Prompt: Secret Santa (22.12.19)
Startzeit: 19:00 Uhr
Ende: 19:58 Uhr
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Folge deinem Herzen, es wird dir eine Heimat schenken und leuchtet dir den Weg. Du weißt, dass die Lösung manchmal näher ist, als du glaubst. Besinne dich darauf, wer du bist, woher du kommst, was dich geprägt und zu dem Menschen gemacht hat, der du heute bist. Die wertvollste Bühne ist das eigene Zuhause. Du musst sie nicht suchen, du trägst es in dir. Du weißt es. Dort, wo du dich vollständig fühlst, da lasse deine Seele ankommen und ruhen.
Ich betrachte die Zeilen und die Karte erneut.
Es ist unheimlich, fast ein Deja vue.
Ich kenne sie, kenne sie sehr gut.
Das kleine Päckchen hat unter dem Weihnachtsbaum gelegen. Mein Name steht auf dem kleinen Geschenkanhänger, in Druckbuchstaben. Sie sehen fast aus, als wären sie nicht handschriftlich geschrieben worden. Ich runzle die Stirn. Drehe die Karte in meinen Händen und mustere die Vorderseite. Dabei beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Ich kenne den Ort, der abgebildet ist. Aber er sieht heute anders aus. Auf der Karte in meinen Händen sieht er allerdings aus wie damals. Und das liegt daran, dass ich das Foto selbst gemacht habe. Ich verstehe das alles nicht. Woher kommt dieses Päckchen?
Um mich herum sind die Anderen in Unterhaltungen vertieft und packen weiter Geschenke aus. Aber ich nehme nur Gesprächsfetzen war. Das Foto dürfte überhaupt nicht mehr existieren. Mir wird heiß und kalt. Schließlich gebe ich mir einen Ruck und sehe nach, was sich noch im Inneren befindet, außer dieser Karte. Und wieder stockt mit der Atem. Mein Mund wird ganz trocken. Das kann nicht sein!
Fassungslos starre ich die Figürchen an. Auch diese kenne ich nur zu gut. Immerhin habe ich sie selbst gemacht.
Damals.
Ich schlucke und denke fieberhaft nach. Es hat vier davon gegeben. Meine beiden gibt es nicht mehr, die habe ich eigenhändig verbrannt.
Damals.
Gott, sie sehen immer noch zauberhaft aus.
Dennoch dürften sie nicht hier sein.
Langsam lese ich die Zeilen ein zweites Mal. Sie sind ebenfalls in Druckbuchstaben geschrieben und verraten mir leider überhaupt nichts über den Verfasser. Allerdings treffen mich die Worte tief. Ich habe sie schonmal gelesen, von einer bestimmten Person. Heute passen sie zu meiner derzeitigen Situation wie die Faust aufs Auge. Ist das ein Zufall? Oder spielt mir das Schicksal einen bösen Streich?
Soll dies die Antwort sein, vor der ich mich seit Tagen drücke?
Ein Schubs in die richtige Richtung?
Aber woher kommt dieser Rat?
Ich inspiziere nochmal alles ganz genau.
Neutrales Weihnachtsgeschenkpapier. Massenware vermutlich.
Die Handschrift, sofern es denn eine ist, hilft mir nicht weiter.
Das Foto glaubte ich vernichtet.
Einzig und allein die Holzfiguren könnten ein Anhaltspunkt sein.
Aber, es ist unmöglich.
Da kommt mir ein Gedanke. Ich räuspere mich und wende mich meiner Mutter zu.
»Mama, wer hat dieses Päckchen unter den Baum gelegt?«
Gespannt sehe ich sie an.
Irritiert unterbricht sie das Gespräch mit meinem Bruder.
«Ach, das. Das kam gestern mit der Post. Das Paket war an mich adressiert mit der Bitte, dass ich dir das erst heute gebe und es sich um eine Überraschung handelt.«
Nun mustert sie mich neugierig.
»Und der Absender?", frage ich.
Bedauernd hebt sie die Schultern.
«Die Zeilen an mich waren nicht unterschrieben. Ob auf dem Paket selbst ein Absender vermerkt war, das weiß ich nicht mehr. In dem kurzen Brief hieß es, du wüßtest dann schon."
Ich beiße mir auf die Lippe.
»Was ist denn drin?«, fragt eine sanfte Stimme neben mir.
»Hast du den Karton noch?«, will ich von meiner Mutter wissen. Die sieht fragend zu meinem Vater, der dem Gespräch still folgt. Ein Kopfschütteln. Er hat am Morgen den Papiermüll weggebracht. Seufzend lehne ich mich zurück.
»Ach«, entfährt es meiner Mutter. Sie hat die Holzfiguren erkannt. Das erkenne ich sofort an ihrem Tonfall.
Ich muss an die frische Luft.
Es ist kalt und ich reibe die Hände aneinander.
Wie lange ich schon hier draußen stehe und die Sterne zähle, weiß ich gar nicht. Irgendwo in dieser Galaxie befindet sich der winzig kleine Stern, den ich als Hochzeitsgeschenk getauft habe. Und in meiner Vorstellung leben die Seelen der Verstorbenen in den Sternen fort. Von da passen sie auf uns auf.
Und offensichtlich schaffen sie es, uns Nachrichten zukommen zu lassen. So ein Blödsinn, schimpfe ich mich selbst. Selbst ein Weihnachtszauber vermag keine Wunder!
»Jan, Liebling?«
Da steht sie.
Die Frau, die ich über alles Liebe. Die mein Kind unter ihrem Herzen trägt. Und die immerzu weiß, was in mir vorgeht. Die mit meinen Dämonen und Abgründen leben muss. Und mit meiner Vergangenheit.
Seufzend nehme ich sie in den Arm.
Wir stehen einen Moment umschlungen da, dann gebe ich ihr einen Kuss auf die Stirn und fasse Mut.
»In dem Päckchen waren zwei kleine Holzengel. Die habe ich als Pärchen damals für Anna und mich gemacht. Nenne es Schutzengel, Talisman, wie auch immer. Ich war davon überzeugt, dass wir solange aufeinander aufpassen, wie jeder sein Pärchen bei sich trägt. Als wir uns trennten, behielten wir jeder seines. Anna sagte, dass wir ja dennoch miteinander verbunden seien und uns etwas versprochen hatten. Als sie dann so krank wurde wollte ich, dass sie die beiden mit ins Grab nimmt. Ich bin immer davon ausgegangen, dass sie das auch getan hat. Meine habe ich verbrannt, nachdem mir die Teilnahme an der Beerdigung verwehrt wurde. Ich war so unsagbar verletzt. Tja, und jetzt tauchen Annas Engel hier einfach so auf, zusammen mit einer Karte. Und Worten, die sie mir mal in einem Brief geschrieben hatte.«
Ich suche ihren Blick, erinnere mich an das, was dort geschrieben steht und denke an meinen Zwiespalt.
»Vermutlich hat mir Annas Mutter die Sachen zukommen lassen. Keine Ahnung warum ausgerechnet jetzt. Es ist nur so, dass sie mir gerade etwas klar gemacht haben und ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.«
Sie sagt keinen Ton, sieht mich aber unverwandt an. Mein Herz schlägt kräftig und ich atme tief ein und aus. Ich muss das jetzt machen, ansonsten finde ich einfach keine Ruhe. Und sie ist immerhin diejenige, der ich mich vollends anvertrauen kann.
«Egal was ist es, sag es mir«, bittet sie mich.
Sie nimmt meine Hand und drückt sie ganz fest.
”Ich möchte nach Hause kommen, Isabelle.«