"Haltet die Köpfe unten!", befahl der junge Offizier, der uns zu Sergej und Dr. Pfaff bringen sollte. Wir brauchten sie gegen diesen Angreifer und sein Befehlshaber hatte ihrer Freilassung zugestimmt.
Das Rattern einer Gewehrsalve ließ ihn zusammenzucken. Dann sprintete er geduckt zur nächsten Deckung, mit uns im Schlepptau. Ein starker Wind war aufgezogen und trieb Wellen über die Planen der Armeezelte, zwischen denen wir uns unter den Schüssen unseren Weg suchten.
Ein Brüllen übertönte die Schüsse, ließ sie sogar für einen Moment verstummen. "Unmenschlich!", flüsterte ich und die Haare standen mir zu Berge. Knirschen durchzog die Stille. Als ob jemand den Deckel von einer Erdnussdose zog und sie dabei vor ein Megaphon hielt. Dann ein Krachen. Einige Zelte weiter schrie jemand einen Befehl, dann fielen wieder Schüsse.
Mr. Eiszombie hatte sich am Ende doch dazu entschlossen, den Stützpunkt anzugreifen. Musste er dafür denn wirklich warten, bis wir mittendrin waren?
Wir erreichten ein Zelt, vor dem zwei zitternde Wachen standen. Sie nahmen Haltung an und salutieren vor dem Offizier.
"Die Gefangenen sind unverzüglich freizulassen!", bellte der Offizier. Die Wachen salutierten erneut. Es lief alles reibungslos. Ich hätte fast behauptet, dass es zu reibungslos lief, aber es war ja nicht so, dass wir gerade von einem unkaputtbaren Monster angegriffen wurden.
Eine der Wachen verschwand im Inneren und kurz darauf verließ unsere Verstärkung mitsamt ihrer Ausrüstung das Zelt.
Sergej warf mir einen finsteren Blick zu. War er nicht glücklich darüber, dass ich ihm aus der Patsche half? Die Ärztin nickte mir dafür aber anerkennend zu. Verkehrte Welt.
"Also gut, die Armee ist jetzt auf unserer Seite, aber wir haben ein neues Problem", begann ich. Sergej ließ die Knöchel knacken, ein Zeichen, dass er bereit war, Probleme zu lösen. "Ein Typ, der mit Kugeln nicht aufzuhalten ist."
"Ein Eis-zom-bie", hauchte Klara.
"Ein Zombie? Reicht wohl nicht, dass wir es mit Raumschiffen und entlaufenen Wölfen zu tun haben. Was kommt als Nächstes? Vampire?", fragte Dr. Pfaff zynisch.
"Vampire, wer glaubt denn bitte an Vampire?" Ich lachte trocken. "Aber im Ernst. Er wurde im Gesicht getroffen und ich konnte sehen, wie die Einschusslöcher verschwunden sind. Einfach so. Gleichzeitig hat sich der Schnee in seinem Umfeld aufgelöst. Vielleicht habt ihr Ideen, wenn ihr ihn seht." Ich horchte, wie weit die Schüsse noch entfernt waren. Aber der Wind verfälschte jede Schätzung. "Die Betäubungsgewehre könnten ihn möglicherweise auch aufhalten", führte ich meine Gedankengänge fort.
"Ihr wollt euch diesem Monster stellen?", fragte eine der Wachen. Der Mann war blass und starrte mich mit großen Augen an.
"Wir werden es uns erst einmal aus der Entfernung ansehen und dann …"
"Pah", unterbrach mich Sergej, "wo muss ich hin?"
Ein weiteres Krachen erschütterte den vereisten Boden, dann kippte ein paar Meter weiter eine Straßenlaterne um und erschlug zwei Zelte. Sergej wartete die Antwort nicht ab und stürmte los. Ich wusste, dass er immer schnell dabei war, für andere in die Bresche zu springen, aber seit wann war er nur so rücksichtslos?
"Mist!", fluchte ich. "Jetzt müssen wir hinterher."
Dr. Pfaff wollte mir Sergejs Gewehr in die Hand drücken, aber ich winkte ab. Ich würde im Getümmel nur die eigenen Leute treffen.
"Gib das lieber einem der Soldaten. Die können damit wenigstens umgehen."
Ich lief los, um Sergej zu folgen. Der Rest auch, samt Offizier und den beiden Wachen, für die es ja jetzt niemanden mehr zu bewachen gab. Im Laufen betätigte Moritz einen Hebel an seinem Apparat und hielt ihn schussbereit vor sich.
Dem Schneehörnchen war seine Mitfahrgelegenheit zu ungemütlich geworden, denn es sprang von Klaras Schulter und huschte neben uns her. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die sich dem Monster mutig stellen würde. Hurra!? Hoffentlich brachte uns die Technologie des Schiffes den entscheidenden Vorteil.
