Das Land der Schmetterlingskinder
Sie brauchte einen Moment, um sich wieder zurechtzufinden. Gerade noch war sie ja schliesslich auf dem Rücken eines wundervollen Phönix- Vogels schwerelos durch die Weiten des Himmel geritten und nun fühlte sich ihr Körper wieder richtig schwer an. Sie musste wieder an die Feder denken, welche ihr ihre Mutter gegeben hatte. Wo war diese bloss?
Das Mädchen durchsuchte alle Taschen, doch sie fand die Feder nirgends. Eisiger Schreck durchfuhr sie. Hatte der Wind sie wohl davon geweht? Sie schaute sich überall um, während sie sich daran machte, wieder von dem Baum herunterzuklettern. Als sie sich bereits wieder auf der Jägerleiter befand, erblickte sie, am Fuss des Baumes, auf einmal ein weissgelbe Feder. Ja! Das musste sie sein! Sie kletterte nun so hastig die Leiter herunter, dass sie auf einer der leicht feuchten Sprossen abrutschte und den Halt verlor. Dumpf schlugen ihr Rücken und ihr Hinterkopf auf dem Waldboden auf und sie verlor das Bewusstsein!
Etwas kitzelte sie an der Nase. Lara musste niesen und öffnete langsam die Augen. Doch anstatt über sich den heimatlichen Wald, mit seinen mächtigen, grünen Baumkronen zu erblicken, sah die nur weiten, blauen Himmel. Erstaunt richtete sie sich auf und schaute sich um. Wo um alles in der Welt war sie? Sie lag in einer saftiggrünen, hohen Wiese, mit tausenden von wunderschönen Blumen, in allen Farben und Formen. Darüber flogen zahllose, elfenartige Wesen, mit bunten Schmetterlingsflügeln. Sie trugen bunte Röcke, und Blumenkronen auf den Häuptern. Einige dieser Wesen umschwirrten sie nun und beobachteten sie neugierig. „W… wer seid ihr?“ fragte Lara. „Wo bin ich? Bin ich etwa tot?“
„Nein, nein, du bist nicht tot!“ sprachen die Wesen „Du bist im Reich der Schmetterlingskinder!“
„Im Reich der Schmetterlingskinder?“
„Ja, wir sind die Schmetterlingskinder. Wir kümmern uns um die bunten Blumen und freuen uns an ihrer Pracht. Woher kommst du denn?“
„Ich… komme… aus dem Menschenreich.“
„Menschenreich!“ riefen einige der Schmetterlingskinder erschrocken aus. „Dort ist es aber sehr gefährlich. Menschen sind so schwere, rücksichtslose Wesen. Sie trampeln immer auf allem herum, ohne darauf zu achten, was dabei kaputt geht. Darüber klagen unsere Pflanzenfreunde in eurer Welt schon lange.“
„Ja… das stimmt wohl,“ meinte Lara verlegen und wagte gar nicht aufzustehen, weil sie befürchtete, etwas dabei zu zerstören. Ein kleines Schmetterlingsmädchen, das ein Schwalbenschwanz- Kleid und Schwalbenschwanz Flügel trug, schwebte zu ihr heran und streckte seinen kleinen Zeigefinger aus. „Du musst ihn berühren,“ meinte es.
Lara runzelte leicht die Stirn, doch dann vertraute sie dem Schwalbenschwanz- Mädchen und berührte dessen Finge mit ihrem. In diesem Moment begann sie zu schrumpfen! Ihr Kleid wurde immer grösser und grösser und am Schluss verschwand Lara ganz darunter. Nachdem sie unter der gewaltigen Menge Stoff wieder hervorgekrochen war, stellte sie fest, dass sie jetzt genauso gross wie die Schmetterlingskinder war. „Bringt ihr ein passendes Kleid!“ befahl das Schwalbenschwanz Mädchen. Sogleich brachten einige der anderen Schmetterlingskinder ein weites, weisses Gewand in der Form von Schmetterlingsflügeln. Die beiden vorderen Flügel selbigen, waren mit einigen schwarzen Flecken, die hinteren Flügel mit zwei grossen, roten Flecken, die wie Augen aussahen und einigen kleineren, roten Flecken, geschmückt.
„Oh!“ riefen einige der Schmetterlingskinder aus. „Sie darf der Apollo- Falter sein! Wir wollen auch!“ Doch das Schwalbenschwanz Mädchen hob gebieterisch den Arm: „Nein! Das Apollo Gewand ist nur für besondere Gäste, weil der Apollo Falter so selten ist.“
„Was meinst du mit besonderem Gast?“ fragte Lara. „Ich bin doch nichts Besonderes!“ „Doch das bist du. Du bist die Tochter unserer Blumenmutter, das habe ich erkannt, als sich unsere Finger berührten!“
„Blumenmutter?“ fragte das Mädchen ungläubig. „Ja, du bist doch Minas Tochter, oder?“
„Das stimmt, aber… wie kann es sein, dass sie eure Blumenmutter ist?“
„Am besten fragst du deine Mama selbst. Komm! Wir bringen dich zu ihr.“ Die Schmetterlingskinder ergriffen Lara nun an den Händen und zusammen mit ihr, erhoben sie sich dann in die Lüfte.
„Du musst deine Arme nur auf und ab bewegen, dann kannst du auch fliegen!“ rief das Schwalbenschwanz- Mädchen.
Tatsächlich funktionierte es. „Ich kann fliegen!“ rief Lara begeistert. „Ich kann fliegen!“ Spontan liess sie die Hände der beiden Schmetterlingskinder los und erhob sich hoch in die Lüfte. Unter ihr glitt nun die wundervolle Blumenwiese dahin und überall tummelten sich die farbenprächtigen, lieblichen Schmetterlingskinder. Die Luft war durchwebt mit wundervollen Klängen, Düften und einem magischen, sanften Licht. So etwas Schönes hatte Lara noch nie gesehen. Von hoch oben erblickte sie auf einmal eine riesige Kugel, die aus einer glasartigen Substanz zu bestehen schien. Darin leuchteten zahllose Lichterfunken, die wild umherwirbelten, ohne jedoch jemals miteinander zusammenzustossen. Was um alles in der Welt ist das?“
Lara setzte, mehr oder weniger geschickt, zu einem Sinkflug an und flog auf das seltsame Gebilde zu. Als sie näherkam, erblickte sie dort eine wunderschöne Frau. Sie war etwas grösser als die Schmetterlingskinder und trug ein Gewand und Flügel in schillerndem Blau. Sie sah aus wie ein… wie hiess diese Schmetterlingsart nochmals… Ja genau! Morpho- oder Himmelsfalter. Ihre Mutter hatte immer ganz besonders von dieser Schmetterlingsart geschwärmt, welche es jedoch in ihren heimatlichen Breitengraden leider nicht gab. Als Lara noch näher flog, konnte sie es kaum fassen. Die Frau in dem blauen Prachtfalter- Kleid, war tatsächlich ihre Mutter Mina!!