Einige Stunden später, so gegen Mittag, kam ich an der Wohnung an. Eigentlich war die Bezeichnung „Wohnung“ unpassend.
Es war eher eine kleine Villa, die der geheimnisvolle Eigenbrötler vor ein paar Jahren erworben hatte, wie er mir am Telefon erzählte.
Daher suchte er nach einem Mitbewohner und war erfreut, dass ich einziehen wollte. So sollte ich ihn bei der entsprechenden Straße treffen, um anschließend die Wohnräume zu begutachten. Die Villa war für ein solches Gebäude recht klein, hatte aber einen gepflegten Garten mit einem saftigen grünen Rasen und zwei Obstbäumen.
Ein Gärtner schnitt gerade die Hecke etwa zwei Meter vor der Tür. Ich fragte nach, ob ich hier richtig war.
„Sicher, sicher, die Tür ist offen, dann die dritte Tür rechts, dort im Zimmer müsste Sir Alyrun sein.“
Ich stieg die Eingangstreppe hinauf und drückte auf die Türklinke.
Die massive Eichentür knarrte und ich betrat den Gang. Mit schnellen Schritten ging ich weiter und suchte nach dem vom Gärtner genannten Raum. Ich bemerkte den beißenden Geruch von Schwefel. Als ich die Tür öffnete, und war jemand zu sehen, der einen nachtblauen Mantel trug.
Ich trat ein, woraufhin er sich zu mir umdrehte.
Seine leuchtend blauen Augen ruhten auf mir. schmunzelnd streckte er mir seine Hand entgegen. „Schön, dass Sie schon da sind, Jones. Wie ich sehe, kommen Sie gerade von Sardos zurück.
Waren Sie lange in der Armee?“
„Etwa 10 Jahre“, antwortete ich überrascht. Woher wusste er, dass ich in der Armee gewesen war, noch dazu, wo ich gedient hatte? „Sind Sie Alyrun?“
„Ja, der bin ich.“
„Und woher wissen Sie, dass ich in Sardos war?“
Der Mann reinigte seine Hände, um den Schwefelgeruch loszuwerden, bevor er mir antwortete: „Nun, Sie sind offensichtlich Doktor, aber mit einem militärischen Gesichtszug wie bei einem Feldarzt. An Ihren Augen erkenne ich, dass Sie kürzlich erkrankt waren, wahrscheinlich an einer Art Tropenfieber.
Außerdem ist Ihr Arm steif, so als ob Sie da eine Verletzung hätten. Nun, wo wird denn ein Feldarzt mit Tropenfieber so schwer verwundet? Und da kam nur Sardos infrage.“
„Natürlich!“, sagte ich noch immer sehr verwirrt.
„Sie können Ihre alten Sachen später in die Villa bringen, aber wollen Sie schon mal die Räume begutachten?“
„Wie? Ach ja, natürlich... natürlich“
Ich fühlte mich überrumpelt. Das legte sich, während Alyrun mich herumführte, und ich war durchaus angetan von den Wohnräumen, in die ich einziehen konnte.
In einem von diesen hätte ich auch die Möglichkeit eine Arztpraxis einzurichten. Die Villa an sich war nicht protzig, eher nüchtern und simpel gestaltet.
Schmale Gänge, in denen Eichenbalken die Decke stützten und deren Wände in einem satten und kräftigen Blauton angestrichen waren.
Nebenbei hatte ich auch Gelegenheit Alyrun besser kennen zu lernen, der sich als sehr introvertiert herausstellte oder etwas „eigen“, wie Craftfort es nannte.
Die ersten Erlebnisse, die ich mit diesem Mann hatte, waren zugleich verwirrend und auch sehr verwunderlich. Und stets aufs Neue hielt er die eine oder andere Überraschung für mich parat sowie den einen oder anderen Schock.
Denn der Mann hatte ein unglaubliches Wissen ... und Unwissen, was sich bei den Gesprächen mit ihm herausstellte. Als wird nämlich in einen Raum kamen, der eine Glaskuppel besaß, wollte ich mal wissen, was er von der Astrologie hielt. Und während der Diskussion war ich sprachlos.
„Alyrun, Sie wussten nicht, dass der Mond um unseren Planeten kreist?!“
Der Mann schaute mich nicht einmal an, als er nüchtern antwortete. „Jetzt ist es mir bekannt und ich werde es gleich wieder vergessen.“
„Aber das weiß doch jedes Kind!“, sagte ich entgeistert. „Wieso ist das für Sie nicht relevant?“
Seine Augen schauten mich verständnislos an. „Ja, wieso? Inwiefern ist das relevant, weshalb ich mir das merken sollte? Wenn ich sage, der Mond kreist um die Sonne, würde das einen Unterschied machen?“
Ich war verblüfft über diese Antwort, aber es stimmte mich nachdenklich. „So gesehen, nein!“
„Dann ist es unnützes Wissen und ich werde es vergessen. Und ich rate Ihnen, dasselbe zu tun.“
Was er sagte, schien im ersten Moment etwas gedankenlos, aber im Grunde genommen hatte er gar nicht so unrecht. Das wusste doch wirklich jedes Kind, aber spielte das wirklich eine Rolle? Ich war versucht, kurz zusammenzufassen, was der Mann wusste.
Sollte ich aber jetzt über ihn urteilen, wo ich ihn nur wenige Stunden kannte?
Ich spürte, wie die Verwirrung mir Kopfschmerzen bereitete und bat um ein Glas Wasser. Die klare Flüssigkeit befeuchtete meine Kehle und die Kopfschmerzen ließen nach.
Alyrun schaute nach draußen. „Wir bekommen Besuch, Edward, von einem Piloten a. D.“
„a. D? sie meinen wohl außer Dienst.“
„Exakt.“
Ich schritt zum Fenster. Ein Polizeibeamter eilte den Weg hinauf. Dieser Mann war etwas leichtfertig mit seinen Behauptungen, da ertönte auch schon die Klingel.
Ich öffnete die Tür und ein junger Mann trat herein, ohne Bart und mit kurzgeschorenen Haaren.
„Sir Arwed Alyrun? Inspektor Morgan schickt mich. Er lässt Sie darum bitten, dass Sie ihn am Tatort aufsuchen.“
„Geht in Ordnung, Bursche. Sagen Sie ihm, ich werde da sein, sobald ich kann. Oh, und legen Sie mir den Brief doch gleich da hin.”
„Danke, Sir.“ Der Bursche legte einen Umschlag auf den Tisch.
„Sie sind bei der Polizei?“, fragte ich.
„Ja, Sir.“
In mir kam eine gewisse Genugtuung auf, die mir ein triumphierendes Lächeln auf das Gesicht malte, aber das hielt nicht lange an.
Denn Alyrun fragte: „Wie lange sind Sie schon im Dienst?“
Der Mann antwortete: „Seit drei Jahren, Sir Alyrun, davor war ich Pilot bei der Luftwaffe.“
Ich kann mir nicht vorstellen, welchen Gesichtsausdruck ich damals hatte, denn ich kam mir vor, als würde ich verrückt werden. Verdutzt fuhren meine Finger am Bart entlang, aber ich hatte kaum Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, als mein Mitbewohner mir den Vorschlag machte, ihn zum Tatort zu begleiten.
Ich wollte ihn sowieso danach fragen, also stimmte ich dem zu.