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Der gelbe Tennisball kommt mit einem leisen Geräusch auf dem orangenen Boden auf meiner Seite auf. Blitzschnell hole ich mit dem weißen Schläger, um den ich mit meinen Fingern fest umschlossen halte, den kleinen Ball, und schlage den Ball fest. Langsam spüre ich, wie die warme Sommersonne Chicagos mich zum Schwitzen bringt. Der Ball kommt feste auf der anderen Seite auf und macht es meiner Gegnerin unmöglich ihn noch zu erwischen. Melissa stöhnt erbost auf, während ich sich auf meine Lippen ein zufriedenes Grinsen schleicht. Mein leichter Anfall von Schadenfreude vergeht jedoch wieder, als ich die skeptischen Blicke meiner Eltern im Rücken spüre. Wie immer brauche ich mich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, dass meine Eltern mich am liebsten gerade anschreien würden. Kurz drehe ich mich um, nur um tatsächlich den Blick meines Vaters zu sehen. Er hat die Augen zu Schlitzen zusammen gekniffen und seine Kiefer fest aufeinander gepresst. Dieser Ausdruck ist mir so bekannt, dass er gar nichts sagen muss. Ich weiß auch so schon, was er will. Also wende ich mich wieder nach vorne und lasse meinen Schlagarm ein wenig lockerer, während das Mädchen immer noch dabei ist den Ball aufzuheben. Ihre leuchtend pinke Sportkleidung blendet in der Sonne schrecklich und ich kneife die Augen zusammen.
Nun hebt Melissa ihren eigenen Schläger und macht einen, echt miserablen, Aufschlag. Glücklicherweise geht das Geschoss wenigstens übers Netz, sodass ich wenigstens meine neue Mission verfolgen kann, meine schreckliche Cousine gewinnen zu lassen. Wie in Zeitlupe tue, ich so als würde ich den Ball schlagen, verfehle ihn aber absichtlich, während ich einfach hoffe, dass das Spiel bald vorbei ist. So macht es nämlich echt keinen Spaß! Die Schwarzhaarige hat einen hämischen Gesichtsaufdruck aufgesetzt und wirkt so, als würde sie mich innerlich auslachen. Manchmal würde ich ihr echt gerne, auch wenn das hart klingt, meine Faust ins Gesicht rammen.
Als das Spiel nach ewiger Zeit endlich zu Ende ist, ist der Horror, entgegen meiner Hoffnungen, noch nicht beendet. Sobald ich sie den letzten Punkt habe machen lassen, lässt sie ihren Schläger sofort fallen und läuft freudig auf ihre Eltern zu. Genervt verdrehe ich die Augen und gehe los, sehe zu, wie ein Angestellter des Country Clubs losläuft und Melissa ihren Schläger hinterherträgt. Bei ihrem verwöhnten Verhalten könnte ich echt kotzen. Sie erwartet echt, dass man ihr alles hinterher schleppt und für sie den roten Teppich ausrollt. Schon als Kind war sie, dank ihrer Eltern, schrecklich verwöhnt.
Der muskulöse Arm meines Vaters legt sich schwer auf meine Schulter und ich zucke fast zusammen. Freundschaftlich klopft er mir sanft auf den Rücken und flüstert gerade so, dass die anderen es nicht hören können: “Das war ein richtig gutes Spiel. Ich bin stolz auf dich!“ Fassungslos sehe ich ihn an. Wie schon so oft frage ich mich, was mit meiner Familie eigentlich falsch läuft. “Worauf bist du denn bitte stolz? Darauf, dass ich so tun kann, als wäre ich schlecht im Tennis, damit meine Cousine sich gut fühlt?“, ich klinge entsetzt, was mein Vater jedoch nicht zu bemerken scheint. Lange nicht mehr so fröhlich wie vor dem Spiel, folge ich meinem Vater zu dem Tisch, an dem unsere Familie sitzt und will mich auf einen Stuhl zwischen meinem Vater und meinem Onkel fallen lassen, da drängt mich meine Cousine beinahe schon wie ein Footballspieler weg und wirft sich auf den Platz. Verwundert halte ich mich an der Lehne eines anderen Stuhles fest, um nicht zu stolpern. “Sag mal spinnst du eigentlich?“, meine Stimme zittert vor Wut: “Haben dich deine Eltern irgendwie als kleines Kind hoch geworfen und nicht aufgefangen, oder was?“ Am liebsten würde ich ihr richtig meine Meinung geigen. Während ich jedoch versuche mich zu beruhigen, legt sie noch einen drauf: “Du bist doch nur neidisch, weil ich gewonnen habe.“ Mein Atem bebt vor Wut und ich balle meine Hände fest zu Fäusten, denke mir innerlich jedoch nur, Sie ist es nicht wert sich aufzuregen, Leyla. Du kannst dich auch später noch über sie aufregen. An diese Leitworte halte ich mich, während ich mehrmals tief durch atme und versuche ihre Worte einfach an mir abprallen zu lassen. Wieder ein wenig entspannter, lasse ich mich auf einen anderen Platz fallen und stütze meinen Kopf in die Hände, während der Schweiß mir langsam über den Rücken zu laufen beginnt. Sobald wir den Club wieder verlassen haben, muss ich unbedingt unter die Dusche springen. Gelangweilt zupfe ich an meinem weißen Tennisrock herum und warte darauf, dass der Besuch hier schnell zu Ende geht, während mein Dad einen Kellner herruft, um sich etwas zu essen zu bestellen.
