Die Silberstadt
Noch am selben Abend, hatten Lara und ihre Grossmutter die selbstgemachte Landschaft noch vom Estrich herunter geholt und nun stand diese auf Laras Kommode, damit sie sie immer anschauen konnte, wenn sie traurig war. Irgendwie verband sie diese Landschaft ganz besonders mit ihren Eltern, ebenso wie die Muschel und den Stein, den sie von drüben mitgenommen hatte. Immer wieder nahm sie die Gegenstände in die Hand und dann erschien ein seliges Lächeln auf ihrem Gesicht, denn sie wusste, sie war nicht allein.
Am Abend, als sie ins Bett ging, lag das Mädchen noch eine Weile wach und betrachtete die Landschaft. Irgendwie schien diese von innen heraus zu leuchten, obwohl das Licht des Tages immer mehr verblasste und Lara stellt sich vor, dass ihre Eltern in dieser, von ihr angefertigten Stadt, weiterlebten. Doch bestimmt war das nur Einbildung.
Als ihre Grossmutter kam, um ihr gute Nacht zu wünschen, betrachtete auch sie die hölzerne, mit Silberspray besprühte Landschaft. „Sie scheint irgendwie zu leuchten,“ sprach sie „sie wirkt so lebendig, als ob dort… jemand leben würde.“ „Das habe ich mir auch gedacht,“ sprach Lara voller Freude. „Dann haben wir wohl dasselbe gedacht,“ lächelte Hannah. „Vielleicht tröstet es uns, wenn wir uns vorstellen, dass es irgendwo im Jenseits ein Abbild dieser Stadt gibt, worin deine Eltern glücklich und zufrieden leben.“ „Meinst du das könnte sein?“ wollte Lara tief bewegt wissen. „Nach all dem, was du die letzte Zeit erlebt hast, könnte ich mir das schon vorstellen.“ „Du meinst also nicht, dass ich verrückt bin?“ wollte das Mädchen wissen. „Auch wenn andere vielleicht deine Erlebnisse so auslegen könnten, ich tu es nicht, ich beneide dich eher, für das was du erfahren darfst…“ Ihr Augen blickten auf einmal tieftraurig und Tränen erschienen darin. Sie legte den Arm um Lara und drückte sie an sich. „Egal ob all das erklärbar ist oder nicht, egal ob es in die festgefahrene Realität von uns Menschen passen mag…; Diese Erlebnisse spenden dir einen ganz besonderen Trost und diesen besonderen Trost… suche ich schon lange. Ach, Kind…“ sie streichelte nun liebevoll Laras Wangen. „Du bringst mit den Berichten über deine Erlebnisse, etwas mehr Trost in mein Leben und auch das deines Grossvaters. Denn auch wir vermissen Mina und Robert ganz furchtbar!“ „Sie sind noch immer bei uns!“ sprach Lara zuversichtlich, „ich bin mir da ganz sicher!“ Sie umarmte nun ihre Grossmutter ebenfalls und in diesem Moment begann die Landschaft auf der Kommode hell zu strahlen! Das gleissende Licht umhüllte Lara und ihre Grossmutter und sie fanden sich wieder in einer völlig fremden, silbern funkelnden Welt!
Ungläubig blinzelnd, schauten sie sich um. Tatsächlich fanden sie sich wieder im Herzen eine silbern leuchtenden Stadt. „Mein Gott!“ rief Hannah „was ist geschehen?“ „Das waren bestimmt Mama und Papa!“ jubelte Lara. „Sie haben uns hergebracht. Diese Stadt… es gibt sie wirklich! Schau dich mal um! Alles ist so wie ich es einst angefertigt habe. Dort bei dem hohen Haus, sieht man sogar die Unebenheit, die enstanden ist, als ich mit der Säge unsauber gesägt habe. Aber… diese Stadt hier… sie besteht aus richtigem Silber, oder einen silberartigen Material zumindest. Als ob man sie aus dem Gestein der silbernen Berge gefertigt hätte.“ Mit diesen Worten klopfte sie gegen eine Hauswand und diese gab tatsächlich ein irgendwie metallisches Geräusch von sich.
„Es ist wunderschön hier!“ schwärmte Hannah. „Dieses zauberhafte Licht und der Himmel ist so blau, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. „Das ist, weil ihr in eine andere Welt eingetaucht seid!“ sprach auf einmal eine Stimme hinter ihnen. Vor den beiden standen tatsächlich, Hand in Hand, Robert und Mina. „Oh mein Gott!“ stiess Hannah ungläubig hevor „ihr… seid es wirklich!“ Ich kann es nicht fassen!“ „Mutter!“ rief Mina, lief auf die ältere Frau zu und umarmte sie eng. „Du hast es geschafft herzukommen! Das ist wundervoll!“ Hannah erwiderte die Umarmung fassungslos und Tränen der Freude, liefen ihr über die Wangen. „Ich… weiss nicht was ich sagen soll…“ stammelte sie. „Wie ist so etwas denn überhaupt möglich?“ „Vieles ist möglich, wenn du daran glaubst,“ sprach nun Robert und umarmte Hannah und danach seine Tochter ebenfalls voller Zuneigung. „Aber…“ „Sag nicht Mama!“ sprach Mina liebevoll, „du kannst es glauben, es ist mehr möglich, als du denkst.“ „Ihr seht beide so wunderschön und glücklich aus. Geht es euch gut… da wo ihr jetzt seid?“ „Ja, sehr gut. Auch wenn wir euch natürlich noch immer etwas vermissen, aber nun seid ihr ja hier.“ „Dann hatten Oma und ich also recht, ihr lebt in dieser silbernen Stadt, in der Stadt, die ich einst angefertigt habe,“ fragte Lara. „Ja, ihr hattet recht, dieser Ort ist sehr wichtig, um Verbindung miteinander aufzunehmen,“ sprach Robert „darum habe ich dir auch gesagt, du sollt sie vom Estrich herunterholen. Sie hat eine ganz besondere Bedeutung unsere… Silberstadt, vergiss das nie! Auch wenn wir hier nicht stets angebunden sind, so ist das doch eine wichtige Schnittstelle, um in Kontakt zu bleiben. So lange, bis ihr Trost gefunden habt und ihr immer mehr loslassen könnt.“ „Aber ich will euch nicht loslassen!“ Lara begann auf einmal wieder zu weinen. „Ich will, dass wir stets in Verbindung bleiben.“ „Das bleiben wir so oder so, mein liebes Kind,“ sprach Laras Vater und nahm seine Tochter tröstend in den Arm. „Aber eines Tages, wird es nicht mehr nötig sein, dass du uns auf diese Weise siehst. Denn dann wirst du anfangen dein eigenes Leben zu leben.“ „Aber ich will das nicht! Bitte ich will das nicht!“ „Noch ist es ja nicht so weit,“ sprach Mina beschwichtigend. „Es gibt noch viel Schönes zu entdecken in der Welt, in der wir jetzt sind. Einiges wirst du bestimmt noch sehen.“ „Werde ich diese Dinge auch sehen können?“ wollte Hannah wissen, „Nicht im selben Ausmass wie Lara, aber verzage deswegen nicht Mutter. Wir haben uns sicher nicht das letzte Mal angetroffen! So lasst uns nun den Moment geniessen, bis ihr wieder gehen müsst!“