Verpuppung
„Das, was da gerade passiert ist, ist eine ganz besondere Gnade,“ sprach sie.
„Ja,“ schwärmte das Mädchen. „Seit dieser Funken in mein Herz eingedrungen ist, geht es mir richtig gut.“
„Was hat der Funken denn zu dir gesagt?“
„Es sagte: Ich bin ein Teil von dir, ich werde dir helfen in dir die Gabe des Schmetterlings zu verwirklichen! Was er wohl damit gemeint hat?“
„Das kannst nur du selbst dir beantworten.“
„Ich weiss nicht. Seltsam fand ich vor allem, dass er meinte, er sei ein Teil von mir. Ist denn so etwas überhaupt möglich?“
„Es kann möglich sein. Manchmal verlieren wir einen kleinen Teil unserer Seele, wenn wir etwas Schlimmes durchmachen. Dass dieser Teil jetzt wieder zur dir zurückgekehrt ist, hat bestimmt eine wichtige Bedeutung.“
„Meinst du der Funken kann mir womöglich dabei helfen, dich und… Papa einst besser loszulassen.“
„Ich… weiss es nicht mein Schatz,“ erwiderte Mina mit erstickter Stimme. Nun hatte auch sie mit den Tränen zu kämpften. Da ihr gerade die Worte fehlten, nahm sie ihre Tochter einfach in den Arm und wiegte sie sanft hin und her.
Schliesslich meinte sie, um sich und Lara wieder etwas abzulenken: „Wollen wir jetzt mal die Kinderstube der Schmetterlingskinder besuchen?“
„Au ja!“ rief das Mädchen und sein Kummer war sogleich wieder verflogen.
„Sie ist gleich da hinten!“
Die beiden kamen zu einem etwas abgelegeneren Teil der Blumenwiese, welche mit einigen Büschen und Sträuchern umgeben war. Dort herrschte reger Betrieb. Viele Schmetterlingskinder tummelten sich hier.
„Da drüben sind die Eier,“ meinte Mina und sie gingen zu einigen, wunderschönen, grossen Blumen, welche Lara jedoch nicht kannte. Diese leuchteten in allen Regenbogenfarben. Unter ihren Blättern und an ihren Stielen, befanden sich lauter gelblichweisse, rundliche Gebilde.
Mina erklärte: „Wenn der Seelenfunken, den die Schmetterlingskinder anfangs noch am Körper tragen, bereit ist, dann werden diese Eier vorbereitet. Schau das passiert gerade dort drüben!“
Sie gingen zu einem Schmetterlingskind, mit besonders farbenprächtigen Flügeln, welches gerade seinen Funken aus dem Medaillon holte, das es um den Hals trug. Der Funken leuchtete zwar noch immer hell, bewegte sich aber nicht mehr.
„Er liegt in einem Art Dämmerschlaf,“ erkläre Mina weiter. „Wenn die Funken in diesen Schlaf fallen, sind sie bereit, in eine neue Lebensform überzugehen. Siehst du das Schmetterlingskind umhüllt es nun mit dieser gallertartigen Masse, die sich dann zu einem Ei verfestigt. Dann bleibt der Funken dort drin, bis es Zeit für ihn wird, auszuschlüpfen.
Da drüben, passiert das gerade! Komm schnell! Die kleinen Raupen sind unglaublich süss! Wie aus einem Bilderbuch für Kinder.“
Sie gingen rüber zu einem weiteren Schmetterlingskind mit vorwiegend grüngelben Flügeln, welches einem kleinen Räuplein gerade dabei half, sich aus der Schale seines Eis zu befreien. Das Räuplein hatte genau dieselbe Farben, wie seine Betreuerin, die vermutlich seine Mutter war. Als es ausschlüpfte, rief Lara entzückt. „Es ist wirklich unglaublich süss!“
Die Raupe hatte einen grossen Kopf und sein Gesichtchen mit den rundlichen Wangenknochen und der Stupsnase, entsprach perfekt dem Kindchenschema. Seine klaren, braunen Augen waren gross und wirkten sehr menschlich. Sie wurden von langen Wimpern überschattet.
