Prompt: Fernweh (29.07.2020) - nachgeschrieben 30.07.2020
Start: 21:00 Uhr
Ende: 21:50 Uhr
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Der Wind zerrt an mir. Ungemütlich bläst er mir ins Gesicht, wirbelt mir durch die Haare.
Ich stehe am Ufer, die Wellen peitschen gegen die vorgelagerten Steine, es schäumt. Ein Blitz entlädt sich am Himmel, irgendwo grollt der Donner. Das kleine Ruderboot wird vom See gegen den Steg geschlagen, Regentropfen prasseln hart herunter.
Der Geräusch der Baumwipfel klingt wie ein leises Heulen. Es verschluckt meine eigene Stimme und ich kann gar nicht mehr einordnen, ob es nun meine Tränen oder der Regen sind, die mir unaufhörlich über die Wangen laufen.
Manchmal tut es so unglaublich weh, die Sehnsucht nach dir frisst mich auf. Das Fernweh an den Ort, den dem du jetzt bist, bleibt ungestillt und lärmt in meinem Herz. Ich will zu dir. Dich spüren, riechen, halten. Ich will bei dir sein. Deine Hand halten, deine Lippen küssen, dich festhalten. Niemals los lassen, nie gehen lassen.
Aber du bist weg, so weit weg. Mein Verstand kann und will nicht verstehen, dass du unerreichbar bist, dass du nur noch eine schemenhafte Erinnerung sein wirst. Ich will das nicht. Ich kann das nicht. In mir schreit alles nach dir. Doch ich kann es niemandem sagen, es nicht einfach herausschreien und auf eine Lösung hoffen.
Der Donner folgt jetzt schneller auf den Blitz. Dessen Licht spiegelt sich für Sekunden auf der dunklen Wasseroberfläche. Wie eine hässlich grinsende Fratze, die mich verhöhnt. Wieder knallt das Boot gegen das Holz, lange hält das Tau vermutlich nicht mehr stand. Der Boden ist längst aufgeweicht, beinahe moorig. Ich wünsche mir, es würde mich mich einfach verschlucken, in die Tiefe ziehen und nie wieder freigeben.
Warum?
Warum du, warum nicht ich?
Ohne Dich ist da nur noch Dunkelheit, meine Seele kennt kein Licht mehr.
Es wird nicht aufhören, weh zu tun. Der fehlende Abschied hat einen grauen Schleier hinterlassen, mich vollkommen zerrissen. Mir blieb nur das Warten, ein letzter Funken Hoffnung, der sehnsüchtige Wunsch dir zu folgen. Aber wie soll ich dich finden in diesem Meer im Himmel?
Du hast mir mein Herz so oft gebrochen. Es liegt vor mir wie ein unlösbares Puzzle. Und ich kann es nicht zusammensetzen, weil du entscheidende Teile mitgenommen hast. Mit auf deine Reise, die doch unsere war.
Wirst du dort warten, in der Ferne, mir deine Hand und die Teilchen entgegenstrecken oder bist du verschwunden im Nebelmeer? Kann ich mich auf den Weg machen oder ist es sinnlos?
Ich sehne mich nach Licht, nach Luft zum Atmen, nach einem Zeichen. Nach dir. Nach uns.
In mir ist nur noch Stille, Taubheit.
Du hast es mitgenommen. Die Töne, das Fühlen. Das Lachen und die Zuversicht.
Gleichzeitig treffen sich Blitz und Donner. Zuckend entlädt sich die Natur in einer Birke, teilt sie in zwei Hälften. Es kracht, fährt mir durch Mark und Bein. Das kleine Boot treibt führerlos und unkontrolliert umher. Seewasser schwappt über die Böschung, versickert um meine Füße im Schlamm. Es kommt mir vor, als würde das Unwetter die Wut in mir aufzeigen. Es ist nicht so, dass ich einfach nur unendlich traurig bin.
Ich bin wütend, enttäuscht, verletzt, verzweifelt.
Es war unser gemeinsames Fernweh nach einer anderen Welt und nun bist du einfach vorausgegangen. Lässt mich mit den Trümmern zurück. Es tröstet mich nicht, dass du es so nicht gewollt hast. Es hilft mir nicht, dass es nicht mehr dein Wunsch war.
Ohne dich leben, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Und doch schaffe ich es nicht diesen Schritt zu gehen. Selbst dafür fehlt mir ohne dir der Mut. Ohne dich bin ich hilflos, unvollständig, unverstanden.
Kann man das heilen?
Wird es besser, diese Sehnsucht, das Fernweh?
Kann man das reparieren?
Wird es besser, dieser Schmerz, diese Wut?
Kann ich dich vergessen?
Wird es gehen, ohne dich?
Kann ich leben?
Der Wind wird weniger.
Die Wellen ruhiger.
Die Blitze verschwinden, der Donner folgt ihm.
Sie ziehen weiter.
Nur ich stehe noch am Ufer, nass bis auf die Haut.
Zitternd und bebend und verstehend.
Ich schreie so laut ich kann, brülle den Kapriolen hinterher.
Nehmt mich mit!
Bringt mich zu ihr!
Doch stattdessen sinke ich auf die Knie.
Du bist weg.
Und du wirst nie mehr zurückkommen.
Ich muss bleiben.
Und werde dich nie vergessen.