Wir bogen um die Ecke eines Zeltes ab und ich musste abrupt abbremsen.
Im hohen Bogen flog uns Sergej entgegen und verfehlte mich nur um eine Haaresbreite. Klara, die direkt hinter lief mir, stieß mit mir zusammen und schrie auf. Nicht, weil ihr der Zusammenstoß so weh getan hatte. Nein, vor uns ragte der weiße Hüne, mit seinen bestimmt zweieinhalb Metern, zwischen aufgetürmten Schneehaufen auf. Diesmal nicht auf einem Bären, sondern zu Fuß, die Faust nach seinem Schlag gegen Sergej immer noch ausgestreckt. Ich wich zurück und stolperte dabei über Klara. Nur die Soldaten und Dr. Pfaff blieben stehen und legten an.
Die Wucht der einschlagenden Kugeln trieb ihn ein kleines Stück zurück. Das Betäubungsgewehr traf ihn ebenfalls. Er war ja auch ein Ziel, das man kaum verfehlen konnte. Unbeeindruckt schnipste er den Betäubungspfeil von seiner Brust. Die Wölfe waren vorher fast augenblicklich zusammengebrochen, aber bei ihm zeigte sich keine Wirkung.
Dr. Pfaff schulterte das Gewehr, zog ihren graublauen Analysator hervor. Sie hatte ihn im Raumschiff gefunden. Er hatte die Größe eines Smartphones und ein Unwissender konnte meinen, dass sie ein Foto von ihm machen wollte. Ob es ihr irgendwelche sinnvollen Informationen liefern würde?
"Ich brauche Zeit, haltet ihn irgendwie auf!", kommandierte sie. Leichter gesagt als getan, denn ich hatte nicht den Hauch einer Idee, was ich hier beisteuern sollte.
Sergej nahm mir die Aufgabe ab, als er sich wieder aufrappelte und erneut auf unseren Gegner zustürmte.
"Aus der Schussbahn!", fluchte einer der Soldaten. "Zieht euch weiter zurück!"
Sergej rannte auf den Eiszombie zu, duckte sich unter einem träge wirkenden Schlag hinweg und trieb ihm im Gegenzug seine Faust in die Magengegend, wo sie knirschend versank. Er machte einen Satz zurück und zog dabei seine Faust wieder heraus. Dann riss er seine Arme in die Abwehrhaltung hoch.
Sergej hatte ein klaffendes Loch in Kleidung und Bauch des Hünen hinterlassen.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Ich hatte bisher noch nie einen offenen Bauch gesehen. Ich vermutete aber stark, dass er nicht mit Schnee und Eis gefüllt sein sollte. Die rieselten aus der Öffnung und verwandelten sich dank des Windes in ein kleines Schneegestöber. Einen Augenaufschlag später war von der Wunde schon nichts mehr zu sehen. Verschwunden war auch einer der Schneehaufen, die ihn eben noch umgeben hatte.
"Das ist ja krank!", rief Sergej.
"Fast. Es ist eher so, dass er krank ist", korrigierte Dr. Pfaff, während sie die Anzeigen ihres Analysators studierte. Mit lauter Stimme rief sie dem Offizier zu: "Habt ihr Flammenwerfer?"
"Nein, so etwas benutzen wir nicht."
"Brandgeschosse vielleicht?", warf Sergej helfend ein.
"Nein, wir sind hauptsächlich zur Bergung hier. Das gehört nicht zur Standardausrüstung."
"Große Mengen an Salz könnten auch helfen."
Der Offizier blickte die Ärztin entgeistert an. Das war wohl auch als 'nein' zu werten.
"Okay, dann sollten wir hier weg. Wir können nichts tun." Dr. Pfaff steckte ihren Analysator ein und wollte noch etwas zum Offizier sagen, wich dann aber hastig ein Stück zurück, als der Eiszombie bedrohlich nahekam.
Sergej warf sich dazwischen. Knirschend prallte eine eisige Faust auf das fremdartige Metall seines Arms. Es war erstaunlich, dass er so viel einstecken konnte, wenn ich an den Soldaten dachte, den wir vor dem Raumschiff gefunden hatten.
"Wenn wir einfach abhauen, können wir die Hilfe der Armee vergessen. Wahrscheinlich gibt es hier dann auch keinen mehr, der überhaupt mit uns zusammenarbeiten kann!", rief ich. "Gibt es denn keinen Weg, wie wir ihn aufhalten können?"
"Versenk ihn im Meer", antwortete die Ärztin trocken.
Klara schrie, riss an meinem Ärmel und zeigte nach vorne. Dort ging Sergej gerade zu Boden. Der Eiszombie stand über ihm, den Fuß hoch erhoben, um ihm den Brustkorb einzutreten.
