„Sieht ganz so aus! Schau, die anderen wollen dich ebenfalls kennenlernen!“ Tatsächlich, alle Einhörner, die hier versammelt waren, scharten sich nun um Lara. Das Mädchen konnte sein Glück kaum fassen und streichelte die edlen Tiere abwechselnd.
Ein jedes von ihnen, schenkten ihr ein anderes erbauendes, positives Gefühl. Es war unbeschreiblich! „Willst du ihnen mal etwas zum Naschen geben?“ wollte Mina wissen und trat neben ihre Tochter. Sogleich wurde auch sie von den wundersamen Wesen begrüsst.
Laras Mutter, welche nun ein fliessendes Gewand aus pastellenem Regenbogenstoff trug, kramte in ihrer Tasche und förderte einige glitzernde Würfel zu Tage. „Das ist Glitzer- Zucker. Die Einhörner lieben ihn!“
Lara nickte aufgeregt und nahm die Würfel entgegen. Sogleicht drängten sich die Einhörner noch enger um sie und begannen zu betteln.
Das Mädchen gab jedem von ihnen die gleich Menge an Glitzer- Zucker.
„Das ist so wunderschön!“ jubelte es. „Kann man eigentlich uch auf den Einhörnern reiten?“
„Auf diesen hier normalerweise schon. Sie sind besonders zahm. Doch das heisst nicht, dass sie manchmal nicht wählerisch sind. Jemanden den sie nicht mögen, lassen sie erst gar nicht aufsteigen,“ erklärte Robert. „Doch bei dir scheint das kein Problem zu sein. Auf welchem der Tiere, würdest du denn gerne reiten?“
„Ich glaube am ehesten auf Lyra. Sie und ich haben eine besondere Verbindung, glaube ich.“
„Ja, ich denke Lyra ist eine gute Wahl. Sie ist ganz besonders freundlich und sanftmütig. Du solltest sie aber zuerst fragen, ob du auf ihr reiten darfst. Wenn sie einverstanden ist, wird sie sich vor dir verneigen und dir das Aufsteigen erleichtern.“
„Also gut, dann frage ich sie mal.“ Lara neigte sich zu Lyra vor und fragte: „Darf ich mal auf deinem Rücken reiten?“
Das Einhorn schien sie zu verstehen, denn seine Ohren waren aufmerksam gespitzt und seine Augen blickten dem Mädchen direkt in seine.
„Sie scheint deine Seele zu lesen,“ flüsterte Mina ihrer Tochter zu und das Herz des Mädchens klopfte erneut bis zum Hals. Dann trat das rosaweisse Fabelwesen einen Schritt zurück und beugte ihr vorderes Bein, während es sein Haupt neigte.
„Sie ist einverstanden!“ freute sich Mina.
„Warte ich helfe dir aufsteigen!“ anerbot sich Robert und hob Lara auf Lyras Rücken. Danach ging er selbst zu einem indigofarbenen Einhorn und schwang sich ebenfalls auf dessen Rücken. Mina ihrerseits wählte ein Türkisfarbenes. „Das Blaue heisst Lux, das Türkisfarbene Jade,“ erklärte sie dabei ihrer Tochter. „Wollen wir einen Ausritt zusammen machen?“
„Klar!“ rief Lara begeistert und… los ging der wilde Ritt!
Robert führte den Zug an, Mina machte das Schlusslicht, während sie Lara in die Mitte nahmen. Beinahe aus dem Stand heraus, wechselten die Einhörner in den Galopp.
Lara schrie kurz auf, denn es gab weder einen Sattel noch ein Zaumzeug, an dem sie sich festhalten konnte.
„Press deine Beine eng gegen den Bauch von Lyra!“ rief ihr Robert zu, doch seine Stimme wurde vom Wind so stark verzerrt, dass Lara ihn kaum verstand. Rasend schnell kam der Abgrund näher und instinktiv, umklammerte das Mädchen den Bauch des Einhorns eng mit seinen Beinen. Zusätzlich hielt es sich noch an dessen Mähne fest. Und dann… stürzte sich ihr Vater mit Lux, hinunter in den Abgrund und Lyra folgte ihm natürlich!