“Das Übliche, Miss Gilbert?“, der Kellner lässt mich den Kopf heben. Ich erkenne ihn sofort. Es ist einer der Angestellten, mit denen ich mich, als ich noch hier gelebt habe, immer gut verstanden habe. Meine Eltern scheinen davon überrascht zu sein, sagen dazu jedoch nicht. “Klar, gerne“, bestätige ich ihm und schenke dem hochgewachsenen Mann ein freundliches Lächeln. Unter ‘dem Üblichen‘ verstehen wir beide grünen Tee und ein Croissant mit Butter. Nichts Besonderes halt. Auch die Anderen bestellen sich Frühstück, doch Melissa tanzt mal wieder aus der Reihe und verlangt nach einem Steak und Rotwein.
“Wann fliegst du eigentlich zurück nach Seattle?“, fragt mein Onkel, der mir gegenüber sitzt, mich interessiert. “Übermorgen“, erwidere ich in Gedanken an mein Essen: “Schließlich will ich rechtzeitig vor Beginn des Semesters zurück sein und mich auch noch ein wenig vorbereiten.“ “Schade, sicher hätten wir gemeinsam noch schöne Zeit miteinander verbringen“, fast klingt er träumerisch. Ein Blick zu meinem Vater, sorgt dafür, dass ich mich beherrsche und mit zusammen gebissenen Zähnen antworte: “Ja, das wäre wirklich schön gewesen, aber ich habe meinem Mitbewohner versprochen ihm zu helfen.“ Das ist zwar eine kleine Lüge, aber erfahren muss das ja keiner. “Wie geht es Elijas eigentlich?“, fragt meine Mutter nun. Überrascht davon, dass sie sich für mein Leben in Seattle interessiert, hebe ich eine Augenbraue: “Gut, momentan macht er echt Karriere.“ “Das freut mich für ihn“, das warme Lächeln auf ihren Lippen habe ich schon lange nicht mehr gesehen: “Wir möchten dir übrigens jemanden vorstellen.“ Misstrauisch sehe ich sie an: “Okay und wen, wenn ich fragen darf.“ Mit den Zähnen knirschend sehe ich zu, wie mein Vater sich umdreht und einen Mann, der an einem anderen Tisch sitzt, zu sich herwinkt.
Sein volles schwarzes Haar fällt ihm in die grünen, unecht wirkenden Augen, mit denen er mich eindringlich mustert. Unter meinem Blick fühle ich mich wie ein Gegenstand im Museum, von dem er jede kleinste Stelle zu erfassen versucht. Mit der rechten Hand streicht er über seinen schwarzen Drei-Tage-Bart, während er langsam aufsteht und auf unseren Tisch zu kommt. Der Gang des Mannes wirkt vollkommen selbstbewusst und könnte vielleicht sogar ein Anzeichen für ein großes Ego sein.
Mittlerweile kann ich die Typen, die meine Eltern anschleppen relativ gut einschätzen, da es nicht das erste Mal ist, dass sie irgendeinen Kerl anschleppen, um ihn mir vorzustellen. Warum genau sie das tun, haben sie mir nie gesagt, aber ich kann es mir schon fast denken. Sie wollten schon immer, dass ich schnell einen Freund finde, heirate und Kinder bekomme, genauso wie sie wollten, dass ich Anwältin werde, wogegen ich mich jedoch auch erfolgreich wehren konnte. Das ist auch der Grund, weshalb unser familiäres Verhältnis so zerbrochen ist.
