Prompt: Glühwein (01.12.19)
Startzeit: 18:00 Uhr
Ende: 18:59 Uhr
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Der Weihnachtsmarkt ist fast ein bisschen niedlich.
Er findet zum ersten Mal statt und die Dorfgemeinschaft ist furchtbar stolz darauf. Und ganz sicher ist fast das ganze Dorf auf den Beinen, die Stimmung ist gut und hat definitiv ihren Höhepunkt erreicht.
Ich sehe mich suchend um. Den Wagen habe ich ziemlich unerlaubt vor der Apotheke abgestellt und hoffe, dass ich einfach zügig wieder gehen kann.
Suchend banne ich mir meinen Weg durch das Gewusel.
Passe auf, dass ich mit meinem Bauch nirgends anstosse.
Der Markt ist nicht groß.
Etwa zehn Buden, die Holzspielzeuge und Deko anbieten, drei Handarbeitsstände, ein Grill, zwei Glühweinhütten und der obligatorische Mandel- und Schokofrüchteverkauf. Am Nachmittag habe ich hier für David eingekauft, der ganz wild auf das Kinderkarussell war. Endlich kann ich Martin entdecken, der als Gemeinderatsmitglied selbstverständlich Dienst schiebt. Gott sei Dank an einem der Glühweinstände.
Er hat mich auch gesehen und winkt mir aufgeregt zu.
"Komm", raunt er mir zu und führt mich um den Wagen herum.
Ich muss dann ein bisschen lachen, als ich Jan entdecke. Der steht mit seinem besten Freund an einem runden Tisch und schwankt bedenklich. Martin schüttelt verärgert den Kopf.
"Die beiden haben es wohl ein bisschen zu gut gemeint."
Jan strahlt seinen älteren Bruder an und verzieht seinen Mund.
"Nu schimpft doch nich so", nuschelt er.
Neben ihm nickt Alex eifrig.
"Es war halt lecker", meint er fröhlich.
Vor etwa drei Stunden haben wir die beide Männer allein zurückgelassen. Sie wollten noch einen letzten Glühwein trinken, während wir mit den Kindern dem Heimweg antraten. Offenbar haben sie die Zeit effektiv genutzt. Vor zwanzig Minuten hat mich ein Schwager angerufen, weil er fürchtet, dass die beiden ansonsten nie mehr aufhören und den Weg nach Hause nicht finden.
Jan zieht mich in seine Arme und drückt mir etwas unbeholfen einen Kuss auf die Schläfe. Ich habe ihn in den letzten zwei Jahren nie wirklich betrunken erlebt. Neben uns kichert Alex albern, den habe ich bisher ausschließlich seriös erlebt. Das einzige Mal, das beide etwas mehr getrunken hatten, war unsere Hochzeit gewesen. Ich schiebe Jans Arm von mir und mustere ihn. Seine Augen glänzen verdächtig und er betrachtet betrübt seinen Becher.
"Is leer", stellt er fest.
"Das ist auch ganz gut so. Ich schlage vor, wir gehen jetzt zum Auto und fahren Alex heim."
Jan schüttelt den Kopf und erklärt mir, dass er nicht mehr fahren kann.
Ich bin fast ein bisschen erleichtert.
"Komm, trink einen mit uns", bittet Alex und zieht seine Geldbörse aus der Hosentasche.
Ich deute auf meinen Bauch.
"Keine gute Idee. Nächstes Jahr vielleicht."
Alex nickt wissend und fixiert den Weg zur Hütte.
Ehe ich ihn abhalten kann, schwankt er auf die Ausgabe zu.
Martin zieht die Augenbraue hoch, als Alex nuschelnd drei Becher Glühwein bestellt.
Ich lasse Jan am Tisch zurück und eile Alex hinterher. Ziehen ihn am Ärmel, bis er sich langsam zu mir umdreht.
Er mustert mich nachdenklich.
"Komm, ihr habt beide genug. Ich fahre dich zu Heike", schlage ich vor.
"Heike!" Alex strahl mich an. Immerhin, der Name seiner Frau führt zu einer gewissen Begeisterung. Er folgt mir, ohne weiteren Glühwein, zurück zu Jan. Der hält sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest.
Seufzend denke ich nach. Niemals bekomme ich die beiden alleine zum Auto. Selbst wenn ich nicht schwanger wäre.
"Schaaaatz?" Fragend sehe ich Jan an. "Der Boden schwankt." Er legt seine Stirn in Falten und kommt zu einem Ergebnis. "Erdbeben!", ruft er. Alex lacht prustend los. Ich sehe mich nach Martin um. Der ist mit ein paar längen Schritten bei mir. Gemeinsam schaffen wir es irgendwie, die beiden Saufkumpanen zur Apotheke zu lotsen. Beide rutschen mit etwas Mühe auf die Rücksitzbank. Ich bedanke mich bei Martin, der mir zwinkernd empfiehlt, einen Eimer in Jans Nähe aufzustellen.
Ehe ich mit der kostbaren Fracht losfahre, wähle ich Heikes Nummer und kündige ihren betrunkenen Mann an.
Die beiden kichern noch ein wenig, dann schlafen sie auf der kurzen Strecke tatsächlich ein.
Ich sehe noch zu, wie Heike mit ihrem Mann in dessen Elternhaus verschwindet, dann rolle ich langsam die wenigen hundert Meter weiter zum Hof von Jans Familie. Paul hat auf mich gewartet und er übernimmt es, Jan in den Kotten zu manövrieren. Jan beteuert ihm mehrfach, dass er ihn sehr liebt und ihm bitte nicht böse sein soll.
Als der Mann, den ich liebe, endlich auf dem Bett angekommen ist, lässt er sich rückwärts in die Kissen fallen. Schmunzelnd verabschiedet sich Paul und rät, Jan noch ein Aspirin und reichlich Wasser einzuflössen.
Leichter gesagt als getan.
Doch endlich liegt er unter der Decke und schnarcht leise.
Ich streiche ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und schenke ihm einen letzten Kuss.
Trotz allem ist es nach wie vor schön, Jan unbeschwert zu erleben. Und dann darf er gerne auch wenig zu viel Glühwein trinken. Morgen wird er es bereuen, aber heute hatte er Spaß mit seinem Freund. Einfach mal ohne Probleme.
Ich kuschle mich ebenfalls ins Bett und verzeihe ihm das Schnarchen.
Mitten in der Nacht werde ich wach.
Es brennt Licht im Bad und es ist nicht schwer zu erraten warum.
"Na, war der letzte Glühwein schlecht?", frage ich, als Jan wieder ins Bett kriecht. Er stöhnt leise und duftet verdächtig nach Zahnpasta.
"Erinnere mich daran, dass in unseren Kindern jeglichen Alkohol verbiete bis sie ungefähr 40 sind. Insbesondere Glühwein. Das ist Teufelszeug."
Ich kann nicht anders, ich muss laut lachen.
"Wetten, dass er dir übermorgen wieder schmeckt?"
Neben mir schnauft es.
"Niemals!"