Seelenfunken
Gleich darauf fand sich Lara in der wunderschönen Blumenwelt der Schmetterlingskinder wieder. Ihre Mama trug nun erstaunlicherweise wieder das blauschillernde Prachtfalter- Kleid und auf ihren Armen lag das Apollo- Schmetterlingsgewand, welches wieder wie neu aussah.
„Aber… wie ist das möglich?“ fragte das Mädchen, während sie das Kleid entgegennahm und sogleich wieder überstreifte. „Du warst doch gerade eben noch in einem ganz normalen Kleid an meinem Bett Mama und nun… siehst du wieder aus wie die Blumenmutter.“
„Das ist eine Besonderheit dieser Welt hier,“ sprach Mina. „Wir können hier multidimensional existieren.“
„Was… bedeutet multidimensional?“
„Ach, das ist etwas kompliziert zu erklären, aber… wir haben hier keine lineare Zeit, vieles läuft parallel zueinander.“
Lara verstand noch immer kein Wort, meinte jedoch: „Du kannst also hier sein, aber gleichzeitig auch an einem andern Ort?“
„So ungefähr, ja…“
Mina wurde von den aufgeregten Rufen einiger Schmetterlingskinder unterbrochen, die sich nun, wild mit ihren Flügeln flatternd, um sie herum versammelten.
„Die Tochter unserer Blumenmutter ist wieder da!“ freuten sie sich.
„Das stimmt,“ meinte Mina. „Ich habe ihr versprochen, dass ich ihr erklären werde, was ich hier für eine Aufgabe habe.“
„Oh ja, oh ja!“ Eine wundervolle Aufgabe, eine sehr wichtige Aufgabe!“ riefen die Schmetterlingskinder.
Einige lösten sich nun aus der Gruppe und schwebten nach vorne. „Hast du schon… einen Funken für uns, liebe Blumenmutter?“ fragten sie mit grossen, erwartungsvollen Augen.
„Ich werde gleich mal nachschauen,“ erwiderte Laras Mutter und trat zu dem grossen, kugelförmigen Behältnis, in welchem die unzähligen Lichterfunken umherschwirrten. Ihre Tochter, folgte ihr neugierig. „Was… machst du da, Mama?“ fragte sie.
„Psst. Du musst jetzt ganz leise sein! Ich muss schauen, welcher der Funken bereit ist.“
„Für was denn bereit?“ wollte Lara fragen, unterliess es dann jedoch.
Voller Spannung beobachtete sie Mina, wie diese nun ihre Hände auf die glasartige Oberfläche des Behälters legte und dabei ihre Augen schloss.
Einige der Funken, veränderten jetzt auf einmal ihre Farbe und schwebten ganz nahe an das Glas heran. Es war, als würden sie von Minas Fingerkuppen, wie magnetisch angezogen.
Einige der Schmetterlingskinder beobachten das ebenfalls voller Spannung und ab und zu erklang ein ehrfürchtiges Seufzen.
„Es gibt tatsächlich einige Funken die bereit sind,“ sprach die Blumenmutter nun. „Ich werde sie gleich herausholen.“
Sie öffnete einen kleine Klappe und breitete einladend ihre beiden Hände davor aus.
Sofort flogen die besagten Funken auf die Öffnung zu und umschwirrten nun, wie kleine Irrlichter, die Hände von Mina. Diese schloss die kleine Klappe wieder.
„Öffnet nun eure Medaillons, die ihr um den Hals tragt!“ forderte sie die versammelten Schmetterlingskinder auf. Tatsächlich trug ein jedes von ihnen, ein halbdurchsichtiges Medaillon um den Hals, das sich öffnen liess.
Mina formte ihre Hände nun zu einem Art Kelch und die Funken versammelten sich darin. Sie hob sie an ihren Mund und flüsterte ihnen etwas zu. Sogleich begannen die kleinen Lichter in ganz unterschiedlichen Abständen aufzuleuchten und wieder zu verblassen, es wirkte fast wie ein Morsecode. Dann, einem unsichtbaren Impuls folgend, stoben sie wieder auseinander und jedes von ihnen, suchte sich eins der Schmetterlingskinder aus. Diese hoben die offenen Medaillons in die Höhe und die Lichtlein nisteten sich sogleich darin ein. Darauf schlossen die Schmetterlingskinder die Medaillons wieder.
„Aber… warum sperrt ihr die Funken ein?“ fragte Lara etwas erschrocken.
