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“Wieso riecht es hier nach Fleisch?“, platzt es aus mir heraus, als mir ein starker Geruch beim Öffnen der Wohnungstür entgegenschlägt. “Tut es nicht“, versucht er sich kläglich zu verteidigen. Skeptisch wandern meine Augenbrauen in die Höhe: “Hast du etwa wieder dieses stinkende Fleisch gegessen, während ich weg war?“ Meinem Blick ausweichend, rollt er meine Koffer in die Wohnung: “Das ist doch das erste Mal seit langem, dass ich mal die Chance dazu hatte. Warum sollte ich die nicht nutzen?“ Ich verdrehe unbemerkt die Augen, als er gerade das Gepäck in mein Zimmer bringt, und öffne dann die Fenster, weil dieser Geruch und die stickige Luft mir langsam Kopfschmerzen machen. Hat er etwa noch nie was vom Lüften gehört?
Sofort strömt mir heiße Luft entgegen, die im Vergleich zu der hier drinnen allerdings fast kalt wirkt. Dann schlendere ich in die Küche zurück, um mir etwas zu Essen zu machen.
Schwungvoll öffne ich den Kühlschrank und stelle fest, dass das Innere, entgegen meiner Erwartungen, nicht komplett leer ist. Überraschenderweise ist er sogar verhältnismäßig voll, anstatt nur Bier und Tiefkühlpizzen zu enthalten, womit ich eher gerechnet hätte.
Ich strecke meine Hand nach einer Dose Cola aus, doch bevor sich meine Finger wirklich fest um die kalte, rote Hülle schließen können, ertönt ein lautes Räuspern hinter mir.
Vor Schreck fahre ich herum und beinahe wäre mir das Getränk aus der Hand gefallen. Bevor das geschehen kann, fange ich es, von meinen eigenen Reflexen überrascht, mit der anderen Hand auf. “Wieso erschreckst du mich so?“, ich klinge empört, während ich mit einem lauten Zischen die Dose öffne und zu sehe, wie die Kohlensäure wild aus der Öffnung sprudelt.
“Du wirst heute auf keinen Fall irgendwas kochen.“ “Was dann?“, in meiner Stimme schwingt Verwirrung mit, als ich einen Schluck der süßen Flüssigkeit im Gefäß, dass ich in den Händen halte, nehme. Das ist genau die Erfrischung, die ich gebraucht habe. “Wir bestellen“, der Schwarzhaarige wedelt mit einer ‘Pizza Hut‘ – Karte vor meiner Nase herum. Damit bin ich hingegen gar nicht einverstanden. “Warum? Kochen geht in dieser Stadt genauso schnell wie da …“, ich deute auf die Karte: “ …irgendwas zu bestellen.“ “Hey, keine Widerrede“, er packt mich sanft am Handgelenk und zieht mich aus der Küche: “Nachdem du so lange geflogen bist, lasse ich dich keinen Fuß mehr in die Küche setzen, sonst fackelst du noch irgendwas ab. Und das Essen von ‘Pizza Hut‘ schmeckt sowieso besser.“ An unserem cremefarbenen Zwei-Personen-Sofa angekommen, drückt das Malemodel mich sanft in die Polster und wirft mir eine Decke zu, die ich sofort weiter aus den Sessel neben mir werfe. Schließlich ist es viel zu warum dafür. “Erstens bin ich gar nicht müde“, beginne ich zu argumentieren: “Und zweitens sind meine Kochkünste gar nicht schlecht.“ Als Antwort zieht er nur eine Augenbraue hoch und lässt sich dann neben mich fallen. “Was?“, bohre ich nach. “Erstens verträgst du Flüge gar nicht gut“, er acht eine Kotzgeste: “Und zweitens kochst du nicht schlecht, sondern grauenhaft.“
“Wow, von Taktgefühl hast du wohl in deinen bisherigen zweiundzwanzig Lebensjahren noch nie was gehört“, ich schenke ihm einen gespielt beleidigten Blick und verschränke die Arme vor der Brust. “Sagst ausgerechnet du“, vorwurfsvoll blickt er mich an. Da muss ich ihm irgendwie recht geben. “Nur im Bezug auf ein paar Menschen bin so“, verteidige ich mich selbst und ärgere mich ein wenig die Cola nicht stehen gelassen zu haben, denn die Kälte tut meinen Zähnen nicht so gut. “Damit beziehst du dich dann wohl auf deine ganze Familie“, ein bereits, belustigtes Grinsen hat sich auf seine Lippen geschlichen. “Nicht ganz, Rasmus mag ich zum Beispiel“, werfe ich ein. “Das ist doch der kleine, blonde Cousin, richtig?“, mit der Hand versucht der Mann zu markieren für wie groß er den Jungen hält und spricht weiter, als ich nicke: “Apropos Familie. Wie war es eigentlich in Chicago? Hast du dich benommen?“
