Prompt: Seelensplitter (13.11.19)
Startzeit: 19:25 Uhr
Ende: 20:15 Uhr
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Das Weinen machte ihn rasend. Er musste handeln, irgendetwas tun. Sein Beschützinstinkt lief Amok, ließ ihm gar keine Wahl. Erst bat er sie ruhig, doch sie verhöhnte ihn nur. Seine Hilflosigkeit schlug in Wut um. Jedes Rufen nach ihm, versetzte ihm einen Stich. Ihre Provokationen verfehlten ihr Ziel nicht. Er war kurz davor, alle Hemmungen zu verlieren. Dabei taxierte sie ihn, wie eine Schlange. Erst glaubte er , er habe sich verhört. Unbewusst wurde er laut und begriff erst spät, dass man sie nebenan sehr gut hören konnte. Energisch stieß er sie beiseite, doch auch dieser Raum war nun abgeschlossen. Im gedimmten Licht sah er sie lächeln, als wollte sie ihm sagen, was für ein Narr er doch war. Sie hielt die Zügel in der Hand und es waren ihre Regeln, nach denen hier gespielt wurde. Fast wurde ihm schwarz vor Augen, als er sich der Tragweite dieser Erkenntnis bewusst wurde. Wollte er hier raus und auch das Nebenzimmer öffnen, dann musste er mitspielen. Wie viel würde man durch die Wand hören? Er selbst jedenfalls verstand die kleine Stimme, als würde er direkt daneben sitzen. Jeder Hilferuf, auf den er nicht reagieren konnte, fuhr ihm durch Mark und Bein. Mit ruhigem Ton versuchte er zu beruhigen, doch es war aussichtlos. Die Angst war für ihn greifbar. Und auch seine eigene wurde langsam panisch.
Ihr Lachen klang unangenehm an sein Ohr. Was sie sagte, konnte er nicht verstehen. Da war nur dieses Rauschen. Sein Mund wurde trocken und irgendwie betrachtete er alles von außen. Als wäre er gar nicht beteiligt. Immer noch bewegte sich ihr Mund, während sie auf ihn zu kam und dabei ihre Bluse aufknöpfte. Noch immer konnte er nichts verstehen. Mit jedem Schritt, den sie machte, wich auch er vor ihr zurück. Bis er gegen etwas stieß und stehen bleiben musste. Ihr Grinsen verschwamm zu einer hässlichen Maske, als sie ihn anschubste und er auf dem Rücken landete. Hilflos schloss er die Augen. Das einzige was er noch immer hören konnte, war das Weinen aus dem Nebenzimmer. Er versuchte sich abzuschoten, so gut es nur irgendwie ging. Als sie ihn berührte, konnte er spüren, wie etwas in ihm zerbrach.
Mit zitternden Händen schob er den Schlüssel in das Schloß. Er brauchte mehrere Versuche, sie beobachtete ihn spöttisch vom Türrahmen des anderen Zimmers. Erfolglos redete er sich selbst gut zu, damit er sich etwas beruhigte. Wenige Sekunden später hatte er es endlich geschafft. Der Anblick, der sich auf seiner Seele einbrannte, zerriss ihm fast das Herz. Nur weg, dachte er und war mit einem schnellen Schritt im Raum. So viele Tränen. Minutenlang verharrte er dann doch knieend und versuchte zu trösten, so gut es nur ging. Leise flüsterte er auch auf sich selbst ein. Ihre hämischen Zwischenbemerkungen versuchte er zu ignorieren, doch in der Tat war sein Panzer durchbrochen. Fast jedes Wort traf, als hätte sie ihn nicht genug zerstört. Wortlos kam er in den Stand. Mit letzter Kraft brachte er sich und das Kind in Sicherheit. Sofern es so etwas nun noch gab.
Niemals würde er diese Fratze vergessen, dieses hämische Lachen.
Es hatte sich tief in seiner Seele eingebrannt und er wollte es so gerne vergessen.
Wie eine hässliche Clownsmaske tauchte es jedoch immer wieder vor seinem inneren Auge auf.
Ja, sie hatte gewusst, wie sie ihn erpressen konnte. Hatte ihn an seinem wundesten Punkt erwischt und es eiskalt ausgenutzt. Und noch nicht einmal, weil sie sich persönlich etwas davon versprach, sondern ausschließlich, weil sie ihn zerstören wollte. Natürlich kannte sie ihn gut genug um zu wissen, dass er schweigen würde. Und dass er daran zerbechen könnte.
Die Scham hatte ihn lange im Griff.
Die Wut auf sich selbst.
Er konnte sich nicht verzeihen, dass er sich nicht gewehrt hatte.
Panikanfälle begleiteten ihn.
Wie Splitter hatten sich die Erinnerungen in seine Seele und Herz gebohrt.
Beinahe hätte sie gewonnen.
Viel hatte nicht gefehlt.
Monate des Schweigens.
Momente, in denen er keinen Ausweg mehr gesehen hatte.
Sie hatte etwas in ihm zerstört, aber eine andere hatte es behutsam wieder zusammengesetzt und seine Narben sorgsam gepflegt. Die Splitter langsam und mit Geduld herausgezogen. Die Wunden mit tiefer Liebe verschlossen.
Niemals, so hatte er sich geschworen, würde er ihr die unaussprechlichen furchtbaren Details verraten. Mit etwas Glück, würde das Grauen immer weniger werden. Ganz vergessen würde er es vermutlich nie. Aber mit kleinen Schritten ließen sich schlimme Erinnerungen mit besseren übermalen.
Die Liebe war stärker als der Hass.
Das Vertrauen größer geworden als jede Angst.
Er hatte den Mut wieder gefunden, sich all dem gestellt.
Mit offenem Visier und der Bereitschaft zu kämpfen.
Ja, er war oft gefallen und es hatte viel Kraft gekostet, immer wieder auf zu stehen. Die Verlockung, liegen zu bleiben, war oft riesig gewesen. Manchmal war der Weg zu steinig, die Berge zu hoch, der Fluss zu schnell gewesen.
Immer war da aber dieses Licht gewesen. Mal ganz klein, mal sehr hell. Nicht immer hatte er es gesehen. Doch zu guter letzt hatte es ihn herausgeführt aus diesem Labyrinth des Kummers. Er hatte gelernt, zu vertrauen und sich fallen zu lassen.
Es tat so gut, endlich wieder durchatmen zu können.
Ganz ohne Druck.
Es war unendlich schön, wieder lieben zu können.
Ganz ohne Hast.
Es war ein purer Traum, dass es SIE in seinem Leben gab. Die den Weg mitgegangen, die Berge erklommen und den Fluss mit ihm durchschwommen hatte. Die ihn nie aufgegeben, nie fallen gelassen oder verurteilt hatte. Die seine Launen ertragen, seinen Kummer getröstet und seine Verzweiflung weggeküsst hatte.
Sein Herz lachte wieder.
Die Narben auf der Seele heilten.
Nur noch ganz manchmal tauchte die Fratze vor seinem inneren Auge auf. Nein, vergessen würde er es niemals.
Aber er würde nicht daran zerbrechen.
Sie würde nicht gewinnen. Sie nicht.
Keinesfalls.