„Wie meinst Du das?“, fragte ich. Paula lächelte: „Na, tss-o nennt man doch ein Auto mit Produktion-tss-fehlern. Und bei mir hat nun mal der liebe Gott ein paar Mängel tss-u viel eingebaut.“
In diesem Augenblick brachte die Bedienung unsere bestellten Getränke und das Essen. Wir hatten beide Hunger und stürzten uns auf unsere Portionen auf den Tellern. Mit einem breiten Grinsen schob ich Paula zwei Pommes-frites-Stäbchen auf den Salatteller. Paula grinste mich ebenfalls an und sagte: „Ein bi-tss-chen Tss-ünde mu-tss tss-ein!“
Während Paula konzentriert mit der Gabel ihre Salatblätter aufspießte, schaute ich verstohlen zu ihr hinüber. „Ihre kurzen roten Haare, die nach hinten gekämmt sind, sind schon ein sexy Hingucker“, dachte ich bei mir. „Und mit den vielen Sommersprossen sieht Paula ganz schön süß aus. Ihre kurze nach oben gebogene Nase gibt ihr einen frechen Gesichtsausdruck. Mit der hellen Haut und den weißroten Brauen und Wimpern wirkt Paula ziemlich zart. Ihre stahlblauen Augen strahlen. Und dann die Brüste! Weiblicher geht es kaum!“, zogen die Gedanken an mir weiter vorbei. Und wenn ich mir so das Gesamtpaket Paula anschaute, dann waren für mich in diesem Moment auch ihre Zahnspange und ihre Hörgeräte keine wirklichen Schönheitsfehler. Das Lächeln mit Zahnspange fand ich süß. Und die pinkfarbenen Hörgeräte konnten auch als zwei Farbtupfer an ihrem roten Schopf durchgehen. Ihr Lispeln schließlich war einfach nur lustig.
„Woran denk-tss-t Du tss-o kon-tss-entriert?“ fragte mich Paula plötzlich und schaute mich mit leicht zugekniffenen Augen an. Ich überlegte kurz. Sollte ich eine ehrliche Antwort geben? Ich entschied mich für die Wahrheit: „Ich habe über Deine Bemerkung mit den Produktionsfehlern nachgedacht. Also ich finde, bei Dir hat der liebe Gott verdammt viel richtig gut gemacht. Du bist eine verdammt hübsche, lebensfroh wirkende junge Frau. Vielleicht selten, aber schön!“
„Nimm mich bitte nicht auf den Arm, da-tss mag ich gar nicht! Mach Dich nicht lu-tss-tig über mich! Ich bin ein Mauerblümchen und eine Au-tss-en-tss-eiterin! E-tss tut verdammt weh, wenn man da-tss von den Gleichaltrigen über Jahre eingetrichtert bekommen hat. Ich wurde viel gemobbt. In der Schule hie-tss ich ‚Tss-uckertante‘ wegen de-tss Diabete-tss, ‚Tittenmon-tss-ter‘ wegen meiner Oberweite, ‚Schiefmaul‘ wegen meiner Tss-ähne, ‚Stat-tss-ge‘ wegen de-tss Li-tss-peln-tss, ‚fleckige Ginger‘ wegen der roten Haare und der Tss-ommerspro-tss-en. Du kann-tss-t Dir nicht vorstellen, wa-tss da-tss mit einem macht. Du fühl-tss-t Dich mie-tss ohne Ende!“
Paula hatte in diesem Moment einen tieftraurigen Gesichtsausdruck angenommen. Ihr Lächeln war wie weggeblasen. Und die hübschen stahlblauen Augen wurden leicht feucht.
