Prompt: Walzer (08.07.2020)
Start: 19:30 Uhr
Ende: 20:30 Uhr
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Das Brautpaar steht glücklich in der Mitte.
Ihre Wangen glühen regelrecht vor Glück. Zwei Strähnen haben sich aus ihrer Friseur gelöst und umranden ihr strahlendes Gesicht.
In seinen Augen blitzt es stolz, als könnte er es immer noch nicht glauben.
Beide halten ein Sektglas in der Hand und prosten der Feiergesellschaft zu.
Auch du hebst das Glas, stehst etwas abseits am Rand der Tanzfläche.
Als dann die ersten Klänge des Walzers erklingen und das frisch gebackene Ehepaar den Hochzeitstanz eröffnet, stellst du es ab und lehnst dich an den Pfeiler in deinem Rücken.
Schwungvoll führt er sie an dir vorbei, die Füßen absolut im Gleichklang. Über ihrem Arm hat sie die Schleppe und seine Hand liegt fest auf ihrem Rücken. Die Blicke voller Liebe versetzen dir einen kurzen Stich.
Du schließt die Augen und lauschst auf die Musik, auf die murmelnden Stimmen und das leise Lachen der Gäste. Tief atmest du durch und schlägst die Augen wieder auf. An und für sich müsste jetzt der Brautvater den Bräutigam ablösen, aber es ist dein Vater, der ihr sanft auf die Schulter klopft. Seine stahlblauen Augen blitzen vor Freude, als er die Braut übernimmt.
Sie schmiegt sich vertraut in seine Arme. Er beugt sich zu ihr, flüstert ihr etwas ins Ohr, worauf sie leise kichert. Sicher und gekonnt führt dein Vater sie wieder an dir vorbei, dann zur Mitte hin. Weitere Paare finden sich zusammen und schnell ist die Tanzfläche voll. Du findest es immer wieder erstaunlich, dass niemand mit dem anderen zusammenstößt.
Der Walzer endet und der DJ wechselt zu Foxtrott-Klängen. Deine Mutter ist nun die Partnerin des Bräutigams, die Braut wird an ihren Schwiegervater weitergegeben. Du lockerst die Krawatte etwas und siehst dich weiter um.
Es ist ein wirklich schön her gerichteter kleiner Saal in einem Gewölbekeller. Die Tanzfläche liegt zwei Stufen tiefer. An einer Wand steht das Kuchenbuffet, dort tummeln sich ihre Freundinnen. An der kleinen Bar werden Cocktails gemischt und an den kleinen Tischen sitzen die etwas betagteren Gäste seiner Familie.
Dein Blick wandert zurück zu ihr. Sie sieht unfassbar glücklich aus. Du gönnst es ihr von Herzen. Und es ist an der Zeit für dich zu gehen. Doch ehe du dich davon machen kannst, steht sie auf einmal vor dir, greift nach deiner Hand und zieht dich mit sich.
"Sag nicht, du wolltest mir den Tanz verwehren?", fragt sie. Seufzend übernimmst du die Führung.
"Nochmal herzlichen Glückwunsch", antwortest du leise.
Ausgerechnet jetzt schiebt der DJ einen Kuschelsong ein.
Dir bleibt wenig anderes übrig, als den Abstand zwischen euch zu verringern. Sie schlingt ihre Arme um deinen Hals. Du umgreifst ihre Taille und ihr schweigt einen Moment.
Du kannst die Blicke vom Rand spüren.
Ihr Augenaufschlag verursacht dir beinahe etwas weiche Knie.
"Irgendwann kommt für dich auch die Richtige", meint sie.
Lächelnd legst du den Kopf zur Seite.
Es kommt dir wie eine Ewigkeit vor, dass ihr zusammen gewesen seid. Damals hat es einfach nicht gepasst, vielleicht einfach nur der falsche Zeitpunkt im Leben. Es hat nicht gereicht, aber ihr seid all die Jahre Freunde geblieben.
"Ich freu mich, dass du jedenfalls den Richtigen gefunden hast", sagst du. Das kommt von Herzen, auch wenn die Feier dich melancholisch macht.
Sie sieht dir vielleicht einen Moment zu tief in die Augen, dann senkt sie den Blick.
"Ich bin deinem Vater sehr dankbar. Natürlich auch deiner Mutter. Ein wenig habe ich mich vor dem Tag gefürchtet", gibt sie vorsichtig zu.
Vielleicht drückst du sie jetzt einen Moment zu lang an dich.
"Wir sind deine Familie, Jule. Mama liebt dich wie eine Tochter und Papa hat dich wirklich gerne zum Altar geführt."
Ihre Mundwinkel zucken kurz.
"Er hatte so schöne Worte für mich", berichtet sie. "Du hast wirklich unverschämtes Glück mit den beiden", schiebt sie nach.
Schmunzelnd führst du sie an den Rand, der Song kommt langsam zum Ende.
Ihr steht voreinander und du nimmst sie nochmal in den Arm.
"Ich bin dann weg. Genießt den Abend und die Nacht." Du zwinkerst ihr zu. Sie knufft dich gespielt entrüstet in die Seite.
"Magst du nicht noch bleiben? Hast du schon die Schwestern von Toms Trauzeugen kennen gelernt?"
Du schüttelst den Kopf.
"Lass mal, alles lieb gemeint. Du musst mich nicht verkuppeln. Ich muss morgen früh los und möchte noch ein bisschen allein sein." Verlegen fährst du dir durch die Haare. Aus der Menge taucht der Bräutigam auf, in der Hand zwei Sektgläser.
"Kümmere du dich um deinen Mann", empfiehlst du ihr. Mit einem letzten Blick drehst du dich um, schiebst die Hände in die Hosentasche und setzt dich in Bewegung.
Die kühle Luft tut gut. In deinem Kopf kannst du noch den Walzer hören und siehst die wunderschöne Braut vor deinem inneren Auge. Warum weiß man immer erst viel zu spät, was man an jemandem hatte? So sehr du ihr das Glück gönnst, so sehr du ihren Mann magst, da ist trotzdem eine Wehmut.
Vielleicht, das dämmert dir aber erst als du im Bett liegst, geht es gar nicht um sie konkret. Sondern um das Gefühl, dass da niemand ist, der die Leere in deinem Herz füllt. Die Melodie zieht noch immer Kreise in deinem Kopf und im Traum siehst du das Brautpaar über den Wolken schwebend tanzen.
Doch als sie sich umdrehen haben sie die fröhlichen Gesichter in hässliche Fratzen verwandelt.
Aus ihren Mundwinkeln rinnt Blut, die Augen sind dunkle, leere Höhlen. Sie kommen auf dich zu und ihre knochigen Hände versuchen dich zu greifen.
Spitze Zähne werden entblösst. Du kannst nicht entkommen. Die Musik aber, die endet einfach nicht. Nichtmal, als du mit klopfendem Herzen aus dem Schlaf hochschreckst. Es wird immer lauter, immer schriller.
Entnervt stellst du den Weckton aus und fällst wieder zurück ins Kissen.
Ein Albtraum von einer Hochzeit, das muss dir erstmal jemand nachmachen. Kopfschüttelnd schlägst du schließlich die Decke zurück. Gleich heute noch wirst du diesen Weckton ändern. Von Walzer und Hochzeiten hast du erstmal genug. Und vom Wehmut und der Melancholie auch. Irgendwann, so sagte ja auch Jule, wird alles gut. Und dann tanzt du ins Glück und über Wolken. Ganz bestimmt.