Warum hast Du Deinen Cousin angelogen?
Das fragte ich Paula per WhatsApp, als ich zuhause war.
Paula antwortete: Es ist doch die Wahrheit! Du willst es, weil Du mich willst!
Ja, ich fühlte mich glücklich mit Paula. Sie hatte meinem Leben eine neue Dimension eröffnet. Sie war meine erste wirklich feste Beziehung. Und ich wollte mit Paula unbedingt auch mein erstes Mal erleben. Sie hatte mir Hoffnung darauf gemacht.
Aber erst musste ich meinen Teil des Deals mit Paula noch erfüllen. Der Deal war der Preis dafür, dass Paula sich meinem sehnlichen Wunsch gebeugt hatte und ihre neue Brille dauerhaft trug.
Also musste ich mich überwinden. Die Vorstellung, dass ich auf operativem Wege kurzsichtig gemacht würde, um Paula zuliebe ständig eine dicke Brille tragen zu müssen, bereitete mir aber noch immer großes Unbehagen. Ich müsste einen großen Schritt machen und mich trauen. Ich müsste für Paula eine Last tragen. Aber, so sagte ich mir, wie klein ist diese Last im Vergleich zu den Lasten, die Paula zu tragen hat! Ich entschloss mich, dem geliebten Mädchen mit dem Rotschopf und den Sommersprossen diesen Dienst zu erweisen. Es wäre mein Liebesbeweis!
Mir wurde bewusst, dass ich Alicia und Tom einweihen musste. Ich brauchte die beiden besten Freunde jetzt. Einmal musste ich sie einweihen, weil sie mich sofort fragen würden, wieso ich mit meinen Adleraugen plötzlich stark kurzsichtig geworden sein sollte und eine dicke Brille tragen müsste. Zum anderen brauchte ich ihren Zuspruch. Ich wollte, dass mir meine Freunde den Rücken stärken und mich auf diesem für mich schweren Weg zum Glück begleiten würden.
Ich bat die beiden, am nächsten Werktag nach den Vorlesungen zu mir nach Hause zu kommen. Ich hätte etwas Wichtiges mit ihnen zu besprechen.
Nachdem wir es uns mit einer Flasche Rotwein gemütlich gemacht hatten, legte ich los. Zu Alicia und Tom hatte ich größtes Vertrauen. Sie waren ja wie Geschwister zu mir, mit denen man über alles reden konnte. So holte ich weit aus und erzählte, wie ich Paula kennengelernt hatte, was ich mit ihr erlebt und was ich im Laufe der Zeit bei ihr gefühlt hatte. Ich erzählte ausführlich auch, wie ich Paula überredet hatte, ihre neue Brille dauerhaft zu tragen. Und ich schilderte den Deal, den wir vereinbart hatten. Alicia und Tom hörten aufmerksam zu, ohne Nachfragen zu stellen.
Ausführlich schilderte ich Paulas Forderung, dass ich mich einer Operation unterziehen sollte, um zum stark kurzsichtigen Brillenträger zu werden. Ich erwähnte auch ihre Motive. Ich legte meinen beiden Freunden dar, dass ich mich entschlossen hätte, Paulas Wunsch zu gehorchen, um sie endlich ganz für mich zu gewinnen. Deshalb müssten die beiden sich künftig an einen Marcus mit dicker Brille gewöhnen.
Zunächst schwiegen die beiden. Sie schienen nach Worten zu ringen. Alicia war die erste, die das Wort ergriff, nachdem sie ihre Brille zurechtgerückt und einen ernsten Gesichtsausdruck angenommen hatte: „Ich habe es ja von vornherein geahnt: Mit der Frau stimmt was nicht! Das kann sie doch nicht mit Dir machen. Du sollst für sie Deine Gesundheit aufs Spiel setzen. Wie strange ist das denn. Wenn sie Dich wirklich liebt, würde sie so etwas niemals von Dir verlangen. Sie hat Dir nicht nur den Kopf verdreht, sondern auch noch Dein Hirn ausgeschaltet. Mann, Marcus!“ Alicias Stimme war zornig geworden.