Der Mann setzt sich auf den letzten freien Platz am Tisch und hält mir seine Hand hin: “Hey, ich bin Holden Ward.“ Diese Vorstellung klingt so einstudiert, dass ich ziemlich beherrschen muss nicht genervt auf zu stöhnen. Die Typen werden ja mit jedem Mal schlimmer. “Holden ist der Sohn eines Geschäftsfreundes unserer Kanzlei und lebt sogar zufällig, genau wie du, in Seattle“, flötet meine Mutter freudig, während ich mich am liebsten verdrücken würde, denn die Tatsache, dass er auch in Seattle lebt, ist sicher kein Zufall. Meine Eltern glauben nämlich nicht an Zufälle und haben mir immer gesagt, dass ich es auch nicht tun soll. “Das ist ja … schön“, zu einem Lächeln kann ich mich nicht durchringen, sondern starre ihn einfach weiter ausdruckslos an. Die ganze Situation ist mir schrecklich unangenehm, weshalb ich schon wieder beginne an meinem Rock herumzuspielen. “Er geht sogar auf die gleiche Uni wie du“, ergänzt mein Vater und grinst Holden freudig an. Was auch sonst, schreie ich innerlich fast, antworte aber lieber mit einem hohen Maß an Sarkasmus: “Willst du mir gleich seinen ganzen Lebenslauf geben, Mom. Den hast du dir doch sicher heute bevor wir losgefahren sind ausgedruckt.“ Blöderweise versteht meine Mutter nicht, dass ich das nur teilweise ernst meine: “Was denkst du denn von mir, Schatz? Ich bin doch kein Stalker.“ Das ich daran zweifle, würde mir wohl niemand wirklich vorwerfen, wenn er meine Eltern kennt. Anstatt weiter mit meiner Mutter zu diskutieren, starre ich lieber Melissa an, die ihren Blick beinahe kaum von dem Typen vor ihr abwenden kann, was mich ziemlich stutzig macht. Schließlich hat sie schon seit einigen Jahren einen Freund. Beinahe fasziniert leuchten ihre Augen bei Holdens Anblick wofür ich sie am liebsten unter dem Tisch treten würde, denn ihr fester Freund ist echt okay und er ist der Einzige, den sie so ansehen sollte.
“Leyla? Hast du mir zugehört?“, fragt meine Mutter mich plötzlich und wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. Verwundert blinzele ich mehrmals und schüttele überrascht den Kopf. Irgendwann hatte ich einfach aufgehört ihr zuzuhören, was mich nun teuer zu stehen kommen wird: “Was hast du gesagt?“ “Leyla! Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede“, schimpft meine Mutter leicht. “Tut mir leid, Mom“, entschuldige ich mich mit einem semischlechten Gewissen: “Kannst du es bitte nochmal wiederholen?“ “Deine Mutter hat vorgeschlagen, dass wir uns mal treffen könnten, wenn wir wieder zu Hause sind?“, fragt Holden amüsiert von meinem Fauxpas. “Was?“, ich klinge so entrüstet, wie ich mich fühle. Meine Mutter versucht echt alles, um mich mit irgendwem zu verkuppeln. Wütend starre ich zu meiner Mutter, doch Dad wirft mir einen vielsagenden Blick zu. Genervt drehe ich die Augen und reiße mich zum wahrscheinlich tausendsten Mal für meine Eltern zusammen: “Wenn das unbedingt sein muss, können wir uns treffen.“ “Bekomme ich dann deine Nummer?“, fragt er und zwinkert mir zu. Die Geste bringt mich beinahe zu kotzen, doch notgedrungen sage ich nach wenigen Sekunden doch “Ja“ und gebe ihm mein Handy, damit er meine Mutter speichern kann. Das Gefühl, dass es doch ein Fehler war meine Eltern in Chicago zu besuchen, wird immer stärker. Seattle ist jetzt einfach mein Zuhause und daran können selbst sie nichts ändern!
Da ihr euch bei dem ein oder anderen Namen in diesem Buch vielleicht “wie zur Hölle spricht man den aus?“, denken werdet, ist hier für euch die Erklärung.
Schreibweise⬇ Aussprache⬇
Kena - Kiena oder Käna
Kayl - Käil
Leyla - Leyla oder Layla
Lane - Läin
Bree - Brie