“Mehr oder weniger“, gebe ich ehrlich zu. Skeptisch mustert Elijas mich: “Eher mehr oder eher weniger.“ “Eher weniger“, zu Elijas bin ich, was mein Leben angeht, in der Regel ehrlich. Schließlich kennt er mich besser als jeder Andere und gelegentlich sogar besser als ich mich selbst. “Warst du fies zu irgendwem?“, sein Blick wirkt analysierend. “Nicht als Erste“, entgegne ich. Nun wirkt der Schwarzhaarige ehrlich interessiert: “Gut, dann raus mit der Sprache. Ich will alles wissen. Selbst die schmutzigen Details.“ Dann erzähle ich dir am besten die Sachen vom Tennisplatz. Da ist der Dreck buchstäblich geflogen“, spaße ich, ihn in die Seite knuffend. Er sieht mich amüsiert an: “Okay, jetzt musst du wirklich mit der Sprache rausrücken.“
Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass ich mich wieder schrecklich aufregen werde, wenn ich von der Sache im Club zu erzählen anfange, beschließe ich das nicht auf leeren Magen z tun. Mein Magen, der mir ein lautes Knurren schickt, unterstützt diese Entscheidung nur noch mehr. “Ich will erst bestellen“, grinsend schnappe ich ihm die Karte aus der Hand. Eigentlich mache ich das ein wenig, um ihn zu ärgern, doch obwohl ich es nicht unbedingt zugeben würde, habe ich wenig Lust darauf, ihm von meiner Familie zu erzählen. Generell stört es mich immer zu hören, dass andere so tolle Eltern haben, die immer für ihre Kinder da ist, während meine Familie immer nur nach außen hin makellos sein muss und das auch von mir erwartet hat.
Das ist auch der Grund dafür, dass ich weggezogen bin und fast keinen Kontakt zu meiner Familie habe. Deshalb regt es mich auch so auf, wenn meine Eltern irgendwelche Typen anschleppen, die mich wieder auf den ‘richtigen Weg‘ bringen sollen. Wahrscheinlich werde ich Elijas deshalb auch nur von den neusten Geschehnissen erzählen und meinen Unmut nicht mit alten Geschichten weiter schüren. Ehrlich gesagt möchte ich ihm nur von Holden und auch ein bisschen von Melissa erzählen, anstatt von den Tagen, die ich nur mit Mom und Dad verbracht habe.
“Das ist nicht fair“, er verschränkt die Arme vor der Brust: “Du hast erst mein Interesse geweckt und lässt mich dann zappeln.“ “Bitte. Du hörst doch selbst wie mein Magen sich beschwert“, bitte ich dieses Mal ganz ernst. Sein Blick sagt mir, dass er sich geschlagen gibt, als er die Augen missbilligend verdreht: “Na gut, dann will ich aber auch was haben und wenn, du dein Essen hast, erzählst du mir von Chicago.“ Auch ich gebe nach: “Einverstanden, aber ich werde dir nicht alles, was in den Tagen passiert ist, als ich mit meinen Eltern allein war, nicht erzählen. Das wären nur die üblichen Beschwerden.“ “Das heißt, dieses Mal ist etwas anders?“ “Ja, meine Eltern haben mal wieder Scheiße gemacht“, gebe ich notgedrungen zu.
Nach einem ausgiebigen Blick in die Speisekarte, habe ich mich endlich für ein Gericht entschieden:“Ich glaube, ich nehme einfach eine Salamipizza. Ganz klassisch halt. Und du?“ “Spinat!“ “Was?“ “Ich nehme eine Spinatpizza.“ Instinktiv verziehe ich das Gesicht: “Ihh, du verarscht mich doch.“ “Nein, wenn es um Pizza geht, macht man keine Witze. Das ist mein voller Ernst“, er klingt erschreckend ernst. Mich ergebend, hebe ich die Hände: “Sorry, die Pizza kommt sofort.“ Damit er es mir nicht übel nimmt, dass mir bei dem Gedanken an sein Essen mein Sandwich von heute Morgen wieder hochkommt, greife ich nach dem Telefon. Wenn es um Pizza geht, hat er nämlich wirklich keinen Humor.
Während ich zu bestellen beginne, kann ich allerdings plötzlich nicht mehr aufhören an den Country Club und Holden zu denken. Um das Treffen mit ihm werde ich wohl kaum herumkommen.