„Ach mein Schatz,“ sprach Mina bekümmert. „Menschen können sich leider nicht auf diese Weise verpuppen.“
„Aber warum nicht? Der Funken, der vorhin in mich eingedrungen ist, hat mir ja auch gesagt, dass er mir helfen will, in mir die Gabe des Schmetterlings zu verwirklichen!“
„Aber das war vermutlich eher symbolisch gemeint, Lara. Die Gabe des Schmetterlings ist z.B. Transformation. Alle Seelen machen im Laufe ihres Lebens immer wieder Transformationen durch. Es ist ähnlich, wie bei den Phönixvögeln.“
„Aber vielleicht…, wenn ich mich verpuppen könnte, dann würde mir das alles vielleicht leichter fallen.“
Die beiden Schmetterlingskinder, welche gerade das kleine Räuplein in dessen Gespinst eingewickelt hatten, meinten: „Eigentlich ist der Gedanke gar nicht so abwegig, liebe Blumenmutter. Vielleicht braucht deine Tochter dieses Ritual, um alles besser loslassen zu können. Es ist noch etwas Gespinst übrig. Wir können Lara ja auch darin einwickeln und mal schauen, was geschieht.“
„Also… ich weiss nicht, so recht,“ gab Mina zu bedenken und Lara bemerkte, dass ihr all das nicht sonderlich behagte.
„Vielleicht fällt es auch dir selbst doch etwas schwerer loszulassen, als du es dir bewusst bist,“ meinte das orange Schmetterlingskind, an Laras Mutter gewandt.
Die Frau wollte widersprechen, doch dann schwieg sie. Es war, als würde sie angestrengt über diese Worte nachdenken. Dann meinte sie schliesslich:
„Nun ja, vielleicht… hast du ja recht. Ich geniesse es wirklich sehr, dass Lara noch so oft bei mir ist. Mein Tod und der meines Mannes waren so plötzlich, so… unerwartet. Und ich will doch, dass meine Tochter, nicht mehr so sehr leidet.
„Lara ist stark, sie wird das schaffen,“ gab das Schmetterlingskind überzeugt zurück.
Mina nickte und auf einmal liefen ihr Tränen über die Wangen.
„Mama, bitte weine nicht!“ sprach Lara und warf sich in die Arme ihrer Mutter.
„Ach Kind…“ erwiderte diese und streichelte ihrer Tochter sanft übers Haar.
„Vermutlich hat das Schmetterlingskind recht. Es… wird... auch für mich Zeit… dich langsam loszulassen. Ich muss es tun, damit du wieder freier wirst.“
„Aber… ich will das gar nicht!“ Nun schluchzte auch Lara herzzerreissend. „Ich finde es so schön, mit dir die jenseitige Welt zu erkunden.“
„Ja, ich doch auch. Aber… es kann… nicht so weitergehen. Wir beide gehören nun anderen Welten an. Das… lässt sich nicht ändern.“ „Aber… das stimmt doch nicht, diese beiden Welten sind doch auch verbunden, sie liegen einfach auf unterschiedlichen Ebenen der Spirale. Das hast du mir doch damals am Strand der glitzernden Muscheln selbst erklärt.“
„Das stimmt und dennoch, tut es dir nicht gut, wenn sich diese beiden Welten immer so sehr vermischen. Es hindert dich daran, ganz in deiner Welt zu sein.“
„Diese Welt ist aber so leer ohne euch.“
„Ich verstehe dich Lara, ich verstehe dich wirklich. Doch mir ist heute etwas bewusst geworden. Vielleicht ist es deshalb ganz gut, wenn du dich verpuppst.“
„Dann soll ich es also tun?“
„Ja, tu es. Es kann sicher nicht schaden.“
„Also gut. Vielleicht klappt es ja auch nicht, aber ich glaube der Funken, der vorhin in mich eindrang, wollte mir genau das vermitteln.“
„Also gut,“ meinten die beiden Schmetterlingskinder. „Dann mach es dir hier im Blumenkelch bequem und wir werden dann anfangen, dich in das Gespinst einzuwickeln.“
Lara nickte, legte sich hin und schloss erwartungsvoll, doch irgendwie auch etwas aufgeregt die Augen.
„Die rituellen Worte musst du sprechen,“ meinten die Schmetterlingskinder zu Mina. „Denn du bist Laras nächste Bezugsperson.“
„Aber… Ich… weiss… gar nicht, was ich sagen soll,“ sprach diese und wirkte auf einmal sehr unsicher.
„Die Worte werden dir einfallen, wenn es so weit ist.“
„Ich hoffe es.“
„Du wirst das bestimmt grossartig machen, Mama,“ sprach Lara.
Und dann begannen die beiden Schmetterlingskinder und auch ihre Mutter, sie liebevoll mit dem Gespinst einzuwickeln. Lara fiel nun immer mehr in einen Art Dämmerschlaf und wie durch einen wattigen Nebel hindurch, hörte sie nun die Worte von Mina: „Nun mache dich bereit für die Transformation deines Lebens! Du wirst lernen das Alte immer mehr loszulassen und wiedererwachen zu einer ganz neuen, wundervollen Dasein! Vertraue auf die Kraft, die in allem ist, vertraue darauf, dass sie dich leiten wird, wenn du dich auch mal verloren fühlst. Erkenne, dass wir stets an deiner Seite sind, jedoch unsichtbar und still.
„Du bist mein Kind und doch bist du ein eigenständiges Wesen, das nun seinen ganz eigenen Weg beschreiten wird. Trotzdem werden wir stehts in Herz und Seele verbunden sein! Du bist stark und nach dieser Transformation wirst du noch stärker sein. Nun schlaf, schlaf bis der Tag des Erwachens kommen wird! Fürchte dich nicht und leben dein Leben zuversichtlich und voller Freude, auch wenn wir nicht mehr stets an deiner Seite sein können.“
Die letzten Worte vernahm das Mädchen nicht mehr, doch sie prägten sich dennoch in ihr Unterbewusstsein ein. Das Gespinst, mit dem sie die Schmetterlingskinder und ihre Mutter einwickelten und das anfangs noch federleicht und schleierartig gewesen war, verfestigte sich nun immer mehr. Einen Augenblick lang, empfand Lara Furcht vor dieser plötzlichen Enge in sich. Doch dann spürte sie ganz deutlich, wie der Funken, der vorhin in ihr Herz eingedrungen war, hell und warm zu strahlen begann. Eine wohlige Wärme und Hingabe erfüllte sie, durchdrang ihr ganzes Sein, ihren ganzen Körper. Ein leiser zufriedener Seufzer entrang sich ihrer Brust und… dann fiel sie in einen tiefen, beinahe totenähnlichen Schlaf…Es war getan!