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Die Lichter der Skyline von Seattle werfen Schatten durch die dunkle Nach hindurch in mein Schlafzimmer und züngeln über die Decke über meinem Kopf. Schon seit geraumer Zeit – ich kann wirklich nicht sagen wie lange – starre ich an diese und betrachte die entstehenden, hellen Muster. Früher hatte es mich immer gestört, dass die Fensterfront zu meiner Linken zu viel Licht durch lässt, doch in dieser Nacht finde ich es einfach nur faszinierend. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass der ganze Tag etwas Außergewöhnliches an sich hatte.
Nach wie vor hellwach, fahre ich mir mit der rechten Hand durch das dunkelbraune Haar und reibe mir die grünen Augen. Die warme Decke habe ich bereits vom Bett geworfen und bewege mich in den weißen Laken unruhig. Frustriert stöhne ich auf. Warum kann ich nicht schlafen?
Zwar muss ich morgen nicht in die Firma fahren, sondern in eine Universität fahren und dort einen Vortrag über unsere Firma und die Aufgaben, die man in so einem Gewerbe hat, erzählen. Wenn ich dann hundemüde bin, ist das aber auch nicht wirklich besser. Mein Vater hat ja wenigstens noch ein wenig Verständnis für meine Situation, wenn ich ihm alles erzähle, während der Dozent sicher nicht so froh über einen halb schlafenden Geschäftsmann ist.
Doch ich kann nichts machen. Diese Frau, auf die ich heute im Club getroffen bin, hat sich in meinen Verstand geschlichen und scheint sich zu weigern diesen wieder zu verlassen. Da sie eine Stripperin ist, bin ich wahrscheinlich nicht der Einzige, der ihr verfällt, doch genau dieser Fakt tröstet mich kaum. Es stört mich, dass so viele betrunkene, wildfremde Männer sie kostenlos angaffen können. Zwar kennt sie mich auch nicht und mit Sicherheit bin ich auch nur ein weiterer Gaffer, doch für mich ist sie nicht nur eine billige Stripperin, sondern eine richtige Frau, die ihr ganzes Geschlecht vom ersten Augenblick an dominiert hat. Wenn mich jemand bitten würde ihm eine richtige Frau zu zeigen, wäre sie die Einzige, die für mich infrage kommen würde, denn sie ist einfach nur perfekt. Dabei kenne ich nicht mal ihren Namen.
Verzweifelt setze ich mich auf und werfe einen Blick auf die blau leuchtenden Ziffern meines digitalen Weckers. Als mir das blinkende Display mitteilt, dass es bereits zwei Minuten nach eins ist, stöhne ich erneut resigniert auf. Das geht gar nicht. Vielleicht sollte ich wirklich auf Schlaftabletten umstellen.
Träge stoße ich mich von der Matratze ab und nehme das halbleere Glas vom Nachttisch. Langsam tapse ich barfuß mit dem schwappenden Getränk in der Hand auf die bodentiefen Fenster zu. Während ich nach draußen starre, nehme ich nach und nach einen Schluck des mittlerweile ziemlich warmen Wassers. Im Hochsommer bleibt eben fast nichts lange kalt. Selbst mein sonst so angenehmes Zimmer.
Mit den Augen folge ich den hellen Scheinwerfern der Autos auf den, selbst zu dieser Zeit noch total vollen, Straßen, die sich langsam durch die Stadt schlängeln. Zu dieser Tageszeit hätte ich wirklich keine Nerven mehr, um auf dem Weg nach Hause im stockenden Verkehr der Metropole fest zu stecken.
Erneut muss ich an die Brünette denken. Mein Blick wandert über die Häuser und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wo sie gerade ist. Sofort habe ich da so ein Gefühl. Das Gefühl, das sie nicht weit weg sein kann. Irgendwo in Seattle ist sie. In einem dieser Hochhäuser liegt sie sicher gerade in ihrem Bett und schläft. Wie gerne ich jetzt bei ihr wäre und sie in den Arm nehmen würde. Mit Sicherheit würde meine Schwester mich als verrückt bezeichnen, wenn ich ihr sowas erzählen würde, aber so ist es nun mal.
In einer Stadt wie Seattle werde ich sie aber mit Sicherheit niemals finden können. Wie soll ich ausgerechnet sie unter mehr als siebenhundert tausend Menschen ausfindig machen? Das ist doch nahezu unmöglich.