Lara kam es so vor, als würden ihre Eingeweide nach oben gepresst. Doch dann begradigte ihr Vater die Flugbahn zum Glück wieder und sie galoppierten nun in einem angenehmen, regelmässigen Galopp, durch die wundervollen Weiten des azurblauen Himmels!
Nach dem ersten Schreck entspannte sich das Mädchen wieder und wagte sogar etwas die Mähne von Lyra loszulassen.
Sie bewegten sich auf einen der zahllosen Regenbogen zu und ritten eine Weile dessen Biegung entlang. An ihnen glitten die hohen, säulenartigen Berge, mit den wunderschönen Wasserfällen, Pflanzen und Blumen vorbei. Überall spielten hier die Einhörner und wieherten ihnen teilweise freundlich zu. Die Reittiere von Lara und ihren Eltern, antworteten ihnen ihrerseits mit fröhlichem Wiehern.
Das Mädchen blickte nach unten. Das glitzernde Farbenspiel des Regenbogens, zog unter ihr, wie ein funkelnder Teppich, dahin und sie konnte nicht anders als laut zu jauchzen.
Ihre Eltern taten es ihr nach. Schliesslich flogen sie ganz nahe über den Almen, mit den hunderten von Flüssen, dahin. Manchmal flog Lyra so dicht über deren Wasseroberfläche, dass Lara diese beinahe berühren konnte. Es war einfach überwältigend! Mindestens so eindrücklich, wie ihr damalige Flug mit den Phönix- Vögeln.
Lyra war wirklich ein sehr sanftes, liebenswertes Tier und Lara fühlte sich sehr sicher auf ihrem Rücken.
Schliesslich landeten sie und ihre Eltern wieder auf dem grossen Vorplatz des Regenbogenschlosses. Sie stiegen ab und Mina meinte: „Es wird jetzt Zeit, dass die Einhörner sich etwas ausruhen. Auch du musst dich ein wenig ausruhen, mein Schatz.“
„Aber, ich will mich noch nicht ausruhen! Denn wenn ich einschlafe, erwache ich wieder in der irdischen Welt. Ich möchte aber noch etwas hierbleiben. Zeigt ihr mir noch das Schloss?“
„Also gut,“ erwiderte ihr Vater. Und so geschah es.
Das Schloss war wunderschön! Die Wände waren transparent, wenn man von innen nach draussen schaute und mit filigranen Möbeln und Einrichtungsgegenständen bestückt. Das Bett, in dem sie und ihre Eltern schlafen würden, war ein weisses Himmelbett aus glänzendem Stoff und einem Bettgestell, aus einem glasähnlichen Material.
„Wird es hier eigentlich auch mal dunkel?“ fragte Lara neugierig.
„Ja, tatsächlich gibt es so etwas wie eine Nacht hier. Aber diese Nacht ist niemals so dunkel, wie auf der Erde,“ erwiderte Robert, während die drei bei einem leckeren Mahl aus diversen, kunterbunten Speisen zu sich nahmen. Alles schmeckte vorzüglich, nicht zu vergleichen, mit dem Essen in der irdischen Welt. Die Speisen hier nährten auch nicht den Körper, sondern vor allem die Seele. Während sie diese zu sich nahm, strömten Lara wunderbare Bilder und Gefühle zu. Auch ihre Geschmacksrezeptoren waren viel sensibler und ein wahres Feuerwerk an Aromen, wurde ihr dadurch zuteil. Schlicht, es war hier einfach alles viel leckerer als in ihrer Heimatwelt.
Schliesslich wurde der Himmel draussen, langsam etwas dunkler. Die Sonne stand nun tief am Horizont und tauchte alles in einen dunkelpurpurnen Schein. Zahllose, glitzernde Sterne, die ganz nahe zu sein schienen, begannen nun am Firmament zu funkeln.