Das Räuplein gähne und blinzelte seine Mutter, die es nun liebevoll in den Arm nahm, müde an. Dabei verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Es besass lange Fühler und sogar Augenbrauen und kleine Arme.
„Die kleine Raupe, wird nun stets von ihrer auserwählten Person und auch noch von einigen anderen umsorgt und reichlich mit Blättern und Nektar gefüttert. Schliesslich verpuppt es sich, wie es auch Schmetterlinge machen. Dort hat es einige solche Puppen, schau!“
Gleich darauf erblickte Lara die Puppen, welche wirklich sehr wie Schmetterlingspuppen aussahen. Sie bestanden jedoch aus einem golden glänzenden, etwas transparenten Material. Darunter sah man bereits einige Farben hervorblitzen.
„Man sieht schon, was für Farben das daraus schlüpfende Schmetterlingskind einst haben wird,“ meinte Mina.
„Sie sehen wunderschön aus!“ schwärmte das Mädchen und nickte einigen Schmetterlingskindern, welche die Puppen überwachten, freundlich zu.
„Willst du mal sehen, wie sich eins unserer Raupenkinder verpuppt?“ fragte ein Schmetterlingskind nun, an Lara gewandt.
„Klar!“
„Dann kommt mit!“ Sie schwebte hinauf zu einer Raupe, die auf einer grossen, orangen Blume sass. Seine Farben verschmolzen richtiggehend mit deren Kelch.
Das Schmetterlingskind, das sie hergebracht hatte und eine weiteres, welches den Farben nach zu schliessen, die Mutter des Räupleins war, forderten die kleine Raupe nun auf, es sich in dem Blumenkelch gemütlich zu machen und die Augen zu schliessen. Dann legten sie diesem ihre Hände auf und sprachen: „Nun mache dich bereit für die Transformation deines Lebens. Du wirst nun dein Dasein als Raupe und auch deine vorherigen Existenzen, für immer loslassen und wiedererwachen zu einer ganz neuen, wundervollen Schöpfung! Vertraue auf die Kraft, die in allem Leben ist, vertraue darauf, dass sie dich leiten wird, auf diesem Pfad den du zu beschreiten entschieden hast! Das Alte vergeht und alles wird neu!“
Und während sie diese Worte sprachen, begann die kleine Raupe von ihrem Körper ein Art Gespinst abzusondern. Die beiden Schmetterlingskinder wickelten dieses nun in stiller, ritueller Ehrfurcht um die kleine Raupe, bis diese ganz darin eingebettet war. Dann legten sie ihr erneut die Hände auf und die Mutter sprach: „Du bist mein Kind und doch bist du ein eigenständiges Wesen, das einst seinen ganz persönlichen Weg beschreiten wird. Einst wirst du ohne mich auskommen. Du wirst stark und selbständig werden. Dennoch werde ich immer für dich da sein, denn du hast mich erwählt, um dir eine neue Evolution zu ermöglichen. Darum werden wir stehts in Herz und Seele verbunden sein! Nun schlaf, schlaf bis der Tag des Erwachens einst kommen wird!“
Und während das Schmetterlingskind diese Worte sprach, verdichtete sich das Gespinst, das die kleine Raupe umgab und wurde zu einer festen, metallisch glänzenden Puppe.
Lara schaute diesem Schauspiel mit tiefster Faszination zu. Die Verpuppung der kleinen Raupe, berührte sie irgendwie besonders, auch die Worte, welche deren Betreuerinnen gesprochen hatten. Und ehe sie sich versah, sprach sie: „Ach Mama, manchmal wünschte ich mir, ich könnte mich auch verpuppen, so wie diese kleine Raupe, dann fiele mir das Loslassen vielleicht leichter!“ Und damit war es ihr tatsächlich vollkommen ernst.