Prompt: Regentag (23.09.20)
Start: 18:05 Uhr
Ende: 19:04 Uhr
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Die Langeweile steht dem Jungen ins Gesicht geschrieben. Es ist aber auch gemein, dass die ersten vielversprechenden Frühlingstage jäh unterbrochen worden sind. Gestern noch haben sie den ganzen Tag im Freien verbracht und er hat stolz wie Oskar den Parcours des Klettergartens gemeistert. Unentschlossen sieht er aus dem Fenster und drückt sich die Nase platt. Es regnet Bindfäden und dies seit Stunden. Und das an einem Sonntag, an dem sie eigentlich einen Familienausflug geplant gehabt hatten. Statt Streichelzoo und Skater-Park, statt Eisbecher und Pommes an der Bude haben sie den Vormittag auf dem Sofa verbracht. Um seine Laune zu heben durfte er sich einen Trickfilm aussuchen, aber die Geduld für die Flimmerkiste war schnell erschöpft. Grundsätzlich findet sie das gut, aber heute hätte sie gerne eine Ausnahme gemacht und ihm gar einen zweiten Film erlaubt.
Seufzend betrachtet sie das kleine Bündel in ihren Armen. Immerhin das kleinste Familienmitglied kann sich noch nicht beschweren. Zumindest nicht über das Wetter. Sie hat es gerade gestillt und nun sind ihm die Augen zu gefallen. Selbst die Katzen haben sich träge auf ihrem Kratzbaum zusammengerollt und blinzeln maximal verschlafen.
"Mama, wann hört es denn endlich auf?", fragt er Sechsjährige. Er dehnt die Frage und hat die Nase kraus gezogen.
"Ich weiß nicht, Schatz." Isabelle greift nach ihrem Handy. Die Wetter-APP hat leider keine guten Nachrichten. "David, du könntest doch an deinem Lego weiterbauen. Geh doch mal hoch und frag Papa, ob er dir hilft. Der ist im Schlafzimmer und hat bestimmt nichts gegen eine Störung," meint sie milde.
Noch während die den Satz beendet, steht ihr Mann schon vor ihr. Mit einem Lachen im Gesicht. In der Hand hält er einen Karton mit den Bastelsachen des Jungen. Neugierig verlässt David das Fenster und kommt näher.
"Was ist das?" will er wissen.
Jan stellt den Karton auf den Tisch und schiebt einen Stuhl zurück. Flink ist sein Sohn bei ihm und klettert darauf. Isabelle bettet das Baby bequemer in die Armbeuge und setzt sich auf.
"Ich sag dir, was wir machen. Dein Opa sagt nämlich immer, es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung." Jan zwinkert dem Kind zu und nimmt den Deckel ab. "Wir beide basteln uns jetzt schöne Boote aus dem restlichen Kork und dann ziehen wir uns einigermaßen wasserdicht an und gehen runter an den Bach. Dann schauen wir mal, wie weit unsere Boote kommen. Und wenn wir sowieso dort sind, dann nehmen wir noch die Trauben von gestern mit und füttern die Enten", schlägt er vor.
David ist sofort Feuer und Flamme. Er bastelt für sein Leben gern, besonders mit seinem Vater. Er liebt den Park und die Enten; und Bewegung, da ist sich Isabelle sicher, wird auch ganz schnell die schlechte Laune vertreiben. Liebevoll wirft Jan ihr einen Blick zu.
"Ihr beide könnt natürlich gemütlich im Trockenen bleiben, außer ihr möchtet mit."
Sie schüttelt den Kopf. Knapp vier Wochen ist das Nesthäkchen erst alt, da muss nicht sein, dass es stundenlang mit in die Nässe muss.
"Wir kuscheln hier dann ein bisschen. Ich finde aber, wenn ihr schon unterwegs seid, dann bietet sich ein Umweg über die Konditorei an." Grinsend hebt David seinen Kopf.
"Schokokuchen!", bekräftigt er.
Jan hat sich gesetzt und verteilt die Materialien auf dem Tisch. David ist geschickt und braucht wenig Hilfe. Vor Eifer blitzt immer seine Zungenspitze aus den Mundwinkeln hervor. Im Nu haben sie vier Boote gebastelt, für jedes Familienmitglied eins. David möchte das für sein Geschwisterchen fahren lassen und verkündet übermütig, dass seine Ergebnisse sicherlich stabiler sind als Jans.