„Ich glaube…, es wird nun langsam Zeit für dich, mein Schatz,“ sprach Mina und in ihrer Stimme schwang auf einmal tiefe Traurigkeit mit. „Für uns alle ist der Moment gekommen, endgültig loszulassen.“
„Aber… ich will mich noch von den Einhörnern verabschieden!“ widersprach Lara, denn sie wollte diesen Abschied so lange wie möglich herauszögern.
„Also gut,“ meinte ihr Vater. „Aber nachher müssen wir uns wirklich verabschieden.“
Seine Augen wurden auf einmal feucht und er umarmte seine Tochter liebevoll. „Es fällt auch uns nicht leicht, dich zu verlassen, Kleines. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Auch wir, müssen uns an gewisse universelle Regeln halten. “
Lara blickte zu Boden und nickte langsam. „Ja, ich weiss. Ihr und ich, gehören nun einer anderen Welt an.“
Mina stimmte ihr zu und auch ihr liefen nun Tränen über die Wangen. Sie wischte sie jedoch schnell wieder weg und sprach: „Dann gehen wir jetzt noch ein letztes Mal zu den Einhörnern. Vermutlich legen diese sich auch schon bald schlafen.“
„Einhörner schlafen?“
„Ja, das tun sie, wenn auch nicht so tief, wie es die Lebewesen in der irdischen Welt tun. Aber tatsächlich, haben auch sie ihre Ruhephasen. Während dieser Ruhephasen versorgt das grosse, göttliche Licht sie mit neuer Energie. Wie es das übrigens bei all seinen Geschöpfen tut.“
Lara und ihre Eltern traten erneut hinaus auf den Vorplatz des Schlosses und trafen die Einhörner auf dem Boden ruhend an. Noch waren sie jedoch wach, denn ihre eleganten Köpfe, wandten sich ihnen sogleich zu.
Lara ging zuerst zu Lyra und umarmte diese spontan. Das Einhorn liess es geschehen und legte seinen Hals um sie.
„Ich muss leider wieder gehen,“ sprach das Kind. „Danke für den schönen Ausritt heute.“
Das Einhorn schien ihre Worte auch diesmal zu verstehen.
„Ich muss mich jetzt wieder meinem Leben auf der Erde zuwenden,“ flüsterte Lara und ihre Augen brannten erneut.
Als sie sich wieder von Lyra löste, senkte diese jedoch nochmals ihren Kopf und berührte, mit ihrem Horn, ganz leicht das Herz des Kindes. Das Horn leuchtete kurz auf und ein wundervolles Gefühl des Trostes durchfloss Lara, in diesem Augenblick.
„Sei nicht traurig,“ schien das Einhorn ihr sagen zu wollen. „Es wird alles gut. Verliere nicht den Mut!“ Das Mädchen nickte, wischte sich die gerade wieder aufgestiegenen Tränen ab und verabschiedete sich dann noch von den anderen wundervollen Fabelwesen.
Als das geschehen war, sprach Robert: Dann legen wir uns jetzt auch schlafen,“ dabei legte er den Arm um Laras Schultern. Zusammen kehrten sie dann wieder in das herrliche Schloss zurück.
In den Armen ihrer Eltern ruhend, fielen Lara schliesslich die Augen zu und… sie kehrte zurück in die Wachwelt…
**********
Noch in derselben Nacht, erwachten auch Hannah und George, plötzlich auf ihrem Schlaf. Ein seltsames Licht hatte sie geweckt.
Am Fussende ihres Bettes, standen zwei strahlende Gestalten! Fassungslos blickten die zu diesen empor. Träumten sie womöglich noch?
„Hannah?“ fragte Laras Grossvater „siehst du das auch?“
„Jaja, ich sehe es!“
Beide richteten sich im Bett auf. Das Licht um die übersinnlichen Gestalten herum, verblasste nun ein wenig und in diesem Moment, erkannten die älteren Leute, wer da vor ihnen stand.