„Das war in jeder Beziehung hässlich von diesen Leuten. Das sind Riesenarschlöcher, die Dich so behandelt haben“, versuchte ich Paula zu trösten. „Aber die Welt besteht nicht nur aus Arschlöchern, sondern es gibt auch viele sehr anständige Menschen, die ganz anders drauf sind. Also Kopf hoch, ich habe es ernst gemeint und stehe dazu. Du brauchst wirklich keine Minderwertigkeitskomplexe haben!“
„Doch, die mu-tss ich haben,“ erwiderte Paula. „Ich bin eine Au-tss-en-tss-eiterin und gehöre zu kra-tss-en Minderheiten, wo ich hinschaue: Nur tss-wei Pro-tss-ent der Deutschen tss-ind rothaarig, weniger al-tss ein Pro-tss-ent in meinem Alter tragen ein Hörgerät, nur null komma tss-wei Pro-tss-ent der Jugendlichen haben Diabete-tss, und nur gan-tss wenige über acht-tss-ehn tragen wie ich noch eine Tss-ahnspange oder li-tss-peln.“
Ich konnte das, was Paula sagte, nicht so stehen lassen. Aber es fiel mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Trotzdem versuchte ich es.
„Paula, ich versuche zu verstehen, was Du sagst. Und es macht mich traurig, was Du für Erfahrungen machen musstest und wie Du von manchen Deppen behandelt worden bist. Du siehst vielleicht anders aus als die große Mehrheit der übrigen Menschen. Doch was ist schlimm daran? Du bist in vielen Belangen halt etwas Besonderes. Viele Durchschnittsmenschen hätten so gerne etwas, das sie besonders macht. Sie piercen sich, lassen sich Tattoos stechen, rasieren sich die Haare ab, legen tonnenweise Schminke auf, nur damit sie sich von anderen unterscheiden können. Das brauchst Du alles nicht. Dir hat die Natur einen gewissen Startvorteil gegeben. Alles, was Du mir als Deine Handicaps beschrieben hast, kannst Du auch ins Positive wenden: Du bist einzigartig!“
Ein kleines Lächeln ging über Paulas Gesicht. „Da-tss i-tss-t echt nett, wa-tss Du mir da tss-agst. Wenn ich e-tss nur glauben könnte“, sagte Paula. „Ich habe in all den Jahren niemand getroffen, von dem ich da-tss Gefühl hatte, tss-ich wirklich für mich tss-u intere-tss-ieren. Manchmal fühle ich mich tss-iemlich ein-tss-am! Wenig-tss-tens habe ich meine Eltern, meine Schwe-tss-ter Carla und meine be-tss-te Freundin Tss-ophie! Aber die leben alle in Me-tss-kirch, acht-tss-ig Kilometer von hier.“
Ich merkte, dass es langsam kalt wurde, hier im Freien auf den Bierbänken. Die Sonne war schon am Untergehen, und die milden Temperaturen des Herbsttages gingen rasant nach unten. Paula hatte sich gerade ihre Jacke umgehängt. Ihre Stupsnase nahm eine immer rötere Farbe ein. „Lass uns zahlen und aufbrechen! Es wird jetzt rasch kalt und dunkel“, schlug ich Paula vor.
Paula wehrte sich nicht dagegen, dass ich die Rechnung über 32 Euro bezahlte und sie einlud. Auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle sagte ich zu Paula: „Danke für Dein Vertrauen. Ich weiß das sehr zu schätzen. Ich freue mich, dass wir uns heute besser kennengelernt haben. Du bist offen und ehrlich, und das finde ich richtig sympathisch. Wir sollten uns wieder mal treffen, wenn Du magst. Am besten gebe ich Dir meine Nummer, dann können wir im Kontakt bleiben.“ Ich blieb stehen und diktierte Paula, die inzwischen ihr Handy gezückt hatte, meine Telefonnummer.
„Du bi-tss-t der ein-tss-ige in der Tutorengruppe, der mir von Anfang an tss-ympathisch war. Darum habe ich Dich vorhin auch gefragt, noch mit in den Biergarten tss-u kommen. Hat Spa-tss gemacht mit Dir! Bi-tss bald wieder, und dann lade ich Dich ein, versprochen!“
Bevor wir auseinandergingen, drückte mir Paula rechts und links ein Küsschen auf die Backen, das ich zögerlich erwiderte. Ihre weichen Brüste berührten mich dabei leicht. Ich hätte nicht geleugnet, dass es mir gefiel.
Ich sog Paulas Duft mit der Nase ein. Ihr Duft roch nach mehr.