Der zuckt nur belustigt die Schultern und sucht dann die Kleidung zusammen.
Als sie aus dem Haus sind, ist es furchtbar leise. Mit einem Kakao macht es sich Isabelle wieder gemütlich und genießt die Zweisamkeit mit dem Säugling. Beim Stillen schläft es wieder ein, sie schafft zwei Folgen ihrer Lieblingsserie. Dann sind Jan und David zurück. Die Wangen des Jungen sind rot, die Augen blitzen vor Vergnügen. Während Jan die nassen Regenjacken und die Matschhose zum Trocknen aufhängt, bekommt Isabelle einen ausführlichen Bericht vom Rennen auf dem Bach.
"Papas Boot ist als erstes umgefallen und dann hängen geblieben. Wir mussten ganz schön schnell laufen, um an den anderen dran zu bleiben. Dann war leider Krümelchens Boot raus. Da war so eine ganz fiese Stromschnelle. Sorry!" Betreten wirft er einen Blick in die Wiege. "Auf jeden Fall war meins und deins ganz eng zusammen und dann kam die Brücke. Wir sind ganz schnell rüber gelaufen, aber wir haben sie nicht mehr gefunden. Papa hat nicht erlaubt, dass ich unten am Ufer nochmal gucke. Weil alles so blöd nass und rutschig war." David rollt mit den Augen.
"Also sind jetzt alle Boote weg?", fragt Isabelle. Der blonde Schopf fliegt eilig hin und her.
"Ach was, Mama. Auf dem Rückweg hab ich das Babyboot gerettet. Es hing ganz nah am Ufer und Papa hat einen Moment nicht aufgepasst als er telefonieren musste." Triumphierend zieht er die Beute aus seinem Rucksack. "Ich bin doch ein guter großer Bruder", meint er dabei.
"Das hab ich gehört!", ruft Jan aus der Küche. Dort hantiert er mit der Kuchenplatte.
"Is doch nichts passiert", mault David. Dann lacht er schon wieder. "Die Enten haben sich total gefreut. Die waren echt richtig nass und sahen erst ganz traurig aus. Wo gehen die hin, wenn sie mal trocken werden wollen? Weißt du das, Mama?" David lässt sich im Schneidersitz vor der Couch nieder und versucht beiläufig die Katzen anzulocken. Kopfschüttelnd bringt Jan die Teller herüber.
"Luft holen nicht vergessen", meint er leise. Doch auch er lacht. Wenn David ohne Punkt und Komma redet, dann ist er zufrieden.
"Und Mama, da waren auch welche mit dem BMX auf der Skaterbahn. Das ist bestimmt lustig. Können wir das später noch machen?" Fragend sieht er seinen Vater an.
"Nicht so lange es so schüttet. Du hast doch gesehen, dass einige ausgerutscht sind." Flehend sieht David jetzt Isabelle an.
"Du hast deinen Vater gehört. Das muss nicht sein. Wenn es aufhört und trocken ist, dann holt er das bestimmt mit dir nach", ist ihre Antwort.
Nach dem Kuchen beschäftigt sich David eine Weile still mit den Bastelsachen. Jan hat das Baby übernommen, damit Isabelle in Ruhe duschen kann und trägt es zur Beruhigung durch das Wohnzimmer. Hier und da schielt er seinem Sohn über die Schulter. Gerade als Isabelle die Treppe herunter kommt, ist er fertig. Sprachlos bleibt Isabelle vor dem Tisch stehen.
Aus dem übrig gebliebenen Kork hat David ein Haus gebaut. Die Rückseite hat er offen gelassen und dreht die Öffnung nun gespannt in die Richtung seiner Eltern. Vier ganz kleine Kastanienmännchen hat er hinein gesetzt. Er hat sie bunt gestaltet und mit Stoffresten ausstaffiert.
"Ein Familienhaus", erklärt er.
"Aber das lassen wir nicht schwimmen!", meint Isabelle gerührt. Der Kurze ist vom Stuhl gerutscht und schmiegt sich fest an sie. Jan steht mit dem schlafenden Baby gegenüber und sieht sie liebevoll an. Es mag draußen regnen und grau sein, aber hier drin ist ganz viel Freude und Liebe. Das macht sie unglaublich glücklich.