zu machen, das kein Mann von Verstand ablehnen kann.“
Zustimmende Rufe, Pfiffe und Applaus gingen durch die Reihen und Cay fühlte das Herz in seiner Brust frohlocken. Hatte er noch vor einiger Zeit bedauert, die Nacht allein verbringen zu müssen, sah er nun willkommenen Sinnesfreuden entgegen. Eine Aussicht, die die Bitternis, zum zweiten Mal kurz vor dem Ziel an Yo gescheitert zu sein, erfolgreich dämpfte und versüßte. Seine Vorfreude stand ihm mit Sicherheit breit ins Gesicht geschrieben. Doch warum sie verstecken? Sollte das süße Ding vor seiner Nase ruhig wissen, dass ihr lange, erfüllte Sandgläser bevorstanden.
Neugierig blickte Cay zu den anderen beiden Heerführern und wäre um ein Haar in schallendes Lachen ausgebrochen. Die beiden Männer zu seiner Rechten gaben ein köstliches Bild ab. Der große, starke Sibulek wirkte eher peinlich berührt als angetan und wusste nicht so recht, wohin er seinen unsicheren Blick lenken sollte, und Yo schien allen Ernstes noch immer nichts zu begreifen. Der Bleichling sah aus, als wartete er auf einen Knalleffekt, der ihm endlich offenbarte, worüber er sich nun schon wieder aufregen konnte.
„Doch auch die Frauen dieses Landes sind Euch zu tiefstem, untertänigstem Dank verpflichtet“, fuhr die Herrin der Nacht fort. „Es ist mir daher eine besondere Ehre, Euch die besten und talentiertesten Mädchen meines hochgeschätzten Hauses zur Verfügung zu stellen. Ein Privileg, das sonst nur Fürsten und hohen Herren vorbehalten ist.“ Kokett zwinkerte sie dabei Cay zu. Oder galt dieser Blick doch eher dem Viborianer, der halb hinter ihm stand?
Unter johlendem Klatschen und begeisterten Pfiffen traten die drei Mädchen vor, knicksten tief mit gen Boden gesenktem Blick und erboten sich den Heerführern: die eine forsch mit eindeutigen Gesten, die andere schüchtern und charmant.
Entzückt von dem liebreizenden Geschöpf vor sich, dessen Augen regelrecht aus der Maske hervor strahlten und ihn noch an Ort und Stelle begehrlich auszuziehen schienen, konnte Cay es kaum mehr erwarten, sein „Geschenk“ in Empfang zu nehmen. Mit schmeichelnden Worten und funkelndem Blick half er dem Mädchen galant auf und schenkte ihr sein schönstes Lächeln.
Die Reaktion der beiden anderen Generäle fiel dagegen weniger souverän aus. Cru kratzte sich verlegen am Hinterkopf, rührte sich ansonsten aber nicht und hatte seinen Blick stur auf den Erdboden geheftet. Yo wiederum schwante wohl allmählich, was ihn erwartete, und mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Hilfesuchen schaute er erst seinen Partner, dann Lŷsandro, dann seine breit grinsenden Männer und schließlich ihn an.
„Wohlan, straf mich Lügen!“, lachte Cay den Bleichling offen an und vollführte mit ausgestrecktem Arm eine einladende Bewegung gen der geheimnisvollen Schönheit in schwarzer Spitze, die seinem Erzfeind zugedacht war.
„Generäle, euer Wunsch ist ihnen Befehl.“ Die Herrin gab ihre Täubchen frei. „Was immer ihr begehrt: Heute Nacht sei es euer. Diese Mädchen werden eure kühnsten Träume verwirklichen, euer dunkelstes Verlangen erah...“
„Genug der Worte! Schreiten wir zur Tat!“, fiel der Anführer der Grünen Nebel ihr ungeduldig ins Wort und nahm seine Liebesdienerin mit Schwung auf die Arme.
Unter tosendem Applaus und Anfeuerungsrufen schritt er grinsend mit seinem Mädchen, das sich kichernd an seine Brust schmiegte, auf das kleinste der drei gewiesenen Zelte zu. Platz und Bewegungsfreiheit waren unwichtig, er hatte ohnehin nicht vor, die verführerische Rothaarige allzu weit von sich wegzulassen.
Bevor er den Eingang des Zeltes durchschritt, wandte er sich noch einmal um und warf einen triumphierenden Blick zurück. Dem Sibulek war die ganze Schau zwar immer noch sichtlich peinlich, dennoch folgte auch er seinem Mädchen bereitwillig in das Zelt nebenan. Das Spitzohr dagegen blieb wie angewurzelt stehen und das Entsetzen stand ihm ins bleiche Angesicht geschrieben! Fluchend weigerte er sich, seiner Liebesdienerin zu folgen, und stieß die arme Frau heftig zurück. Ohne zu zögern machten seine Männer daraufhin kurzen Prozess mit ihm und schoben ihren Befehlshaber mit vollem Körpereinsatz Richtung Zelt, wobei ausgerechnet dessen Adjutant Yo sicherheitshalber die Arme hinter dem Rücken verschränkte. Die letzten Schritte mussten sie den Dritten General beinahe tragen und schubsten ihn dann grölend auf die Lagerstatt aus Stroh und weichem Lammfell.
„Straf mich Lügen, Blässling!“, murmelte Cay, bevor er in einen langen, innigen Kuss mit seinem Mädchen versank und mit einem Handgriff den weinrot bestickten Umhang, der ihre wohlgeformte Gestalt kaum zu verbergen vermochte, löste. „Wenn du kannst …“