„Wir sperren sie nicht ein,“ erklärte ihr Mina „Die Zeit, welche die Funken ganz nahe am Körper ihrer auserwählten Bezugsperson verbringen, ist eine sehr wichtige Lern- und Prägungsphase. Ist diese Phase dann vorbei, kommt das Eierstadium, dann das Raupenstadium, schliesslich das Puppenstadium und dann die Geburt.“
„Das ist ja wie bei den normalen Schmetterlingen.“
„Ja, es ist ganz ähnlich. Tatsächlich stammen diese Seelenfunken hier von Schmetterlingen, welche auf der Erde oder sonst in einer grobstofflichen Welt gelebt haben und nach dem Tod ihres grobstofflichen Leibes, hierher zurückgebracht wurden. Einige von ihnen tragen bereits die Bereitschaft für eine weitere Evolution in sich und diese neue Evolution sind, in diesem Falle, die Schmetterlingskinder.“
Wow, das ist so cool! Das beweist, dass auch die Seelen- oder Selenfunken von Insekten überleben und sich weiterentwickeln können.“
„Genau! Es gibt ganz besondere Naturengel oder Naturgeister, die diese Funken, nach dem Sterben der Insekten, wieder einsammeln. Viele Insekten sind auch Teil einer Gruppenseele. So eine Gruppenseele hat ein grosses Potenzial für eine Weiterentwicklung. Auch die Seelenfunken von Blumen und anderen Pflanzen, befinden sich hier in diesem Behältnis. Einige bleiben in einer ähnlichen Form bestehen, wie bisher, wenn auch dieser Ebene hier angepasst. Doch einige von ihnen haben ebenfalls besonders gute Anlagen für eine Evolution.“
„Ich finde das wundervoll!“ sprach Lara bewegt „und du bist also für diese Funken zuständig? Darum nennen dich die Schmetterlingskinder auch Blumenmutter.“
„Ja, das stimmt. Aber diese Aufgabe hier ist nur eine von vielen, die ich hier in der jenseitigen Welt habe.“
„Erzählst du mir auch noch etwas über deine anderen Aufgaben Mama?“
„Ach Schatz! Wenn ich dir all meine Aufgaben zeigen würde, würde das viel zu weit führen.“ „Schade,“ sprach das Kind etwas traurig. Doch sogleich fing es sich wieder und meinte: „Das ist wirklich eine schöne Aufgabe. So etwas würde mir auch gefallen. Ich liebe Schmetterlinge, überhaupt Insekten und Blumen sowieso!“
„Das tue ich auch. Darum bin ich ja hier. Dann lassen wir jetzt erst einmal die anderen Funken, die im Behälter sind frei und danach zeige ich dir noch die Kinderstube der Schmetterlingskinder.“ „Kinderstube?“ rief Lara. „Das ist sicher sehr spannend!“
„Allerding. Aber zuerst die Funken! Dort oben hat es eine grosse Klappe. Willst du sie öffnen?“
„Oh ja!“ rief Lara begeistert. Sie bewegte ihre Arme auf und ab und erhob sich kurz darauf in die Lüfte. Schon bald hatte sie die grosse Klappe gefunden und schob deren Riegel zurück.
Die Klappe glitt lautlos zur Seite und in diesem Augenblick gerieten die zahllosen Seelenfunken in Bewegung und drängten, einem Glitzerregen gleich, durch die Öffnung hinaus. Lara sass oben auf der transparenten Kuppel und beobachtete das Schauspiel voller Faszination.
Doch dann passierte etwas Unerwartetes! Noch ehe die Funken über das wunderschöne Reich der Schmetterlingskinder ausschwärmten, versammelten sie sich, in einer leuchtenden Lichterwolke um Lara herum. Das Mädchen konnte kaum fassen, was es da erlebte. Es war, als würden die Seelenfunken etwas in ihr erkennen.
Das Kind hob seine Arme und die Funken setzten sich nun auch darauf. Lara lachte voller Freude und Glückseligkeit.
„Mama!“ rief sie „sie scheinen mich zu mögen! Hihi, das kitzelt so lustig!“
„Unglaublich!“ rief Mina. „Es sieht fast so aus, als wäre eine weitere Blumenmutter erkoren worden.“ „Meinst du?“
„Ja, das war bei mir damals auch so.“
„Dann bin ich tatsächlich auch eine Blumenmutter, so wie du?“
„Sieht beinahe so aus!“
„Mama! Das ist so schön! Ich kann es kaum fassen!“ Lara spürte Tränen der Rührung in sich aufsteigen.
„Lara ist auch eine Blumenmutter!“ riefen einige der Schmetterlingskinder, welche sich nun wieder versammelt hatten. „Sie wird unsere neue Blumenmutter sein, wenn sie einst endgültig in diese Welt zurückkehrt!“
Laras strahlte übers ganze Gesicht und die zahllosen Funken spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen Augen.
Schliesslich dann, stoben die Funken jedoch wieder auseinander und verteilten sich über die blumenreiche Au. Nur ein Funke, blieb noch zurück und umschwirrte Lara weiter. Diese beobachtete ihn erstaunt. „Mama, der hier will nicht gehen. Was… könnte das bedeuten?“ fragte sie.
„Vermutlich hat er dir etwas zu sagen. Forme deine Hände zu einem Kelch, wie ich es vorhin gemacht habe und lausche gut auf seine Botschaft!“
Das Mädchen tat wie ihm geheissen und bebte dabei vor Aufregung.
Wie vorhin bei ihrer Mutter, schmiegte sich der Funke in ihre Hände und Lara hob ihn ganz nahe an ihr Ohr. Und tatsächlich hörte sie das kleine Licht leise flüstern. „Ich bin ein Teil von dir, ich werde dir helfen in dir die Gabe des Schmetterlings zu verwirklichen!“
Mit diesen Worten drang der Funken ihn Laras Herz ein und war verschwunden! Das Mädchen erschrak etwas und legte ihre Hand auf die Stelle ihrer Brust, wo der Funken gerade eingedrungen war. Eine wohlige Wärme breitete sich nun von dort aus und auf einmal fühlte sich das Mädchen leicht wie eine Feder. Anmutiger denn je, erhob Lara sich wieder in die Lüfte und schwebte wieder zu ihrer Mutter herunter, welche ihr tief bewegt entgegenblickte...