Ich schloss mit meinem Leben ab und machte mich bereit, mich selbstlos auf ihn zu stürzen. Ich musste meinen Freund retten.
Da erklang ein schrilles Surren neben mir. Mit einem breiten Grinsen richtete Moritz seinen wild vibrierenden Apparat auf den Eiszombie. Er drückte ab und wurde mit einem Knall rückwärts in einen Schneehaufen verfrachtet.
Der Eiszombie wurde in entgegengesetzter Richtung durch ein Zelt und seitlich in eins der Schneefahrzeuge geschmettert. Dabei wurden die beiden Räder auf der Seite angehoben und das Fahrzeug kam erst einige Meter weiter hinten wieder zum Stehen. Mr. Eiszombie ließ seinen Kopf hängen. Wirkte bewusstlos.
Das kam unerwartet. Hatte Moritz einfach nur das Talent, die richtigen Knöpfe zu drücken oder das richtige Spielzeug mitzunehmen, auch wenn er sonst keine Ahnung von nichts zu haben schien? Oder war da noch mehr? Das Monster im Meer zu versenken war mit dieser Waffe jedenfalls gar nicht mehr so abwegig.
Moritz hatte ebenfalls das Bewusstsein verloren und ich rannte zu ihm. Nicht um Erste Hilfe zu leisten. Ja, ich weiß, wie unmenschlich, aber das konnten andere besser als ich. Nein, ich lieh mir sein Spielzeug aus.
Mit dem Handschuh an der Waffe bekam ich sofort ein Gefühl dafür, welche Knöpfe ich drücken musste und wie man Stärke und Streuung des Schusses verändern konnte. Dann lief ich zurück zu Sergej.
"Lieg da nicht so rum, ich brauch dich!", brüllte ich ihn an und streckte ihm den rechten Arm entgegen. Er ergriff ihn und zog sich hoch. Unter seinem Gewicht wäre ich selber beinahe am Boden gelandet. Hätte ihn mal besser zum Krafttraining begleiten sollen.
"Was soll ich tun?" Sergej klopfte den Schnee von sich ab und streckte sich.
"Halt mich einfach fest, wenn ich schieße, damit ich durch den Rückstoß nicht im Nirvana lande."
Ich rannte auf den Eiszombie zu, mit der Waffe im Anschlag und sah mich dabei um. Als ich die richtige Position gefunden hatte, blieb ich stehen und nickte Sergej zu, der sich hinter mir bereit machte. Ich drückte ab und beförderte den Hünen samt Auto mit einem Knall einige Meter weiter nach hinten auf ein halb zusammengestürztes Gebäude zu. Der Rückstoß warf mich in Sergejs Arme. Ein Bild, wie gemacht für romantische Abende.
"Danke! Das müssen wir nochmal wiederholen."
Wir rannten ein weiteres Mal auf den Eiszombie und das Fahrzeug zu, das sich jetzt wie die Hälfte einer Gussform um ihn gebogen hatte. Ich legte an und drückte erneut ab. Und nichts geschah.
Die Waffe gab lediglich ein müdes Zischen von sich und ich betrachtete sie genauer. Ein Display fiel mir ins Auge und präsentierte mir einen Ladebalken.
'Erneute Benutzung möglich in 10, 9, 8 ...'
Das passierte nicht wirklich, oder? Alien-Hightech-Equipment mit Aufladefunktion? Natürlich begann genau in diesem Moment auch unser Gegner damit, sich wieder zu rühren.
"Schießt du jetzt endlich oder willst du es einfach nur spannend machen?", knurrte mich Sergej von hinten an.
"Das blöde Teil muss sich erst aufladen …"
"Muss ich ihn doch selbst erledigen?" Mit diesen Worten stapfte Sergej an mir vorbei.
"Nein, warte doch einen Moment!"
Aber ich konnte ihn nicht mehr aufhalten. Dann war die Waffe wieder geladen. Wenn ich jetzt nicht schoss, konnte ich nicht garantieren, dass ich nicht auch Sergej erwischte. Ich hatte zwar niemanden mehr, der mich auffangen würde, aber bevor ich Sergej gemeinsam mit dem Eiszombie in der Ruine versenkte, riskierte ich das lieber. Ich zuckte gedanklich mit den Schultern und drückte ab.
Die Wucht des Schusses schleuderte mich weit nach hinten. Im Flug sah ich, wie der Eiszombie in der Ruine verschwand, die über ihm zusammenbrach und ihn begrub.
Ich konnte ebenfalls sehen, wie sich Sergej verdutzt zu mir umdrehte, nachdem ich ihn seines Kampfes beraubt hatte.
Und als ich dann auf ein Hindernis hinter mir aufschlug, sah ich nur noch schwarz.