Dann war es Tom, der begann, auf mich einzureden: „Ich kann nicht verstehen, warum Du so auf dieses Weib stehst. Die ist doch das wandelnde Ersatzteillager. Das törnt doch mega ab. Und jetzt auch noch die Brille dazu. Natürlich weiß ich, dass Du so einen komischen Brillenfetisch bei Frauen hast. Aber diese rothaarige Paula geht doch gar nicht. Das ist eine Hexe!“
Ich unterbrach Tom: „Jetzt hör auf, das Mädchen wegen ihres Äußeren so runter zu machen. Ich finde sie außergewöhnlich, besonders und süß. Ich habe mich nun mal in den Rotfuchs verguckt!“
Tom ließ sich nicht beirren. Er legte weiter los: „Was aber noch viel schlimmer ist: Sie manipuliert Dich. Die Hexe hat Dich fest im Griff. Sie führt Dich an der Leine wie ein Hündchen. Auf Befehl machst Du Männchen und sagst ‚Wau‘. Sie hat Dir Deinen Willen gebrochen, und Du merkst es nicht einmal. Darauf willst Du eine Dich erfüllende Beziehung aufbauen? Never!“
Alicia pflichtete Tom bei: „Ja, Tom hat Recht. Du wirst zu Paulas Marionette. Sie zieht an den Fäden und befiehlt, und Du spielst und gehorchst. Sie erniedrigt Dich. Aber vor lauter Lustgefühlen hast Du wahrscheinlich das Denken eingestellt.“
Ich kam nicht mehr zu Wort, denn Tom setzte fort: „Die Sache mit der Augen-OP ist eine totale Zumutung! Wie kann man nur so selbstsüchtig sein, seinem angeblich geliebten Freund so etwas anzutun. Ich würde gerne wissen, wie sie ihren Cousin dazu gebracht hat, Dir diesen Eingriff anzubieten. Meines Erachtens verstößt das eindeutig gegen ärztliche Standesregeln. Lass es bleiben, Marcus! Denk an Dich und Deine Gesundheit! Morgen hat Paula einen anderen Dummen, und Du sitzt mit den künstlich schlecht gemachten Augen verlassen in der Ecke!“
„Marcus, Du bedeutest Tom und mir als bester Freund so viel. Wir wollen Dich nicht an diese Paula verlieren,“ sagte Alicia mit weinerlichem Unterton. Sie nahm ihre Brille ab und wischte sich über das rechte Auge, aus dem möglicherweise eine Träne entwichen war. „Ich brauche Dich so sehr!“
„Ihr verliert mich nicht“, entgegnete ich. „Unsere Freundschaft hält es aus, wenn wir irgendwann unsere Lebenspartner finden. Ich verstehe Eure Einwände und Bedenken. Natürlich mache ich mir auch meine Gedanken. Und es fällt mir nicht leicht. Aber Paula ist das Mädchen, das als erstes zu mir eine echte Liebesbeziehung aufbaut und das ich auch sehr gerne habe. Nur wer wagt, der gewinnt auch etwas. Und Tom hat mich ja schon lange gemahnt, ich solle doch endlich mal in die Pötte kommen, was Frauen angeht.“
Alicia griff nach meiner rechten Hand und drückte sie fest: „Mach es nicht, mir zuliebe!“ Ich sagte darauf: „Du bist für immer meine beste Freundin. Aber ich mache es trotzdem." Alicia ließ meine Hand nicht los.
Tom sagte resigniert: „Mach, was Du willst, Marcus. Wir haben Dich gewarnt.“
Nach einer kurzen Pause war es erneut Tom, der das Wort ergriff: „Wenn wir es gerade von unseren Beziehungen haben. Bei mir gibt es etwas Neues. Ich bin seit vier Wochen mit Annegret, der Freifrau aus der Tutorengruppe, zusammen. Mein Moppelchen macht mir richtig Spaß. Im Bett ist sie eine glatte eins. Für mich ist sie auf Kontaktlinsen umgestiegen. Vor allem aber: Sie hat mir gesagt, ich könne nach den Examina in die Anwaltskanzlei ihres Vaters mit einsteigen. Das will ich mir doch nicht entgehen lassen.“
Alicia und ich schauten uns an und prusteten los.