Prompt: Ostereier (08.04.2020)
Start: 18:15 Uhr
Ende: 19:00 Uhr
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Gott sei Dank spielt das Wetter mit.
Schon früh lacht die Sonne durchs Fenster, auch wenn es draußen kurz vor Sieben noch recht frisch ist.
Nochmal habe ich mich vergewissert, dass im Kinderzimmer noch alles ruhig ist, dann schleiche ich die Treppe herunter.
Bewaffnet mit einem großen Korb trete ich ins Freie.
Der große Garten ist wie geschaffen für die Ostereiersuche.
Nach einer Weile macht es mir sogar Spaß, mir besonders trickreiche Verstecke zu überlegen. Nicht zu schwer natürlich, aber auch nicht zu leicht.
Sorgfältig notiere ich auf einer App meines Handys, wo genau ich die Süßigkeiten und kleinen Spielzeuge platziere. Nur die letzte, sehr kleine Schachtel, bekommt einen besonderen Platz.
Zufrieden sehe ich mich um. Das wird den Jungen eine ganze Weile beschäftigen. Zurück im Haus fährt frischer Kaffeeduft in meine Nase. In der Küche ist bereits der Tisch gedeckt und ich reiche meiner Mutter die Brötchentüte, die bereits draußen an der Klinke hing. Noch während sie mir eine Tasse reicht, damit ich schon vor dem Familienfrühstück einen ersten Kaffee trinken kann, poltert es auf der Treppe. Fröhlich hüpft mein Sohn auch die letzte Stufe herunter und ignoriert gekonnt meine hochgezogenen Augenbrauen.
"Du sollst die nicht so übermütig herunterspringen", ermahne ich ihn bestimmt zum hundertsten Mal.
"War der Osterhase schon da, Papa?", fragt er anstatt einer Antwort. Sein Blick wandert aufmerksam durch die Diele. Schmunzelnd beobachte ich, wie er vorsorglich unter den Garderobenschrank linst.
Dann wandern seine Augen weiter zum Regenschirmständer. Das hat er sich also gemerkt. Letztes Jahr hatten wir dort den großen Schokohasen versteckt.
"Komm erstmal frühstücken. Die Oma wartet schon."
Auffordernd halte ich ihm meine Hand hin.
"Aber die Mama ist noch oben" meint er und stellt sich vor dem Schlüsselschränckchen auf die Zehenspitzen.
"Die kommt auch gleich", verspreche ich ihm und endlich folgt er mir in die Küche.
Am Tisch ist er dann erwartungsgemäß unruhig. Weder mein Vater noch meine Frau bekommen ihn dauerhaft abgelenkt. Und endgültig vorbei mit der Geduld ist es dann, als mein Bruder in der Küche auftaucht. Grinsend steht er in der Tür und hält ein Schokoladenpapier in der Hand. Augenscheinlich kaut er auf dem Inhalt herum.
"David, ich glaube, der Osterhase hat alles im Garten versteckt. Jedenfalls bin ich dort auf dieses leckere Marzipanei gestoßen."
Der Kleine rutscht vom Stuhl und ich rolle kurz die Augen.
Wahrscheinlich hat mich Martin von der Terrasse seiner Einliegerwohnung beobachtet. Immerhin hält er meinen Sohn aber auf, als er ungestüm aus der Küche laufen möchte.
"Na gut, dann lass uns nachschauen", meint meine Herzdame und zieht mich mit sich.
David ist clever, das muss man ihm lassen.
Nach nur zehn Minuten hat er schon ordentlich gesammelt und tatsächlich noch nichts genascht. Er möchte erst wissen, was er alles bekommen hat. Besonders freut er sich über das Feuerwehrauto, dass ich in der Hecke versteckt habe. Kurz darauf über die passenden Spielfiguren, die meine Eltern spendiert haben. Isabelle begleitet ihn durch den Garten und packt die Schätze sorgfältig in den Korb, mit dem ich sie vor zwei Stunden herausgebracht habe. Ich hake ein Versteck nach dem anderen ab. Martin war so nett und hat mir verraten, wo er auf das Marzipan gestoßen ist. Ich schließe die App und will gerade etwas sagen, als mir mein Bruder zuvor kommt.
"Ne, ne, du bist noch nicht fertig, David!", ruft er ihm zu. Verwirrt sehe ich ihn an. Er zuckt mit den Schultern und lenkt seinen Neffen mit "kälter" und "wärmer" durch den Garten. Bis er vor einem Baum steht. Jetzt begreife ich langsam. Mein Sohn aber, der steht fragend vor dem Stamm und runzelt die Stirn.
"Als ich so alt war wie du jetzt, da hat mir mein Opa ein besonderes Geschenk gemacht. Später hat es auch dein Papa benutzt und heute gebe ich es an dich weiter." Martin ist mit langen Schritten zu meinem Sohn gegangen und zeigt nach oben. Der Blick des Jungen folgt ihm.
"Ein Baumhaus!", quietscht er begeistert.
Nun hat er Martins ungeteilte Aufmerksamkeit, der gerade mit einem gezielten Griff die Leiter herunterzieht.
Dann hilft er dem Fünfjährigen beim Klettern und verschwindet mit ihm.
Ich sehe kurz zu meinen Eltern, die auf der Hollywoodschaukel sitzen und einen Kuss tauschen. Das erinnert mich an mein letztes Geschenk.
Ich greife nach Isabelles Hand und gehe mit ihr ein paar Schritte weiter.
"Was hast du vor?", will sie wissen.
"Hier ist es lauwarm", meine ich mit einem Lächeln.
"Okay", antwortet sie und sieht sich um.
Ein Schritt nach links.
"Wärmer."
Noch einer nach links.
"Wärmer."
Sie steht direkt vor dem Rosenstock.
Noch ein Schritt.
"Warm."
Schmunzelnd geht sie vor der roten Rose in die Hocke.
"Heiß", kommentiere ich.
"Die wunderschöne Rose?", fragt sie,
Kopfschüttelnd sehe ich ich zu, wie sie den Boden abtastet.
"Sehr heiß", murmle ich.
Triumphierend hält sie die Geschenkpackung in den Händen, die wie ein bunt bemaltes Osterei aussieht.
"Was ist da drin? Ist das alles Schokolade?"
Ich zucke betont lässig die Schulter.
"Schau nach."
Meine Stimme ist etwas heiser.
Neugierig dreht sie das Ei auseinander.
Über ihr Gesicht huscht ein Staunen, dann nimmt sie die silberne Kette langsam heraus. Am Ende baumelt ein kleines Medaillon.
Sie sieht mich kurz an, dann öffnet sie es.
Die beiden Portraits habe ich vor ein paar Wochen machen lassen und David das Versprechen abgerungen, dass er nichts verrät.
Nun betrachtet Isabelle die kleinen Fotos und kommt langsam wieder in den Stand.
"Das ist wunderschön", murmelt sie.
Sie befühlt die Kette und klappt das Medaillon wieder zu.
"Elli hat sie früher getragen", erkläre ich.
Dabei nehme ich ihr das Schmuckstück erst aus der Hand, dann lege ich es ihr um.
Es steht ihr, wie nicht anders zu erwarten war, mehr als gut.
Als sie mich küsst, rückt das Lachen und Rufen meines Sohnes weit in den Hintergrund.
Erst als wir uns voneinander lösen kann ich hören, was er ruft.
"Papa, darf ich heute im Baumhaus schlafen?".
Lachend sehe ich meiner Verlobten in die Augen.
Was ein glücklicher Ostersonntag.