„Mina! Robert!“ stiess George hervor. „Seid ihr es wirklich?“
Die beiden Gestalten nickten und sprachen lächelnd: „Ja, wir sind es! Wir wollten euch noch ein letztes Mal besuchen, denn nun müssen wir weitergehen. Sorgt bitte gut für unsere Tochter! Und glaubt ihr, wenn sie euch von übersinnlichen Erfahrungen mit uns berichtet! Sie sind alle wahr. Bitte unterstützt Lara auf ihrem Weg. Denn einst wird sie vielen Menschen, durch ihre Erfahrungen, helfen können. Versucht sie niemals zu entmutigen und fördert stets ihre Qualitäten.“
„Aber… natürlich,“ stammelte Hannah. „Wir werden alles tun, damit Lara gut und glücklich aufwachsen kann.“
„Wir danken euch dafür und wir wissen, dass ihr wunderbare Grosseltern seid,“ sprach Mina liebevoll, „denn ihr wart mir auch wundervolle Eltern!
So lebt denn wohl und alles, alles Gute!“ Mit diesen Worten war die wundersame Erscheinung verschwunden und die alten Leute blieben fassungslos, im Dunkel ihres Zimmers, zurück.
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Lara erwachte und fühlte sich erstaunlich gut. Noch immer klangen die Erlebnisse im Reich der Einhörner in ihr nach. Lyras letzte Berührung mit ihrem magischen Horn, hatte dem Mädchen einen Trost gespendet, den nichts anderes sonst ihr hätte spenden können. Zwar sehnte sie sich immer noch nach ihren Eltern, aber es war nun viel leichter erträglich.
Sie kleidete sich schnell an und ging hinunter ins Wohnzimmer.
Ihre Grosseltern empfingen sie bereits und hatten schon ein Frühstück für sie vorbereitet.
„Heute ist ein ganz besonderer Tag,“ sprach Hannah und setzte sich neben Lara.
George nahm auf der anderen Seite seiner Enkelin Platz. Das Mädchen staunte über das Strahlen, das heute von ihren Grosseltern ausging und sie spürte, dass auch diese etwas ganz Besonderes erlebt haben mussten.
„Ihr seht so fröhlich auch,“ meinte sie.
„Ja, wir sind auch fröhlich, denn wir haben deine Eltern gesehen, stell dir vor!“
Laras braune Augen wurden gross.
„Wirklich? Ich habe sie auch gesehen.“ Und so erzählten die drei einander alles, was sich zugetragen hatte.
Am Ende ergriffen Hannah und auch George liebevoll Laras Händen und drückten sie. „Wir wissen jetzt, dass alles, was du uns in den letzten Tagen von den Erlebnissen mit deinen Eltern erzählt hast, wirklich wahr ist und das spendet auch uns einen wundervollen Trost. Wir sind sehr stolz auf dich und werden dich stets in deinem Wege unterstützen. Wir haben dich sehr, sehr lieb!“
Mit diesen Worten umarmten die drei einander innig und mit himmlischer Freude in ihren Herzen, machten sie sich bereit, für einen ganz neuen, froheren Lebensabschnitt…
Epilog
Tatsächlich schloss Lara ihre Schulzeit gut ab und absolvierte schliesslich ein Studium, im Bereich Psychologie. Mit ungefähr dreissig Jahren, entschied sie sich, sich selbständig zu machen. Im Laufe ihres Lebens, bildete sie ihre medialen Fähigkeiten mehr und mehr aus, machte sogar nochmals den ein oder anderen Besuch im zauberhaften Traumland (vielleicht werde ich davon sogar mal wieder etwas schreiben). Sie spezialisierte sich schliesslich auf Trauerarbeit und stellte teilweise sogar Jenseitskontakt für andere Menschen her. So fand Lara ihre Berufung und lebte glücklich und zufrieden, bis sie eines Tages wieder in die jenseitige Welt zurückkehrte, wo sie ihre Eltern und mittlerweile auch Grosseltern, herzlich und mit offenen Armen, empfingen.
ENDE